Tegel wird zur „Urban Tech Republic“: Auf dem Holzweg
Auf dem Flughafengelände sollen innovative Firmen und die Beuth Hochschule Platz finden. Und mit dem Schumacher Quartier die weltgrößte Holzstadt.
Doch sind deshalb all die Pläne, die Bouteiller und seine fast 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickelt haben, Makulatur? Schließlich musste er acht Jahre warten, bis am 8. November 2020 die letzte Maschine in Tegel abhebt und er mit seiner Zukunft loslegen kann. Verlorene Zeit?
Zumindest Zeit, die es wieder aufzuholen gilt, sagt der 52-Jährige in den Räumen seiner Gesellschaft in der Charlottenburger Lietzenburger Straße. „Schon damals war unser Thema der Klimawandel. Wir haben uns gefragt: Wie schaffen wir es, als Urban Tech Republic und mit einem neuen Stadtquartier auf diese Herausforderung zu reagieren?“
Die Antworten, die die Planerinnen und Planer damals hatten, waren Elektromobilität, die Konzentration des individuellen Verkehrs auf einige wenige Umsteigepunkte, die Speicherung des Regenwassers nach dem Prinzip der Schwammstadt, die Entwicklung neuer Energielösungen. „Doch damit beschäftigen sich inzwischen alle“, verdeutlicht Bouteiller den Zeitverlust. „Wir gehen deshalb einen Schritt weiter und sagen: Unser großes Thema heute ist die Kreislaufwirtschaft.“
Null Emissionen und Regenwassermanagement
Für Engelbert Lütke Daldrup war der 31. Oktober ein symbolischer Termin. Zwei Landungen kurz nacheinander auf dem neuen BER waren die heiß ersehnte Eröffnung, auf die der Flughafenchef seit 2017 hingearbeitet hatte. Luftfahrtrechtlich viel wichtiger aber war der 4. November. An diesem Tag wurde die südliche Start- und Landesbahn des BER in Betrieb genommen. "Mit dem gleichzeitigen Betrieb beider Start- und Landebahnen", teilte die Flughafengesellschaft mit, "beginn die 180-tägige Frist für die Schließung von TXL gemäß Planfeststellungsbeschluss. Allerdings wird Tegel nur noch symbolisch offen gehalten, denn der letzte Flug startet am 8. November. Um 15 Uhr fliegt Air France nach Paris. (wera)
Kreislaufwirtschaft, das bedeutet nicht nur null Emissionen und Regenwassermanagement, es heißt auch, den stofflichen Lebenszyklus dessen in den Blick zu nehmen, was auf dem früheren Flughafengelände entstehen wird. Deshalb haben Bouteiller und seine Mitarbeiter den Schalter an einer Stelle noch einmal umgelegt. Aus dem Schumacher Quartier, der Wohnstadt der Urban Tech Republic, soll die mit mehr als 5.000 Wohnungen weltweit größte Holzstadt werden.
Die Idee mit dem Holzbau hatte Regula Lüscher. „Es ist ja kein Geheimnis, dass ich aus einem Alpenland komme“, lacht Berlins Senatsbaudirektorin, die vor 13 Jahren aus Zürich nach Berlin gekommen ist. In der Schweiz, aber auch in Österreich, hat der Holzbau eine lange Tradition. Dort sitzen auch die Firmen, die das entsprechende Know-how haben.
„Das ist natürlich eine Herausforderung für uns“, weiß Lüscher um die Aufgabe, einen komplett neuen Industriezweig in Berlin heimisch zu machen. „Die lokale Holzbauindustrie in Berlin und Brandenburg ist noch nicht so groß. Die muss sich erst noch entwickeln.“ Die meisten Angebote für die Kitas und Schulbauten, mit denen der Holzbau in Berlin vor einigen Jahren Fahrt aufgenommen hat, kamen von Firmen aus Süddeutschland oder Österreich. „Aber natürlich hat auch Brandenburg viel Holz“, sagt Lüscher. „Das ist der Grund, warum wir jetzt überlegen, in Tegel nicht nur das Schumacher Quartier aus Holz zu bauen, sondern dazu noch einen Produktions- und Innovationsschwerpunkt zum Holzbau entwickeln wollen.“
Holzbauhütte oder Bauhütte 4.0 soll das Projekt heißen. Ein verheißungsvoller Name, waren in den Dombauhütten des Mittelalters doch die besten Architekten ihrer Zeit zusammengekommen, um nach wegweisenden Lösungen für ihre Bauaufgabe zu suchen. Inzwischen hat eine Studie, die die Tegel Projekt GmbH von Philipp Bouteiller in Auftrag gegeben hat, den Nachweis erbracht, dass eine solche Bauhütte machbar ist. Mit an Bord sind auch das Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK sowie die Technische Universität Berlin. Am 12. November werden die Ergebnisse der Studie der Öffentlichkeit vorgestellt.
„Kreislaufwirtschaft machbar“
„Die Studie sagt, dass wir auf dem Gelände der Urban Tech Republic nicht nur das Holz für das Schumacher Quartier verarbeiten und die Bauteile vorfertigen können“, freut sich Lüscher. „Auch eine Kreislaufwirtschaft ist machbar. Sie reicht von der Produktion vor Ort über die Konstruktion der Bauten bis zu einem etwaigen Rückbau.“ Mit der Studie in der Tasche, meint Lüscher, „können wir jetzt weitere Partnerinnen und Partner gewinnen“.
Dass das Schumacher Quartier am Kurt-Schumacher-Platz einmal zu den spannendsten Teilprojekten der Tegel-Nachnutzung gehören würde, war nicht abzusehen. Als Bouteiller mit der Planung begonnen hat, war Berlin noch keine wachsende Stadt. Nur 1.500 Wohnungen sahen die ersten Planungen auf dem östlichen Gelände des Areals vor. Nachdem 2013 der Masterplan für die Urban Tech Republic beschlossen worden war, war die Zahl der zu bauenden Wohnungen dann aber auf über 5.000 gestiegen.
Langfristig kommen mit dem Quartier TXL Nord und der Cité Pasteur fast noch einmal so viele Wohnungen dazu (siehe Grafik). Von Holzbau aber ist im Masterplan noch keine Rede. „Doch bei der Tegel Projekt GmbH“, erinnert sich Senatsbaudirektorin Lüscher, „habe ich mit meinem Vorschlag sofort offene Türen eingerannt.“
Begeistert ist auch Andreas Otto. Lange Zeit war der grüne Bauexperte im Abgeordnetenhaus ein Rufer in der Wüste. „Die FDP hat mich manchmal sogar Holz-Otto genannt“, erinnert er sich. Dabei war sich die rot-rot-grüne Koalition auf Initiative Ottos schon 2016 einig, dass der Holzbau ein wichtiges Thema sei. Zwei Jahre später wurde die Bauordnung dahin gehend geändert, dass nun auch der Geschosswohnungsbau mit Holz erleichtert wurde. Um die Bedeutung des Holzbaus für das Klima zu unterstreichen, zitiert Otto gerne den Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber: „Der hat einmal in einem Vortrag gesagt, wir müssten aus Klimagründen zu 100 Prozent aus Holz bauen.“
„Die regionale Wirtschaft stärken“
Der Campus Wie die Tegel Projekt GmbH wartete auch die Beuth Hochschule auf das Ende des Flugbetriebs in Tegel. Der neue Campus soll ins berühmte Terminal A ziehen (siehe Grafik). Baubeginn soll 2023 sein, Fertigstellung 2027. Der Campus im Wedding bleibt bestehen. In Tegel haben die Studierenden dann Kontakt zum Terminal B, wo ein Gründungs- und Innovationszentrum entstehen soll, und zum Terminal D mit Technologiezentrum und Laboren. Der Umbau soll 365 Millionen Eiuro kosten.
Gewerbe und Industrie Wenn die Tegel Projekt GmbH am 4. Mai 2021 Hausherrin in Tegel wird, geht das große Umbauen los. Verkehrswege müssen gebaut, Leitungen gelegt werden. Das Besondere am Gewerbeband und den beiden Industrieparks sind die Firmen, die sich dort ansiedeln. Innovation, Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft werden groß geschrieben. Die Auswahl übernimmt die Tegel Projekt GmbH. „Wir sind da quasi Kuratoren“, sagt deren Geschäftsführer Philipp Bouteiller.
Der Verkehr Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich Philipp Bouteiller gerne eine Verlängerung der U-Bahn bis zur Urban Tech Republic gewünscht hat. Nun soll es die Straßenbahn richten. Sie soll vom U- und S-Bahnhof Jungfernheide zum ehemaligen Flughafen führen. Geplanter Baubeginn ist 2026. Berlin ist wie immer spät dran. (wera)
Otto selbst nennt vier Gründe, warum Holzbauten das Gebot der Stunde seien. „Wir tragen zur Klimarettung bei, weil wir CO2 einlagern, statt es in den Zementfabriken in die Luft zu pusten“, zählt er auf. „Dann bauen wir mit Holz schneller, weil sich die Bauteile vorfertigen lassen. Die Leute fühlen sich in den Gebäuden wohl, und wir können die regionale Wirtschaft stärken.“ Wie Regula Lüscher hofft auch Andreas Otto auf Berlin als Standort einer Zukunftsbranche, die es bisher in der Region nicht gab.
Doch Otto weiß auch, dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist. Von zentraler Bedeutung sei es deshalb, dass sich zunächst die Holzbranche in der Region ansiedelt. Erste Beispiele gibt es schon. So hat die österreichische Firma Kaufmann Bausysteme, die in Berlin unter anderem die Sekundarschule in Mahlsdorf gebaut hat, in Treptow-Köpenick eine Montagehalle eingerichtet. „Damit können die Hölzer in der Region vorgefertigt werden, und die Raumzellen, die etwa die Größe von Schiffscontainern haben, müssen nicht mehr aus Österreich angeliefert werden“, sagt Otto.
Für die Mahlsdorfer Schule hat Kaufmann Bausysteme 2019 den erstmals vom Senat ausgelobten Berliner Holzbaupreis in der Kategorie Neubau gewonnen. Auch das Genossenschaftsprojekt „Gemeinschaftswohnen Wedding“ in der Lynarstraße war unter den Preisträgern.
Inzwischen haben auch Fachzeitschriften oder Portale wie holzbauaustria oder lignum.ch große Storys über das Schumacher Quartier veröffentlicht. Doch Andreas Otto weiß, dass das nur ein erster Schritt ist. Der nächste sei die Gründung der Bauhütte. „Damit können wir das Bauen vor Ort mit der Forschung verknüpfen.“ Immerhin sei die Umplanung des Schumacher Quartiers für die Wirtschaft ein starkes Signal. Denn mit den 5.000 Holzwohnungen wird Berlin ein deutlich größeres Holzquartier schaffen als etwa Wien mit der Seestadt Aspern oder München mit dem Umbau der Prinz-Eugen-Kaserne. „Tegel kann für den Holzbau der lang ersehnte Durchbruch sein“, meint Andreas Otto.
Wohnungsbaugesellschaften im Dilemma
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Lüscher und Otto nicht bei jedem offene Türen einrennen. Vor allem die Wohnungsbaugesellschaften sind noch zurückhaltend. „Die Baupreise beim Geschosswohnungsbau aus Holz liegen derzeit noch etwa 10 Prozent über dem für herkömmliches Bauen“, sagt Tegel-Projekt-Chef Bouteiller.
Und Regula Lüscher ergänzt: „Die Wohnungsbaugesellschaften wissen, dass es erst mal teurer ist. Die sind im Dilemma. Auf der einen Seite sollen sie nachhaltig bauen, auf der anderen Seite sollen sie preiswerte Wohnungen bauen.“ Ohne eine zusätzliche Förderung gehe es also nicht, ist Lüscher überzeugt. „Wir müssen die Wohnungsbaugesellschaften in der Anfangsphase unterstützen.“
Langfristig aber, da sind sich Bouteiller und Lüscher einig, können die Baukosten nicht nur auf den Durchschnitt gesenkt werden. „Wenn der Bauprozess vor Ort stattfindet, wenn viel gebaut wird und wenn wir serielle Lösungen finden“, sagt Lüscher, „können wir die Baukosten auch unter den Schnitt senken.“
Doch das ist noch Zukunftsmusik, ebenso wie die Idee von Andreas Otto, in Berlin ein erstes Hochhaus aus Holz zu bauen. Auch die Idee, irgendwann einmal eine landeseigene Bauhütte aus dem Boden zu stampfen, ist noch nicht konkret unterfüttert. Vorerst heißt es, Fördermittel zu akquirieren, um pünktlich zum Baubeginn des Schumacher Quartiers die notwendige Infrastruktur vor Ort zu haben.
Der Zeitplan ist sportlich
Denn der Zeitplan, den sich die Verantwortlichen für den Baubeginn gesetzt haben, ist sportlich. „Wir wollen so schnell wie möglich beginnen“, betont Regula Lüscher. Mit den Bebauungsplänen sei man im Schumacher Quartier bereits sehr weit fortgeschritten.“ Wenn die Tegel Projekt GmbH startet, müsse auch die Infrastruktur, also Straßen und Versorgungsleitungen, bereitgestellt werden. „Parallel dazu werden wir die Ausschreibungen für die Grundstücksvergaben machen“, kündigt Lüscher an. „Das sind einmal die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, aber auch Grundstücke, die wir im Rahmen von Konzeptverfahren an Genossenschaften geben wollen.“ Ziel sei ein gemischtes Quartier, betont Lüscher. „Ich gehe davon aus, dass wir 2023 die ersten Planungsvorgaben haben und gleich starten können.“
Auch Philipp Bouteiller kann es gar nicht erwarten. „Ich freue mich schon darauf, loszulegen“, sagt der Tegel-Projekt-Chef und verteilt gleich noch ein paar Dankesworte. „Die Radikalität, mit der das jetzt passieren wird, haben uns Regula Lüscher und die ehemalige Bausenatorin Katrin Lompscher ermöglicht. Das hat den Durchbruch möglich gemacht. Jetzt können wir den Holzbau neu erfinden.“ Wobei das „Jetzt“ etwas übertrieben ist, denn Hausherr in Tegel wird Bouteiller erst nach Ablauf einer sechsmonatigen Frist. „Tegel wird am 4. Mai an uns übergeben“, sagt er. „Vorher sind wir nur Gast auf dem Gelände.“
Aber schon im nächsten Sommer soll es für alle Berlinerinnen und Berliner geöffnet werden. „Wenn es Corona zulässt, wird es einen Tag der offenen Tür geben“, freut sich Bouteiller. Dann kann die Tegel Projekt GmbH allen zeigen, dass sie der Zeit doch wieder voraus ist.
Denn der Zeitverlust, weiß Bouteiller, war eigentlich ein Zeitgewinn. „Wären wir 2012 gestartet“, weißt er, „hätten wir keine Holzstadt bauen können.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen