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Telegram-Chef festgenommenGewaltige Dreckschleuder

Daniél Kretschmar
Kommentar von Daniél Kretschmar

Telegram-Chef Pawel Durow wurde festgenommen. Er soll zu wenig gegen kriminelle Aktivitäten unternehmen. Endet die Narrenfreiheit für die Tech-Bosse?

Telegram-Gründer Pawel Durow Foto: imago/reuters (montage taz)

K apital kennt keine Länder, Grenzen und Gefängnismauern. Ka­pi­ta­lis­t*in­nen jedoch, egal wie viel Kapital sie angehäuft haben, können nicht immer der Gravitation der von schnöden Sterblichen bewohnten Welt entkommen. Am Samstagabend musste das Pawel Durow auf die harte Tour erfahren. Der Gründer des Messengerdienstes Telegram wurde in Paris beim Verlassen eines Privatjets in Gewahrsam genommen. Ihm wird eine bunter Strauß an Beihilfen und Unterlassungen vorgeworfen.

Telegram nämlich ist in den vergangenen Jahren zu einer der wichtigsten Plattformen zur unkontrollierten Verbreitung von Desinformation, extremistischer Propaganda und Gewaltaufrufen geworden. Grund dafür ist unter anderem die einfache Bedienung, inklusive der Möglichkeit über unkompliziert einzurichtende Kanäle hundertausende Menschen zu erreichen. Selbst die Social-Media-Abteilungen traditioneller Medien experimentierten mit Telegram-Kanälen, um ihre Reichweiten zu erhöhen und neue Zielgruppen anzusprechen.

Der lange vorgehaltene verhältnismäßig gute Ruf des Messengers gründete noch auf die Konflikte Durows in Russland. Dort hatte er schon als Chef der ebenfalls von ihm gegründeten Social-Media-Plattform VKontakte in Auseinandersetzungen mit Putins Zensurbehörden wiederholt die Sperrung Oppositioneller verweigert. Später dann warb Telegram als einer der ersten Messenger mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der Kommunikation. Dass diese für die Massenkanäle gar nicht zur Verfügung steht, dazu nicht der voreingestellte Standard ist und sie außerdem als nicht besonders sicher gilt, tut der Populärität der App keinen Abbruch.

Durow und Telegram vertreten derweil eine Ideologie maximaler Redefreiheit und verweigern jegliche Moderation oder Einflussnahme auf die Inhalte der offenen Kanäle. Ob das tatsächlich aus Überzeugung oder einfach nur Bequemlichkeit und Geiz geschieht, ist im Ergebnis egal. Der Messenger ist eine Dreckschleuder von so gewaltigem Ausmaß, dass sich auch deutsche Behörden, bis hin zur Ministerialebene, mit ihr zu befassen versuchten. Ganz einfach gestaltete sich das nicht, lehnt Durow für gewöhnlich doch nicht nur die Zusammenarbeit, sondern überhaupt die Kommunikation mit staatlichen Institutionen ab.

Signalwirkung für Musk und Zuckerberg

Selbst für die üblichen Lobbyisten in Brüssel und den wichtigeren Hauptstädten der westlichen Welt war Durow offenbar das Geld zu schade. Von größeren Investitionen zur Schaffung von Abhängigkeiten in der lokalen Politik ganz abgesehen. Anders als beispielsweise Twitter/X-Chef Elon Musk mit seiner Tesla-Fabrik bei Berlin hat Pawel Durow keine Bilder mit dem deutschen Bundeskanzler im Fotoalbum.

Diese demonstrative Arroganz und auch die Tatsache, dass Durow seit 2021 französischer Staatsbürger ist, dürfte zu seiner aktuell etwas unpässlichen Lage geführt haben. Konsularische Hilfe wird dem unnahbaren Unternehmer, der noch einen Pass der Vereinigten Arabischen Emirate besitzt, nun ausgerechnet aus seiner früheren Heimat Russland angeboten. Nachdem die Versuche, Telegram dort zu sperren, wiederholt scheiterten, folgte ein Strategiewechsel. Seit einigen Jahren wird der Messenger außerordentlich wirksam vom russischen Propagandaapparat funktionalisiert.

Dass man Durow nun aus Moskau als Helden der Redefreiheit feiert, ist deshalb eine so ironische wie folgerichtige Wendung der Geschichte. Der Größenwahn, die narzisstische und zum Teil auch kriminelle Energie vieler erfolgreicher Start-up-Eigner (praktisch alles Männer), sind perfekte Andockpunkte für Geheimdienste, die ihren Einfluss auf neuen Informationskanälen geltend machen wollen. Die absichtlich obskur gehaltenen Eigentumsverhältnisse der größeren digitalen Plattformen helfen dabei, Abhängigkeiten zu verschleiern. Auch die genauen Besitzverhältnisse von Telegram bleiben bislang unklar.

Die Festnahme des Gründers kann deshalb auch dazu beitragen, mehr Transparenz über die geschäftlichen Aktivitäten seines Unternehmens herzustellen. Andererseits mag das Vorgehen der französischen Behörden auch ein Signal sein, dass man bereit ist, generell robuster und vor allem persönlich gegen die bisher kaum greifbaren Chefs der digitalen Plattformen vorzugehen. Tatsächlich wird es spannend zu beobachten sein, wie lange der Multimilliardär in Untersuchungshaft oder gar als Verurteilter im Strafvollzug verbleiben muss.

Sollte ein französisches Gericht ihn der Vorwürfe der Billigung und Förderung von Straftaten wie Hassrede und Gewaltaufrufen für schuldig befinden, drohen Durow bis zu 20 Jahre hinter Gefängnismauern. Das wäre keine schlechte Präzedenz als Strafe für fehlende Moderation, die auch Musk und Facebooks Marc Zuckerberg aufmerksam zur Kenntnis nehmen dürften.

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Daniél Kretschmar
Autor
Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Newsletter unter: https://buttondown.email/abgelegt
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14 Kommentare

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  • Erst aus Russland geflohen und dann im Westen festgenommen. Wenn es um die Kontrolle von sozialen Netzwerken geht, unterscheiden sich die Länder nicht allzu sehr - Werte hin, Werte her. Ist ja fast so, als ob man Autobahnbetreiber für illegale Autorennen haftbar machen möchte.

  • Hoffnung, dass es allen Milliardären ungemütlich wird, ist verfrüht. Die Tech-Bros sind keine Kumpel. Ihr Lebensinhalt ist, Nummer Eins zu sein. Das Lineal wird täglich angelegt. Durovs Ungemach nutzt seinen Konkurrenten. Deren Legal Teams entwerfen, am Muster der Vorwürfe gegen Durov sich orientierend, Strategien, damit es ihnen besser ergeht.

  • Wenn etwas strafrechtlich relevant ist und es einen Gerichtsbeschluss gibt, ist der natuerlich umzusetzen. Aber Telegram und Co sind keine Gerichte, es ist nicht ihre Aufgabe zu entscheiden, was der Meinungsfreiheit unterliegt und was nicht. Unsere Verfassung schuetzt unsere Grundrechte wie die Meinungsfreiheit gegenueber dem Staat, nicht gegenueber Telegram und Co. Wenn der Staat die Einschraenkung der Meinungsfreiheit an andere uebertraegt laufen Buergerrechte ins Leere.

    • @elektrozwerg:

      Gegen Durow wird wegen diverser Gesetzesverstöße im Zusammenhang mit Telegram ermittelt.



      Von daher ist Ihr post bezüglich Meinungsfreiheit obsolet

  • So wie ja jetzt schon das Angebot Russlands vorzuliegen scheint, Durow Schutz zu gewähren, wie würden sich wohl die USA verhalten, wenn man Musk oder Zuckerberg im Ausland verhaften würde?



    Wenn sich größenwahnsinnige Milliardäre mit eigenen "sozialen" Medien beim Staat unterkriechen können und sich dafür erkenntlich zeigen "dürfen", welcher Staat kann da nein sagen?

  • ... endlich mal ein Anfang — reste dur mes amis.

    Chapeau



    Fritz

  • Warum denke ich, es wäre eine tolle Nachricht wenn auch Musk und Zuckkerberg in Handschellen abgeführt würden....

    • @Perkele:

      Warum Zuckerberg? Was soll der denn verbrochen haben?

  • Die Festnahme ist ein Offenbarungseid der französischen Behörden.



    Sie kapitulieren vor dem Internet.

    "Moderation" funktioniert in kleinen Foren - auf riesigen Plattformen führt sie immer zu Overblocking und zum einseitigen Ausschluss von Meinungen, Darstellungsformen und/oder Personen.



    Das ist bei nur kurzer grundsätzlicher Erwägung so glasklar, dass man sich fragt, was Gesetzgeber mit ihrem Windmühlenkampf überhaupt bezwecken wollen.

    Das gilt ganz unabhängig davon, was man im Speziellen von telegram denkt.



    Speziell beim Verhältnis der russichen Staatsführung zu telegram zeigt sich jedoch, dass bei solchen Plattformen jede potentielle Ausrichtung volatil ist.

    Traurig zu sehen, dass unsere Zivilisation immer noch nicht darüber hinaus ist, sich am Überbringer der Nachrichten abzureagieren.

  • Jetzt bloß nicht heuchlerisch werden. Elon Musk ist der nächste!



    Grund: Auch X ist eine Plattform zur unkontrollierten Verbreitung von Desinformation.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Nun ja zwischen Ihren persönlich gefühlten Unwahrheiten auf X und dem was dem Telegramgründer vorgeworfen wird, bestehen doch noch erhebliche Unterschiede:



      "Den Sendern TF1 und BFMTV zufolge haben die Behörden Vorermittlungen gegen Durow eingeleitet wegen des Verdachts, er habe sich durch fehlendes Eingreifen und unzureichende Kooperation mit den Ordnungskräften des Drogenhandels, Betrugs und Vergehen im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch mitschuldig gemacht."

    • @Troll Eulenspiegel:

      Besser als eine kontrollierte Verbreitung von (Des) Informationen (z.B. Nordkorea)

  • Dass auf Telegram maximale Redefreiheit herrscht, stimmt einfach nicht. Wie der Fall Nawalny gezeigt hat der FSB bei Themen, die Russland wirklich wichtig sind, unbegrenzte Vetorechte. Als die Nawalny-Affäre hochkochte, war blitzschnell eine hoch effektive Totalzensur zu diesem Thema auf allen Telegram-Kanälen implementiert. Dass zu weniger wichtigen Themen und von unbekannteren Oppositionellen auch reichlich über Russland gelästert wird, ist kein Widerspruch, sondern Teil des Deals.

  • Mindestens im öffentlichen Bereich und bei großen halböffentlichen Gruppen (20+) sollten die sog. sozialen Medien endlich als das betrachtet werden, was sie de-facto sind: Medien.

    Die Inhalte vom Medium zu trennen ist in meinen Augen einer der beeindruckendsten Lobbyisten-Erfolge der Neuzeit. Jede Zeitung ist für die Inhalte auf ihren Internetseiten verantwortlich - es wird Zeit, dass auch die Produkte von "Meta", "Alphabet", TikTok & Co. endlich wieder in die Verantwortung genommen werden. Sie veröffentlichen, sie verdienen daran, sie sind verantwortlich. Wenn das wirtschaftlich nicht tragbar ist, dann ist das eben so. Manche Businessmodelle funktionieren eben nicht. Wird auf Youtube gehetzt, dann bekommt Google eben eine Anzeige. Fertig.

    Warum so getan wird, als sei Youtube nur Infrastruktur zur Veröffentlichung von Filmen ist mir schleierhaft. Vielleicht haben die einfach genug gegen jeden Politiker in der Hand, um ihn handzahm zu halten? Wer weiß das schon. Es wird auf jeden Fall Zeit, das zu ändern.