Tiefseebergbau in Norwegen: Umstrittene Knollenernte
Vor Norwegen liegen Manganknollen mit Mineralien und seltene Erden. Die Regierung plant den Abbau, die Folgen für das Ökosystem sind unbekannt.
Vom Nordatlantik nördlich der Inselgruppe der Lofoten und Vesterålen bis zur Arktisinsel Spitzbergen in der Barentssee sollen 282.000 Quadratkilometer des Festlandsockels – das entspricht drei Viertel der Fläche Deutschlands – für diesen „kommerziellen Bergbau“ freigegeben werden. In einem 82-seitigen Weißbuch skizziert die Regierung eine Strategie für die Erschließung und Bewirtschaftung dieser Ressourcen. Darunter wird auch die Ambition genannt, „weltweit führend im fakten- und wissensbasierten Management von Meeresbodenmineralien“ zu werden.
Praktisch soll das ähnlich gehandhabt werden wie bei der jetzigen Offshore-Öl- und -Gasgewinnung: Oslo schreibt nach und nach Lizenzen für räumlich begrenzte Felder in den fraglichen Meeresgebieten aus und interessierte Konzerne können Konzessionen für eine Erkundung und spätere Förderung erwerben. Die sollen genehmigt werden, wenn die Konzerne einen „nachhaltigen und verantwortungsvollen“ Abbau nachweisen können.
Norwegen wurde in den vergangenen 50 Jahren mit der Öl- und Gasförderung in der Nordsee, dem Nordatlantik und der Barentssee zu einem der reichsten Länder der Welt. Nun hofft man offenbar zeitlich passend zum sich abzeichnenden Ende der fossilen Energiegewinnung neue Vermarktungsmöglichkeiten zu finden. Und die erneuerbaren Energien verlangen geradezu Mineralien, Erze und seltene Erden.
Nachfrage nach Rohstoffen werden steigen
Ein für das Land verlockendes Szenario, das Öl- und Energieminister Terje Aasland gleich als verantwortungsvollen Einsatz Norwegens für eine weltweite grüne Energiewende anpreist: „Wir brauchen Mineralien, um die grüne Wende zu schaffen. Heute werden diese Ressourcen von einigen wenigen Ländern kontrolliert, was uns verwundbar macht. Meeresbodenmineralien können eine Quelle für wichtige Metalle werden.“
Oslo verweist auf Berechnungen der Internationalen Energieagentur IEA, wonach die Nachfrage nach Kupfer und seltenen Erden um 40 Prozent, die nach Nickel um 60, nach Kobalt um 70 und nach Lithium um 90 Prozent steigen wird. Nach jahrelangen geologischen Untersuchungen ist die staatliche Ölbehörde Oljedirektoratet überzeugt, dass Norwegen mit den polymetallischen Knollen („Manganknollen“), die in seiner Wirtschaftszone auf dem arktischen und subarktischem Meeresboden zu finden sind, einen wichtigen Beitrag zur Deckung dieses Bedarfs leisten könnte.
Als besonders vielversprechend gelten die Ergebnisse einer 2018 gemachten Expedition am vulkanischen Mohns-Riff zwischen dem Eiland Jan Mayen und der Bäreninsel. Man schätzt beispielsweise die Vorkommen von Kupfer und Zink auf 38 und 45 Millionen Tonnen. „Und Norwegen verfügt bereits über eine umfassende Erfahrung bei der nachhaltigen und verantwortungsvollen Bewirtschaftung von Meeresressourcen“, betont Aasland.
„Dieser Vorschlag ist eine Katastrophe. Die Regierung beweist damit, dass sie die Probleme solcher Aktivitäten in Bezug auf die Natur und die Klimakrise nicht verstanden hat“, reagierte Lars Haltbrekken, der Vorsitzende der sozialistischen Linkspartei, auf die Vorlage. Offenbar glaube man keine Rücksicht darauf nehmen zu müssen, dass „das Leben im Meer bereits durch die globale Erwärmung bedroht und der Meeresboden ein wichtiger Kohlenstoffspeicher ist“.
Ex-Umweltminister: Norwegen werde umweltfeindlich
Einen „neuen Tiefpunkt beim Umgang Norwegens mit dem Meer und der Umwelt“ beklagt Fredric Hauge, Vorsitzender der Umweltorganisation Bellona: „Wir kennen die Ökosysteme gar nicht, die wir jetzt zerstören wollen.“ Von einem „schwarzen Tag“ spricht Karoline Andaur, Generalsekretärin des WWF Norwegen: Angesichts der „vielen Wissenslücken, die wir heute haben, und trotz aller Warnungen der weltweit führenden Meereswissenschaftler so einen Schritt tun zu wollen ist nicht weniger als ein Skandal“.
„Die Behauptung, dass wir diese Mineralien für den grünen Übergang brauchen, ist Unsinn“, kritisiert auch der liberale Ex-Umweltminister Ola Elvestuen: „Die Regierung macht Norwegen zu einem der umweltfeindlichsten Länder der Welt, zusammen mit dem Inselstaat Nauru. Das ist haarsträubend.“
Der sozialdemokratische Ministerpräsident Jonas Gahr Støre wirft solcher Kritik vor, sich vor dem Dilemma eines grünen Übergangs zu drücken. Natürlich gebe es ein „Spannungsverhältnis zwischen der Bekämpfung des Klimawandels und dem Schutz der Natur“. Aber da gelte es eben abzuwägen.
Zwangsläufig würden durch die Abbauaktivitäten Lebensräume bestimmter Arten verschwinden, heißt es auch im Weißbuch. Solche Folgen seien aber nur zeitweilig, räumlich „im Verhältnis zur Gesamtfläche des Meeresbodens sehr begrenzt“ und nicht vergleichbar mit den Umweltschäden, die beispielsweise durch eine größere Ölpest entstehen könnten.
Nicht mal die Regierung ist einig
Solche Argumentation konnte allerdings nicht einmal Gahr Støres eigene Partei zur Gänze überzeugen. Sie ist zur Frage des Tiefseebergbaus gespalten, die Jungsozialisten fordern ein Verbot. Auch in der Koalition aus Sozialdemokraten und Zentrumspartei ist man uneinig: Kritik gibt es vor allem aus dem Umwelt-, dem Fischerei- und dem Außenministerium. Im Parlament wäre die Minderheitsregierung auf Stimmen der Opposition angewiesen. Einige Parteien sind noch unschlüssig. „Natürlich ist es einfach, dagegen zu sein“, appelliert Terje Aasland: „Aber dann erwarte ich auch Alternativen, wo wir die Mineralien für die grüne Wende herbekommen wollen.“
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