Forscherin über Smart Cities: „Smart Cities verschärfen Klüfte“
Digitalisierung steigere weder die Lebensqualität in Städten, noch sei sie ressourceneffizient, sagt die Grazer Wirtschaftsgeografin Anke Strüver.
taz: Frau Strüver, ist es schon eine Smart City, wenn Google einen Campus mit Büros und öffentlichem WLAN plant?
Anke Strüver: Was eine Smart City eigentlich genau ist, weiß niemand so richtig – nicht einmal die großen Unternehmen, die diese anbieten. Da hat jeder seine eigene Auslegung: Manchmal sind es bestimmte Infrastrukturen, die digital gesteuert werden, Stichwort: Verkehrsfluss-Management. Es gibt aber auch Neubauwohngebiete wie in Wien oder Graz, die zwar ein digitales Ressourcen-Management haben, aber nicht mit großen Unternehmen kooperieren. „Smart“ bezieht sich dann darauf, dass diese Orte neu und angesagt sind. Wenn Google oder Amazon Gebäude in Städten beziehen, dann sehe ich da vor allem die Niederlassung eines Technologie-Unternehmens. Der schicke Campus oder die Büros sind dann bloß deshalb im urbanen Raum, weil das Leben dort hip ist.
Anke Strüver ist Professorin für Sozial- und Wirtschaftsgeografie an der Karl-Franzens-
Universität Graz. 2018 veröffentlichte sie mit Sybille Bauriedl das Buch „Smart City –
Kritische Perspektiven auf Digitalisierung in Städten“.
Welche Interpretation des Begriffs ist die geläufigste?
In meiner Wahrnehmung wird „smart“ vor allem mit einer digitalisierten Infrastruktur gleichgesetzt – und zwar mit einer, die nicht in den Händen der Stadt ist, sondern in den von Unternehmen. Ein häufiges Argument ist, dass dadurch Ressourcen gespart werden können. Eine Smart City, die tatsächlich Ressourcen spart, ist mir allerdings nicht bekannt. Allein die Server, die die Daten verarbeiten, verbrauchen so viel Energie, dass von Ressourcen-Effizienz und -Reduktion nicht gesprochen werden kann.
Gibt es so etwas wie eine Blaupause für Smart Cities?
Ein Vorbild ist das Modell, das IBM Anfang der 2000er Jahre vorgestellt hat. Die haben auch den Begriff schützen lassen. Unabhängig davon, wie der „Smart“-Begriff seitdem ausgelegt wird, muss man zwischen zwei Varianten unterscheiden: Es gibt zum einen die sogenannten Bestandsstädte, die bereits existieren und eine digitale Infrastruktur implementieren, zum anderen solche, die als Smart City entworfen wurden, etwa Songdo in Südkorea oder Masdar in den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Wie lebt es sich in am Reißbrett geplanten Smart Cities?
Es gibt empirische Beobachtungen dazu, dass diese Städte nicht gut bewohnt sind und die Lebensqualität erschreckend gering ist. In Masdar hat ein Student von mir gearbeitet und erzählt, dass es die Hölle gewesen sei. In jedem Gebäude ist alles digital gesteuert, man hat keinen Einfluss auf die Raumtemperatur oder darauf, ob die Jalousie herunter- oder hochgeht. Für viele Menschen ist das unattraktiv: Masdar ist nur zu einem Drittel bewohnt.
Wer sind die Unternehmen hinter den Smart Cities?
Neben IBM ist Hitachi stark vertreten, vor allem in Südamerika. In Europa und speziell in Deutschland ist Cisco ganz vorne, etwa in Hamburg. Das Unternehmen will dort unter anderem durch angepasste Ampelschaltungen Staus zuvorkommen. In Toronto hat der Google-Mutterkonzern Alphabet eine Digital City geplant, die Pläne sind allerdings geplatzt. Meist handelt es sich also um etablierte Unternehmen.
Wer sind weitere Akteur:innen beim Entstehen von Smart Cities?
Vor allem die Stadtregierungen, die häufig von den großen Unternehmen angesprochen werden. Das Betreiben kostet die Stadt zwar Geld, dafür wird ihr aber die Regelung bestimmter Infrastruktur-Einrichtungen abgenommen. Das erscheint ihnen attraktiv: Zum einen werden sie einen Teil ihrer Daseinsvorsorge-Aufgaben los, zum anderen können sie im internationalen Wettbewerb gut abschneiden. Es gab in den letzten fünf Jahren eine große Konkurrenz, wer die smarteste Stadt ist. Auch Forschungseinrichtungen sind wichtige Akteure. Die meisten europäischen Einrichtungen sind von EU-Geldern abhängig, die ausgeschriebenen Forschungsschwerpunkte „Digitale Infrastruktur“ und „Digitale Städte“ seit fünf Jahren ein Dauerbrenner. Wenn man eine EU-Förderung hat, ist das also keine unabhängige Grundlagenforschung. Da werden automatisch die positiven Effekte hervorgehoben.
Gibt es da eine besonders starke Verflechtung von Politik und Wirtschaft?
Sogenannte Public-Private-Partnerships gab es auch schon vor den Smart Cities. Da ging es aber um ein bestimmtes Problem in einem Viertel oder um Grünraumgestaltung. Die Bindung an eine Firma wie IBM oder Cisco ist ein neueres Phänomen. Smart Cities spiegeln den Trend wider, dass öffentliche Versorgung immer weniger von der Stadt gewährleistet werden kann und will.
Ihr Ansatz ist, „smart“ im Sinne der Bewohner*innen zu interpretieren.
„Smart“ heißt eigentlich schlau – eine Smart City ist also eine schlaue Stadt, die gut funktioniert und Urbanität als zwischenmenschliche Lebensqualität versteht – und nicht als etwas digital Gesteuertes.
Meint Ihr Konzept noch etwas anderes als das von vielen Initiativen geforderte „Recht auf Stadt“?
So wie ich mir das vorstelle, ist „smart“ eng am Recht-auf-Stadt-Begriff: ein Recht auf die Qualitäten des dichten Zusammenlebens im urbanen Raum, der viele Möglichkeiten bietet. Da schwingt auch mit, dass alle das gleiche Recht darauf haben, in bestimmten Stadtteilen zu leben. Das ist etwas, das Smart Cities gar nicht mehr praktizieren. Sie verschärfen digitale Klüfte, indem einige Stadtteile eine bessere Infrastruktur haben, sodass andere Bewohner*innen abgehängt sind.
Treibt Corona die Digitalisierung und damit den Smart-City-Trend voran?
Die Pandemie hat die Digitalisierung auf jeden Fall selbstverständlicher gemacht. Lieferdienste haben enorm an Bedeutung gewonnen. Wir alle haben schon einmal eine Pizza digital bestellt. Das ist nicht so abstrakt wie eine Verkehrssteuerung, die die Stadt an ein Unternehmen abgibt.
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