„The Daily Telegraph“ wechselt Besitzer?: Übernahme aus der Wüste
„The Daily Telegraph“ könnte in den Besitz eines Golfstaats übergehen. Das passt dem konservativen Establishment nicht.
Die Familie Barclay, in deren Besitz die konservativ bis rechts positionierte Zeitung gemeinsam mit dem rechten Politmagazin The Spectator seit 2004 ist, verlor im Juni ihre Kontrolle darüber. Grund ist ein Schuldenberg in Höhe von umgerechnet 1,4 Milliarden Euro. Versuchen, finanzielle Unterstützung bei anderen britischen Medienbesitzern zu finden, kam ein besseres Angebot zuvor.
Das Investmentunternehmen RedBirdwill den Schuldenberg übernehmen. Hinter RedBirdverbirgt sich der Vizepräsident der Vereinigten Arabischen Emirate: Abu Dhabis Scheich Mansour bin Zayed Al-Nahyan. Mansour ist bekannt als Besitzer des Fußballvereins Manchester City.
Möglicher Einfluss von China oder Russland
Der bereits überwiesene Betrag sollte die Liquidation der Zeitung verhindern, der Deal ist aber noch nicht von den zuständigen Behörden abgesegnet. Das liegt an kritischen Stimmen aus den Reihen konservativer Politiker:innen, die sich gemeinsam in einem offenen Brief gegen die Übernahme durch einen anderen Staat aussprachen.
Der lauteste unter ihnen war der ehemalige Tory-Chef Iain Duncan Smith. In einem Meinungsstück im Daily Telegraph selbst sprach er von potenziellen Risiken, etwa möglichem Einfluss von China oder Russland auf Abu Dhabi. Gerade in einer Zeit der Beeinflussungsversuche in den sozialen Medien sei die Unabhängigkeit des Daily Telegraph wichtig.
Die Investitionsgesellschaft versprach, dass man die derzeitigen Redaktionen von Telegraph und Spectator unberührt lassen wolle, und betonte, dass die redaktionelle Unabhängigkeit essenziell für den Ruf und die Glaubwürdigkeit der Publikationen sei. Der Vorsitzende von RedBird, der ehemalige CNN-Chef Jeff Zucker, sagte sogar, er würde sein Amt niederlegen, sollte Abu Dhabi auf die Zeitung Einfluss nehmen.
Doch die für Medien verantwortliche Ministerin Lucy Frazer wollte sich nicht auf bloße Versprechen verlassen. Sie beauftragte die britische Wettbewerbsbehörde mit einer Überprüfung. Dabei geht es um die Frage, ob der Besitz der Zeitung durch einen fremden Staat eine Gefährdung der britischen Demokratie darstellen könnte. Ähnliches soll gleichzeitig von der britischen Medienaufsichtsstelle überprüft werden. Ergebnisse werden spätestens am 26. Januar erwartet.
Gefährdung der britischen Demokratie?
Auch wenn bisher keinem anderen Staat eine der großen britischen Zeitungen oder sonstige Medien als Ganzes gehören, war der Daily Telegraph im Privatbesitz keineswegs frei von Kontroversen. Als sie die Zeitung 2004 übernahmen, war der Sitz der Barclays in der Steueroase der britischen Kanalinseln. So anders als Abu Dhabi ging es dort nicht zu, denn erst 2008, also vier Jahre nach der Übernahme, gab es in den Kanalinseln die ersten demokratischen Wahlen seit 450 Jahren.
Die Barclay-Brüder David und Frederick standen Margaret Thatcher nahe und befürworteten später den Brexit. Sie haben ihr Kapital nicht nur auf den Kanalinseln, sondern etwa auch auf Bermuda angelegt und waren in Großbritannien von Steuerpflichten befreit. Der Ankauf der Zeitung soll durch Anleihen der Bank HBOS unter Peter Cummings, dem damaligen Chef der Immobiliensparte, gelaufen sein. Es war das größte Darlehen, das unter Cummings Führung je vergeben wurde.
Als HBOS 2008 fast kollabierte und von Lloyds Bank übernommen wurde, forderte Letztere die Rückzahlung der Anleihen. Das war der Beginn der Probleme der Barclays, denn auch zahlreiche ihrer anderen Unternehmen entstanden als kreditfinanzierte Übernahmen.
In Großbritannien kennt man sich aus mit der Beeinflussung von Medien durch ihre Besitzer: Times und Sun etwa gehören zum Murdoch-Imperium. Der 2021 gegründete rechte TV-Sender GB-News wurde durch Legatum, ein Investfond in Dubai, mitgegründet. 2010 übernahm der russische Oligarch Alexander Lebedew die Zeitung The Independent. Doch dass eine altehrwürdige Zeitung komplett vom Staatsoberhaupt eines anderen Landes, dazu noch einer Diktatur, übernommen wird, das wäre selbst für Großbritannien neu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles