Technoparade Zug der Liebe in Berlin: „Revolutionäre Kraft“
Nach dem Riesenrave im Juli zieht der Zug der Liebe durch Berlin. Es gebe schlicht ein Grundbedürfnis nach Paraden, so Technolegende Jürgen Laarmann.
taz: Herr Laarmann, Anfang Juli fand in Berlin die Technoparade Rave the Planet statt. Mehr als 200.000 Leute kamen, gerechnet wurden mit zehnmal weniger. Ist die Loveparade, wenn auch unter anderem Namen, wieder da?
Jürgen Laarmann: Paraden erfreuen sich in Berlin ja allgemein großer Beliebtheit. Es gibt den CSD, die Hanfparade, die Fuckparade und an diesem Wochenende den Zug der Liebe. Rave the Planet hat sich nun aber tatsächlich an die Poleposition unter den Paraden gesetzt. Mit im Grunde dem gleichen Konzept wie damals bei der Loveparade. Allerdings auch mit den gleichen Fehlern, die dann auch ein bisschen an der Person Dr. Motte festzumachen sind.
Was meinen Sie?
Eigentlich – das muss man ganz ehrlich sagen – geht es gar nicht, dass jemand quasi wie ein Götzensymbol dieses Querdenkerzeichen hochhält, wie das Motte bei Rave the Planet getan hat. Klar kann man nachher sagen, man habe von nichts gewusst. Aber das war ja auch nicht der erste Ausfall von Motte in Richtung Rechts und Komisch. Ich weiß, dass der kein Nazi ist, das ist unbestritten. Er ist halt ein spezieller Mensch, der an einigen Stellen nicht den wirklichen Überblick hat. Rave the Planet war also schon ein großer Erfolg, den Motte aber in seiner unnachahmlichen Weise mit seinem Flirt mit der Querdenkerei etwas kaputtgemacht hat.
Jürgen Laarmann
54, war zeitweise Mitorganisator des Riesenraves Mayday und der Loveparade sowie Gründer und Herausgeber des Technomagazins „Frontpage“. Heute arbeitet er als Publizist und wohnt in Kreuzberg.
Sie kennen Dr. Motte gut?
Ich habe mit ihm jahrelang die Loveparade mitveranstaltet, von 1991 bis 1997. Motte soll diese ja gegründet haben, aber dazu gibt es auch unterschiedliche Versionen. Mottes Funktion war, dass wir halt jemanden brauchten, der nicht so viel nachdenkt und den nervigen Job übernimmt, die Demo anzumelden. Das begründet letztlich Mottes legendären Ruf als Loveparade-Erfinder. Dabei hatte er eigentlich nichts zu melden, und man war froh darüber und hat dafür gesorgt, dass das auch so blieb.
Macht das Organisieren von Paraden so viel Spaß? Und will man damit wirklich etwas bewegen oder geht es vor allem ums Geldverdienen?
Jürgen Laarmann, Technopionier
Paraden zu organisieren ist keine Freude. Eine Party mit Eintritt zu organisieren, das ist okay. Bei einer Parade aber gibt es keinen Eintritt, sondern nur Ärger. Es gibt das Mülltheater: Du musst alles dafür tun, den Demo-Status zu bekommen, und es kann so viel passieren und am Ende bist immer Du schuld. Kohlemäßig ist in meiner Loveparade-Zeit schon was rumgekommen. Aber längst nicht die Beträge, die sich die Leute so vorgestellt haben. So was wie 50.000 Euro vielleicht für einen Gesellschafter der für die Loveparade gegründeten GmbH. Aber vom Big Business wie heute bei Technofestivals wie „Tomorrowland“ oder „Nature One“ war das weit entfernt.
Zug der Liebe Am kommenden Samstag zieht der Zug der Liebe durch Berlin. Start ist um 13 Uhr am Mauerpark. Die Route der antikommerziellen Technoparade führt dann über die Danziger und Petersburger Straße, die Karl-Marx-Allee nach Kreuzberg zum Moritzplatz. Bisher nehmen 13 Wagen teil. Die Party danach findet im Ritter Butzke statt. Der Zug der Liebe findet seit 2015 statt. Im vergangenen Jahr nahmen unter Corona-Auflagen je nach Zählung zwischen 5.000 und 10.000 Menschen teil.
Fuckparade Am 3. September zieht dann die Fuckparade durch Berlin. Sie startet um 14 Uhr am S- und U-Bahnhof Tempelhof.
Rave the Planet Anfang Juli waren rund 200.000 Menschen bei der von Dr. Motte organisierten Parade durch Berlin zur Siegessäule gezogen. Tags darauf hatte es insbesondere bei Twitter Kritik gegeben, weil Motte während der Parade ein Symbol der von Coronaleugnern organisierten Freedom Parade hochgehalten hatte. Der DJ reagierte in einem Tweet: "Ich wusste das nicht. Ich entschuldige mich." (taz)
Und bezüglich der Message, die man vermitteln möchte?
Ich mag bei diesem Punkt den Zug der Liebe sehr. Der hat Charme und die Organisatoren stecken viel Herzblut hinein. Der hat nicht so den Größenwahn wie damals die Loveparade und jüngst Rave the Planet mit der Siegessäule, zu der man zieht mit den riesigen Monstertrucks. Der Zug der Liebe ist eine gemeinnützige Veranstaltung, die sich für Obdachlose bis hin zur Tiertafel einsetzt. Die hatten nie den Anspruch, riesengroß zu werden – und das nehme ich ihnen auch ab.
Wollen die Leute gerade Paraden, weil nach der harten Coronazeit das Bedürfnis groß ist, sprichwörtlich auf der Straße zu tanzen?
Hundertprozentig. Aber es gibt einfach auch ein Grundbedürfnis nach Paraden. Und mit Rave the Planet wurde ein Bedürfnis befriedigt, das nach der letzten Loveparade 2006 in Berlin immer da war. Es würde mich auch nicht wundern, wenn beim nächsten Mal eine halbe Millionen Leute kommen.
Freut Sie es, dass Techno, den Sie damals mit groß gemacht haben in Deutschland, immer noch so eine Kraft zu entfalten vermag?
Ich bin da total zwiegespalten. Einerseits freue ich mich durchaus darüber, dass das, was wir damals angestoßen haben, heute immer noch lebt und die Leute Spaß daran haben. Andererseits muss ich ganz ehrlich sagen, dass es mir nicht unbedingt wie der Gipfel der Originalität vorkommt, wenn junge Leute heute den Tanz nachtanzen, den wir schon aufgeführt haben, als wir noch jung waren. Für mein persönliches Entertainment habe ich mir auch immer gewünscht, dass die nächste Generation total abgefahren ist und lauter Dinge macht, die ich nicht mehr verstehe. Dass alle mindestens so aussehen wie Sigue Sigue Sputnik und total durchgeknallt sind. Aber das Gegenteil ist eingetreten und alle sind total angepasst.
Ein Stück weit ist die Paraden-Begeisterung auch Teil des grassierenden Neunziger-Revivals, oder?
Sicherlich. Aber warum sind die Neunziger gerade überhaupt wieder so angesagt? Sie waren ein Jahrzehnt der großen Unbeschwertheit. Damals dachten wir, es ist Weltfrieden, die Mauer ist gefallen, und es gibt nie wieder Krieg. Wir hatten Spaß, Techno, und es wurde sehr opulent gelebt. Jetzt heißt es nur noch: sparen, das Gas ist weg, schlechte Laune, Corona. Da kann man also schon mal Sehnsucht nach den Neunzigern kriegen.
Werden die Technoparaden jetzt wieder von Jahr zu Jahr größer, wie damals sukzessive die Loveparade?
Angenommen, es wird ein harter Winter, alle frieren und die Preise steigen weiter, dann kann so eine Parade eventuell sogar eine revolutionäre Kraft entwickeln. Die Musik hat schon noch die Power dafür. Für den Zug der Liebe wird das aber nicht gelten: Im Moment ist die allgemeine Unzufriedenheit noch nicht groß genug.
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