Tiergarten-Diskussion: Obdachlose zwischen den Fronten

Hätte der mutmaßliche Mörder vom Tiergarten abgeschoben werden müssen? Der Kriminalfall hat eine polarisierte Debatte ausgelöst.

Wie umgehen mit den Obdachlosen im Tiergarten? Foto: dpa

Die Bild-Zeitung schrie ihre Empörung am Dienstag in großen Lettern heraus: „Erwürgt, weil ihr Mörder nicht abgeschoben wurde!“ Neben der Schlagzeile das Foto einer Frau mit braunen Locken, Susanne F. Ein 18-Jähriger mit russischem Pass soll sie Anfang September im Tiergarten ermordet haben, offenbar, um an Geld und Handy zu kommen. „Tödliches Versagen!“, titelte auch die B.Z.

Tatsächlich ist der Mord längst nicht mehr nur ein Kriminalfall. Er löste eine politische Debatte aus über die Sicherheit im Tiergarten und den Umgang mit Obdachlosen nichtdeutscher Herkunft, die dort nächtigen. Maßgeblich befeuert wurde sie von Stephan von Dassel: Der grüne Bezirksbürgermeister von Mitte forderte die Ausweisung von osteuropäischen Obdachlosen.

Die beiden Boulevardzeitungen, denen nach eigenen Angaben die Strafakte des mutmaßlichen Mörders vorliegt, listen nun minutiös auf, welche Straftaten er schon vor dem Mord begangen haben soll. Bis Dezember 2016 saß er wegen Raubes im Gefängnis. Dann sollte er abgeschoben werden, was aber nicht passierte. Im August 2017 soll er volljährig geworden sein, im September kam es zu der Gewalttat im Park.

Nun ist auch aus linker Perspektive klar, dass alles hätte getan werden müssen, um den Mord zu verhindern. Allerdings im Rahmen der Gesetze: Die russischen Behörden hätten die Fürsorge für den im Dezember 2016 noch Minderjährigen nicht übernehmen wollen, erklärte ein Sprecher der Innenverwaltung. Deshalb habe man den Russen zunächst nicht ausweisen können. Laut B.Z. und Bild wäre es möglich gewesen, ihn nach Polen abzuschieben. Ob das stimmt, wollte der Sprecher klären.

So oder so steigt der öffentliche Druck. Die Verlierer dürften die Osteuropäer im Tiergarten sein. Am Dienstag meldete sich auch die Landesarmutskonferenz zu Wort, ein Bündnis aus 60 sozialen Organisationen. Mit „Erschrecken“ verfolge man die aktuelle Diskussion, hieß es. Die Berichterstattung sei mit Ressentiments gegen nichtdeutsche Wohnungslose aufgeladen. „Wir fordern die neu gebildete Taskforce auf, Unterstützungsmaßnahmen zu entwickeln statt repressive Maßnahmen durchzuführen.“

Das Bündnis hält den Politikern eigene Versäumnisse vor. Laut Gesetz habe der Staat die Pflicht, bei „unfreiwilliger Wohnungslosigkeit eine Unterkunft bereit zu stellen“. Finde sich keine andere Lösung, müsse ein Zimmer im Hotel angemietet werden. Abschiebung oder Hotelzimmer – die Positionen könnten kaum weiter voneinander entfernt sein.

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