Theaterstück „Der Fiskus“: Inside Finanzamt

Das Stück „Der Fiskus“ am Staatstheater Braunschweig ist eine witzige und kluge Auseinandersetzung mit Sinn und Unsinn der angewandten Steuerpflicht.

Eine Frau hält eine große Menge Papier in den Händen.

Im Finanzamt dreht sich das Leben um Papier: Szene aus „Der Fiskus“ Foto: Joseph Ruben

BRAUNSCHWEIG taz | „Mir ist das sowas von egal, was die Bürger... Wichtig ist / was ich von den Bürgern halte und von ihren Erklärungen. / Wir setzen hier das Steuerrecht / Steuergerechtigkeit / das muss nicht gut aussehen.“ Sachbearbeiterin Bea, 55, gehobener Dienst, weiß, wovon sie so abgehackt spricht. Sie ist im vom Staatstheater Braunschweig in Auftrag gegebenen Stück „Fiskus“ eine Idealistin ihres Jobs, kennt das Steuerrecht so in- und auswendig wie der Formulierungsroboter, der es verfasst hat – und will der Finanzierung des Gemeinwesens zuliebe alle Tricks der Abgabenvermeidung auffliegen lassen.

Jetzt kommt bald wieder ihre Zeit. Passend zur Uraufführung des Stücks müssen Steuerpflichtige wie unsereins mal wieder die anteiligen Nebenkosten der Heizungswartung in einem flotten Dreisatz auf die Quadratmeter des häuslichen Arbeitszimmers um- und die Mehrwertsteuer aus den Rechnungen sämtlicher Handwerker herausrechnen.

Für erste Schweißausbrüche sorgt es dann, wenn die Beas der Ämterwelt darauf mit der Zusendung grauer Sicht­umschlagskuverts antworten. Gleichzeitig aber versuchen sie, das Lesen der darin befindlichen Schreiben zu verhindern, durch ein Textwüsten-Layout in kaum entzifferbarer Schriftgröße und mit möglichst umständlichem Satzbau unter Verwendung einer maximalen Anzahl substantivierter Worte.

Manchmal delirieren die Mitteilungen auch einfach nur in der tiefgefrosteten Ekstase des Behördendeutschs. Immer aber sind sie geschmückt mit vielen Hinweisen auf irgendwelche Paragrafen, deren Poesie nur eine von Insidern für Insider ist. Hinzu kommt das mit skurrilen Fragen auf Kreuzchenantworten hoffende Dutzend an Formularen, die ganz bewusst als Werbemaßnahme für die Steuerberater-Gilde so nutzerfeindlich gestaltet sind, dass nur mit ihrer horrend teuren Dienstleistung ein korrektes, die gesetzlichen Steuerminderungsmöglichkeiten nutzendes Ausfüllen möglich ist. So viele Gründe dafür, dass wohl kaum jemand Finanzämter mag. Was jede und jeder in der Behörde weiß, die Felicia Zeller beschreibt, eine als Porträtistin sozialer Gruppen viel gebuchte Dramatikerin.

Die Aufführung hält stets die Balance zwischen karikierender Zuspitzung, humorvoller Selbstreflexion und pointierter Dokumentation des Beamten-Wehleids

Regisseur Christoph Diem bringt Herrscher und Zuträger des fiskalischen Diskurses in aller Bescheidenheit recht nah zusammen in der Kleingarteninstallation, die in dieser Spielzeit das Bühnenbild aller Produktionen der Spielstätte „Aquarium“ bildet. Auf Kunstrasen sitzen steuerpflichtige Zuschauer auf einer Sperrmüllsammlung von Gestühl um ein Häufchen Akten und Kartons, um den die steuerbearbeitenden Beamten-Darsteller einen Drehstuhlkreis bilden.

Beispielsweise Bea, nach 30 Jahren immer noch A 13, obwohl sie mit dem siebten Sinn der Detektive immer wieder genau die Zahlen im Angabenwust der Erklärungen entdeckt, die Tür und Tor zu Steuerhinterziehungen der großen Konzerne und Geldspekulanten öffnen.

Zeller desavouiert in ihrem Stück noch mal eine Art Cum-Ex-Skandal, bei denen die Rendite für Transaktionen vom Staat kommt – durch Rückzahlungen nicht gezahlter Steuern. „Betrug“ nennt Bea das Tun dieser kaum mehr resozialisierbaren „kriminellen Schmarotzer“. Deren Partner, machtstrotzende Anwaltskanzleien, schicken ihr Drohbriefe. Aber Bea bleibt davon unberührt, hofft auf Lob, auch auf Beförderung, wird aber von der eifersüchtigen Nele in der Behördenhierarchie überholt und schließlich versetzt.

Immer wieder treffen das Private, Berufliche und Politische zusammen. In diesem Fall überlegt Bea, ob sie mit ihrem Wissen um die Schlupflöcher in die Anlagenberaterbranche wechseln und stumpf reich werden sollte. Auch andere Kollegen spüren den neuen Nele-Wind im Amt als Gegenwind, wenn die finanzökonomische Effizienz leidet, also mehr Arbeitszeit in eine Steuererklärung gesteckt wird, als Steuerzahlungen herauszuholen sind.

Deswegen perfektioniert die jung-naive Elfi (Larissa Senke) das „qualifizierte Durchwinken“. Und übersetzt die Effizienzregeln ins Private: feiert die Ehe mit dem drömeligen Kollegen Reiner Lös (Tobias Beyer) vor allem wegen der steuerlichen Zusammenveranlagung. Das ist für beide eine auf- wie anregende Sache. So beglückend, dass sie gleich auch ein paar Steuertipps zum Besten geben. Reiner: „Sie bewirtet mich, ich bewirte sie. Was wir natürlich als Sonderausgabe …“ Und da Omas Möbel noch in einem Souterrain-Zimmer des Paares stehen, wird die Haushaltsersparnis für Omas Abwesenheit im Pflegeheim einfach mal nicht von den Kosten der Unterbringung abgezogen.

Als Außenseiterin inszeniert Diem die Betriebsprüferin Fatma (Naima Laube). Per Mikroport ist ihre Stimme verhallt. Wie ein Geist schleicht sie durchs Geschehen und berichtet von ihrer Effizienz, den Millionen Mehreinnahmen dank des Herumschnüffelns bei Zahnärzten oder Fondsmanagern.

„Der Fiskus“: Do, 13. 2., 19.30 Uhr, Staatstheater Braunschweig; weitere Termine: 28. 2., 6. 3., 13. 3.

Wenn die bebrillten, modisch konservativen Verwaltungsbeamten da so schwa­dronieren über trostloses Privatleben, tristen Büroalltag, schäbige Arbeitsbedingungen und den Dilettantismus sowie die offensichtlichen Provokationen der Ausfüller all ihrer Vordrucke, wissen sie nur zu genau: „überdurchschnittlich langweilig“ ist kein klischeehaftes Vorurteil, sondern realistische Beschreibung ihrer Berufsgruppe. Räumt eine Frau im Schneckentempo eine Spülmaschine aus, heißt es selbstironisch: „Wäre das nicht eine für uns.“ Leere Blicke, schlaffe Körper, müde genervter Gesichtsausdruck lässt Diem im trägen Aufführungstonus vorherrschen. Weswegen auch ein sanfter Reggae-Groove in den Abend hineinführt.

Die Aufführung hält aber stets die Balance zwischen karikierender Zuspitzung, humorvoller Selbstreflexion und pointierter Dokumentation des Beamten-Wehleids. Wobei meist mit den Figuren, nicht über sie gelacht wird. Besonders elegant geht das Ensemble mit Zellers Sprache um, den musikalisch getriebenen, floskelhaften Satzverkürzungen und Wortfindungsstörungen. Ein raffiniertes Kunstidiom, das häufig der Realität abgelauscht ist und die Kämpfe der an und mit Sprache scheiternden Figuren zeigt.

Pointierte Textzeilen

Kein Gedanke wird zu Ende geführt, sodass Zuhörer ihn zu Ende denken müssen, was sie prima einbezieht ins Geplauder. Aber auch stresst, denn häufig geht es wortwiederholend, nach Worten ringend darum, etwas nicht zu sagen. Etwa wenn Bea die Beförderung verweigert wird, stottert Nele: „Das tut mir jetzt leid für dich, dass es / dass es für dich dieses Mal scheinbar / obwohl es eigentlich / eigentlich hätte es / hat dann aber eben nicht ganz, obwohl / du wärst ja eigentlich, wenn / aber / es gibt eben / es hat eben …“

Manchmal generiert Zeller auch hübsch pointierte Textzeilen wie: „Wenn ihr was wollt, dann könnt ihr mich jederzeit“, oder: „Meine Tochter ist jetzt 25 / und lebt vorübergehend immer noch bei mir / als außergewöhnliche Belastung“. Saskia Petzolds Darstellung der Bea ist kühn trotzig, traurig bockig, aufdringlich besserwisserisch, herrlich resolut, tapfer verbiestert und schwarzhumorig. Eine Frau, die wohl kaum jemand zum Essen einladen würde, deren Verhärtung aber auch berührt.

Alle anderen Darsteller agieren wesentlich oberflächlicher. Die Regie hält sie lässig zurück bei diesem Stück, das so witzig wie klug eine niedrigschwellige Auseinandersetzung über Sinn, Unsinn und Realität der angewandten Steuerpflicht ermöglicht.

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