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Thüringen als „China Deutschlands“Keine Kolonie im nahen Osten

Immer häufiger wird Ostdeutschland als Kolonie bezeichnet. Trotz Machtgefälle zwischen Ost und West ist der Vergleich gefährlich.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow in einem Autozulieferunternehmen in Thüringen, 2018 Foto: dpa

„Wir sind sehr, sehr gute Teilelieferanten, quasi das China des Westens“, erklärte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) am Donnerstag gegenüber der Abendzeitung München. Mit „Wir“ meint Ramelow den Osten und die ostdeutschen Bundesländer. Jeder dritte Daimler kriege seinen Motor aus Thüringen, sagte Ramelow weiter. Die Unternehmensteuer fließe jedoch nach Stuttgart. „Wenn man den Osten wie eine Kolonie betrachtet, baut sich ein risikoreiches Spannungsfeld auf“.

Da ist er, der Vorwurf, der sich rund um die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen wachsender Beliebtheit erfreut: Ostdeutschland als Kolonie der Bundesrepublik Deutschland. Ostdeutschland als koloniales Opfer.

Zugegeben, so ganz unähnlich sind sich der deutsche Osten und der fernere Osten nicht. Die DDR und China, das waren mal sozialistische Bruderstaaten. Hier teilten viele Ideen von einer gerechten Welt abseits des Kapitalismus und vor allem hatte man gleiche Feinde. Und doch ist der eine, der fernere Osten heute rot, während der ganz nahe Osten sich leider zunehmend braun verfärbt.

Klar, Ramelows Bild hängt schief. Wegen der holprigen China-Referenz und weil der Politiker zu Recht kritisiert, dass die wenigen Westdeutschen, die in den Osten kämen, in Führungspositionen landen würden – er aber selbst aus Niedersachsen stammt. Deutlich gefährlicher ist aber der Kolonie-Vergleich.

Die Ossis sind innerhalb Deutschlands noch zu oft „die Anderen“

Beim ersten Blick nicht völlig abwegig: Befremdlich, wie oft an westdeutschen Küchentischen noch 30 Jahre nach der Wende über „die Ossis“ der Kopf geschüttelt wird, als spräche man von pubertierenden Teenagern. „Die Ossis“, das sind innerhalb Deutschlands noch zu oft „die Anderen“, die weniger Klugen, die weniger Wohlhabenden. Stigmen, mit denen oft auch Menschen aus ehemaligen Kolonien konfrontiert sind.

Der Begriff der Kolonie ist ein Machtbegriff, der untrennbar mit Rassismus verbunden ist. Die meist weißen Stimmen, die Parallelen zwischen Ostdeutschen und Migrant*innen oder PoC in Deutschland aufzeigen, scheinen selten auf der Suche nach einem solidarischen Bündnis mit Mehrfachdiskriminierten zu sein. Genau deshalb ist das Bild vom Osten als Kolonie gefährlich. Weil es die Erfahrungen derer in den Hintergrund rückt, die tagtäglich unter den Folgen von kolonialer Herrschaft und Gewalt leiden.

Einfacher: Wenn Ostdeutschland den Koloniebegriff für sich beansprucht, dann wird in diesem Land eben zuerst über die weißen Ostdeutschen geredet. Danach, mit Glück, sprechen wir vielleicht über nicht-weiße Ostdeutsche. Und am Ende der Mitleidskette stehen die Menschen in den ehemaligen Kolonien des Westens, die sich in Fabriken für „uns Deutsche“ (da sind wir dann wiedervereinigt) die Finger wund nähen. Wenn Ostdeutschland zur Kolonie herbeidiskutiert wird, werden Kolonisierte noch unsichtbarer.

Die Frage nach dem kolonialen Charakter der innerdeutschen Ost-West-Beziehung ist also eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Es geht nicht um einen Wettbewerb, wessen Schicksal nun das Schlimmste von allen ist. Es geht um die Reflexion der eigenen Privilegien und um die Anerkennung von Intersektionalität in Identitätsdebatten.

Das bedeutet nicht, dass es kein Machtgefälle zwischen West- und Ostdeutschland gibt. Bis heute läuft vieles schief, was Einkommensgerechtigkeit, gläserne Decken und Stigmatisierung betrifft. Diese Probleme müssen benannt werden. Aber bitte mit den richtigen Worten und nicht auf Kosten der Sichtbarkeit anderer Marginalisierter. Auch innerhalb Ostdeutschlands gibt es Unterschiede, wie stark Menschen Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind. Ganz besonders vor dem Hintergrund der Erfolge der AfD muss hier eine Linie verlaufen. Westdeutsche mögen Ostdeutschen gegenüber zwar koloniales Verhalten an den Tag legen. Aber das macht Ostdeutschland nicht zur Kolonie und die Leiden der Ostdeutschen nicht zu den Leiden Kolonialisierter.

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9 Kommentare

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  • "Und doch ist der eine, der fernere Osten heute rot, während der ganz nahe Osten sich leider zunehmend braun verfärbt."

    Ach ja?



    Die chinesische Politik gegenüber muslimischen Staatsbürgern ist das, wovon manch ein AfD-Politiker bestimmt träumt.

    China tritt inzwischen als geopolitischer Akteur mit klaren nationalistischen Zielen und einem Hegemonialanspruch im direkten Umfeld auf.

    China droht Taiwan explizit, eine Wiedereingliederung könnte auch mit Gewalt erfolgen. Auf die Idee, Schlesien und Ostpreußen zurückzufordern, kommt nicht mal die AfD.

    Innenpolitisch hat der Tiananmen-Platz bewiesen, dass China nun gar keine Probleme damit hat, abweichende Meinungen niederzuschießen. In wenigen Wochen dürften wir das Gleiche in Hongkong erleben.

    Das Sozialkreditsystem belegt, dass China den totalitären Staat revolutionieren kann.

    Chinas Rot hat deutliche braune Streifen.

  • Von den 100 DAX-Uternehmen sitzt keins im Osten.Von 80 Hochschulel in Deutschland kommt kein einziger Rektor oder Rektorin aus dem sten.Von 5 Landesverfassungsgerichten kommen 4 Vorsitzende aus dem Westen.Ähnlich sieht es bei der Gerichten aus.Sowas kommt von sowas sagt man bei uns.

  • Kolonie? Diese Diskussion ist so unterirdisch und dumm, es ist nicht zu fassen.



    Vorschlag. Der Daimler Hauptsitz kommt für alle Zeiten nach Thüringen, samt sämtlicher Unternehmenssteuern. Dafür lassen wir das mit den 40Mrd Braunkohleausstieg. Deal?

  • Es ist das wichtigste die Einbunkermentalität gegen Veränderungen und gegen Zuwanderung aufzulösen, und sich positiv auf Neues einzustellen.



    Das Geschrei "Wir bleiben Deutsch" ist krank.



    Die Vorstellung jemand wolle ihnen etwas wegnehmen ist das Problem.



    Kolonie Ost habe ich nie gehört.



    Umgekehrt, die Abgrenzung erfolgt von denjenigen, die den Westen als Multikulti bezeichnen.



    Freie Wahl des Aufenthalts für alle Geflüchteten und Rücknahme der Asylpakete I und II!

  • Ein ganzer Artikel über einen Vergleich, den der Sprecher anders gemeint hatte und den die Autorin erst einmal bewusst falsch verstehen muss, damit eine Geschichte daraus wird.

    Was soll das?

    Ich dachte, die Sommerpause sei vorbei.

  • >der ganz nahe Osten sich leider zunehmend braun verfärbt.

    Schlimm daran ist eigentlich dass fast alle Lichtgestalten der AfD im Osten aus dem Westen kommen.

    >China des Westens“

    Also hat sich docht nichts geändert die DDR war ja auch nur ein Billiglohnland für die BRD.

  • de.m.wikipedia.org/wiki/Kolonie



    Der Begriff Kolonie ist schon noch etwas komplexer als in diesem Artikel dargestellt.

    • 0G
      05158 (Profil gelöscht)
      @Frank Roger:

      Der Begriff Kolonie mit allen Abhandlungen ist selbstverständlich komplex und ablehnungswürdig!!! - aber-



      Im Wahlkampf geht es nicht um komplex, es sind die einfachen Antworten gefragt. Ja, nein, gut, schlecht! Gute Emotionen, schlechte Emotionen, scheiss egal.!



      Deswegen zu diesem Zeitpunkt, in diesem Zusammenhang, diesen Begriff zu setzen,sehr gut! Jeder Wahlkampfmanager wäre begeistert und die verdienen eine menge Kohle!



      Es ist noch verdammt ruhig, mal sehen: Vielleicht war die DDR eine Kolonie..;);)!

  • 0G
    05158 (Profil gelöscht)

    Das ist doch mal cleverer Wahlkampf. Einen Begriff (Kolonie) setzen! Abwarten! Es funktioniert.Abwehrhaltung in den westlichen Bundesländern(was für ein Wort) eine gewisse Begeisterung in den östlichen B....... und derAfD vielleicht auch noch ein paar Stimmen abgenommen.Das hätte Sahra Wagenknecht auch nicht besser machen können. Die Damen und Herren in Berlin werden begeistert sein?! Nun werden die Differenzierungen wieder losbrechen, egal, der Punkt ist gemacht. Herr Ramelow hat auch in Bezug auf Zähigkeit, Angriffslust und (versteckten) Humor mit Herrn Stegner viel gemeinsam. Gut so!!