Tesla in Brandenburg: Auf Sand gebaut
Schon im Sommer will das Tesla-Werk in Grünheide die Produktion hochfahren. Doch noch fehlt die endgültige umweltrechtliche Genehmigung.
Michael Ganschows Büro in Potsdam liegt versteckt. Das „Haus der Natur“, einst Wäscherei, zur DDR-Zeit ein Kindergarten, ist heute Domizil mehrerer Umweltverbände und Naturschutzgruppen. Dort ist man eher skeptisch gegenüber den Visionen von Elon Musk zur E-Mobilität, der Vernetzung von Hirnen und planetarischen Siedlungen. Die SPD-geführte Koalition mit Grünen und CDU hingegen ist ganz beseelt von dem Mann, der bereits darüber sinniert, sich am Ende seiner Tage wie ein Prophet auf dem Mars begraben zu lassen. Erzählt Wirtschaftsminister Jörg Steinbach von der SPD vom Tesla-Coup mit seinen über 10.000 Jobs, liegt ein Strahlen auf seinem Gesicht.
Die Grüne Liga pochte seit Beginn der Planungen darauf, dass die Belange des Naturschutzes nicht abgeräumt werden wie die 80 Hektar Wald Anfang 2020. Mit einem Eilantrag konnte sie die Rodung gerichtlich stoppen, allerdings nur für drei Tage. Über den Verband brach trotzdem ein „Shitstorm“ herein, erzählt Ganschow. Dabei hatten sie gute Argumente. „Die vorzeitige Zulassung der Rodung erfolgte ohne artenschutzrechtliche Bewertung. Das ist für mich eine Katastrophe.“ Obwohl die Frist für Einwendungen gegen das Vorhaben noch nicht verstrichen war, fielen die Bäume. Ganschow wundert es nicht, dass sich Wirtschaftsminister Steinbach einen Whisky einschenkte, als die Rodung genehmigt wurde.
Bis heute bleiben Fragen offen: In welche Gefährdungsstufe wird die Fabrik eingeordnet? In die höchste? Dann dürfte sie nicht in einem Wasserschutzgebiet stehen. Unklar ist, welche Chemikalien dort lagern werden. Das zu wissen ist für das Störfallrecht wichtig. Welche Umweltbelastungen ergeben sich aus der Batteriezellenfabrik, die auf dem Gelände entstehen soll? Und wie steht es um die Logistik? Tesla schweigt dazu. Eine Pressestelle gibt es nicht. Manchmal dringt die Kritik bis nach Kalifornien. Dann meldet sich Musk persönlich zu Wort. Wie neulich nach einer ZDF-Doku, als die Frage auftauchte, woher all das Wasser kommen soll für die Tesla-Pläne. „Wow, shame on ZDF Info“, fauchte Musk auf Twitter, ließ die Antwort aber offen.
David gegen Goliath
Sand ist ein schönes Stichwort. Zauneidechsen und Schlingnattern mögen es warm. An Hängen sonnen sich die geschützten Reptilien gern, es können auch Bahndämme und Autobahnböschungen sein. Von dort zieht es sie in ihre Winterquartiere unter den Bäumen. Deswegen ruhen die Bauarbeiten an der provisorischen Autobahnabfahrt am Tesla-Werksgelände, und auch am anderen Ende des 300 Hektar großen Geländes bleiben vorerst Bäume stehen. Im Dezember 2020 hatte die Grüne Liga zusammen mit dem Nabu Brandenburg mit einem Eilantrag vor dem OVG mehr Glück. Die Rodung eines Teilstücks wurde gestoppt.
Christiane Schröder, Nabu Brandenburg
Ein Erfolg? Ganschow winkt ab. Das Kräfteverhältnis ist zu eindeutig. Mit ausgestrecktem Arm präsentiert Ganschow, zusammengebundene Haare, Bart, Brandenburger Idiom auf den Lippen, die Landesgeschäftsstelle. Die schmalen Regale, die Ordner, die Computer, dazu ein bescheidenes Budget und viel Ehrenamt – das ist das Arsenal, um dem derzeit wertvollsten Autobauer der Welt – Börsenwert etwa 600 Milliarden Dollar – Zugeständnisse beim Artenschutz abzuringen. Ganschow arbeitet in Vollzeit, dazu kommen eine Teilzeitstelle und „Max“, Ganschow deutet auf einen Mann am Computer, der im Freiwilligen Ökologischen Jahr ist.
Und dann kommt Tesla, zieht im November 2019 Unterlagen für eine Autoproduktion aus dem Ärmel und will von den Umweltschutzverbänden binnen zehn Tagen eine detaillierte Stellungnahme. „Ein künstlich erzeugtes Tempo“, ist Ganschow überzeugt. Die Folge: Auf der Baustelle regiert Paragraf 8a Bundesimmissionsschutzgesetz, der vorzeitige Zulassungen erlaubt, wenn mit einem finalen positiven Bescheid gerechnet werden kann. Derzeit laufen der Einbau der Lackiererei, der Gießerei und des Presswerks.
Nach einem Tesla-Jahr und neun vorzeitigen Genehmigungen beschleicht Ganschow ein mulmiges Gefühl. „Dass in der Bundesrepublik so etwas schon einmal vorgekommen ist, ist mir nicht bekannt.“ Die Praxis wird Folgen haben. Was dem einen Unternehmen erlaubt wurde, kann einem anderen nicht versagt werden. Seit 1987, noch in der DDR und halblegal, ist Ganschow Umweltschützer. Er hat 1989 die Grüne Liga mitgegründet, ein dezentrales Netzwerk, ökologisch und basisdemokratisch, ein typisches Kind der Wendezeit. Die Grüne Liga ist im Osten aktiv, hat etwa 30.000 Mitglieder, jahrelang hat sie gegen Energieunternehmen gekämpft, gegen Vattenfall fast bis zum Ruin. Doch bei Tesla ist etwas anders, glaubt Ganschow. „Werden demokratische Grundregeln in eine Grauzone verschoben?“
Eine Etage höher ist im „Haus der Natur“ das Interieur funktionaler, der Geist jedoch derselbe. Vielleicht nicht ganz so impulsiv. Wo Ganschow mit den Armen rudert, bleiben Christiane Schröders Hände ruhig. Die Geschäftsführerin des Nabu Brandenburg tippt schnell noch etwas in den Computer. Ganschow hatte angedeutet, dass es Versuche gab, die Naturschutzverbände auseinanderzubringen. Wenn das so war, hat es beim Nabu nicht gefruchtet. Im Gegenteil. Vor einem Jahr war die Grüne Liga der einzige Brandenburger Verband, der gegen die Rodung klagte. Bei der zweiten ist der Nabu mit dabei.
Die Investruinen Brandenburgs
Rational, ruhig, nüchtern redet Schröder, stellt klar: „Es geht uns nicht darum, Tesla zu verhindern. Aber Tesla muss die Umweltvorschriften einhalten.“ Auch unter hohem Tempo. „Wenn sie so schnell sein wollen, müssten sie in der Lage sein, prüffähige Unterlagen vorzulegen.“ Immer wieder aber komme es zu Änderungen. „Das ist extrem schwierig für die Behörden und auch für die Bürger vor Ort.“ Man rede mit europäischen Tesla-Repräsentanten, und es sei unklar, wie gut sie mit den Verhältnissen in Grünheide vertraut sind. „Wir haben den Eindruck, dass Tesla sehr blauäugig rangeht. Da wird man misstrauisch, ob auch verantwortungsvoll mit der Natur umgegangen wird.“
Wenn die umweltrechtliche Genehmigung erteilt wird, werde man sie prüfen. „Ein Dogma, das sagt, wir klagen oder wir klagen nicht, gibt es nicht“, macht sie klar. Eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der Gigafactory bleibt. Sie zählt die Investruinen auf, von denen frühere Ministerpräsidenten einmal schwärmten: die Luftschiffwerft in Spreewaldnähe oder die Chip-Fabrik in Frankfurt (Oder). Gesellt sich die Tesla-Story einmal dazu? „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in zwanzig Jahren dasitzen und sagen, dass das eine tolle Idee war.“
So viel ist sicher – die finale Genehmigung dürfte weiter auf sich warten lassen. Frauke Zelt, Sprecherin des Umweltministeriums, stellt klar, dass es entgegen anderslautenden Berichten keinen Termin gebe, auch keinen vagen. Der grüne Umweltminister Axel Vogel, Herr des Verfahrens, hat sein Prinzip mehrfach bekräftigt: „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit.“ Mit Tesla ist das nicht wirklich kompatibel. Es könnte sein, dass Autos vom Band rollen, obwohl die finale Genehmigung noch fehlt – mit einer letzten vorzeitigen Zulassung für den Probebetrieb.
Doch wie Komponenten das Werk erreichen sollen, bleibt offen. Zwar gibt es noch ein altes Gleis, auf dem derzeit in einzelnen Waggons Baustoffe transportiert werden, der Bau eines richtigen Güterverkehrsanschlusses an das DB-Netz aber habe noch gar nicht begonnen, ist bei der Bahn AG zu hören. Zumindest liefen schon Gespräche. Wirtschaftsminister Steinbach hält eine Verzögerung beim Produktionsstart, geplant für Juli 2021, inzwischen für möglich. Schuldige hat er schon ausgemacht: Anwohner und Naturschützer.
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