Tech-Branche will Atomkraft verwenden: Ein tückisches Narrativ
Die Tech-Branche will alte Atommeiler hochfahren und sogar neue bauen. Geht's noch? Der Energiebedarf fürs Digitale muss ausgehandelt werden.
P roblematische Themen rund um die künstliche Intelligenz gibt es genug: Gefahr für die Demokratie, Quelle von algorithmischer Diskriminierung, unfaire Konkurrenz für Künstler:innen, Black Box. Als wäre das alles nicht genug, holen die IT-Konzerne nun noch was aus ihrem Dystopie-Nachschlagewerk.
Gerade kündigt ein Konzern nach dem anderen – Amazon, Microsoft und diese Woche auch Google – an, wieder auf Atomkraft setzen zu wollen. Microsoft will dafür sogar dem Nachbarreaktor des in den 1970er Jahren havarierten AKW in Harrisburg wieder zur Inbetriebnahme verhelfen. Und von Michael Terrell, Senior Director für Energie und Klima bei Google, kommt dieser Satz: „Wir sind der Meinung, dass Kernenergie eine wichtige Rolle spielen kann, um unseren Bedarf rund um die Uhr auf saubere Weise zu decken.“
Das ist in mehrerlei Hinsicht ein tückisches Narrativ. Denn eigentlich sollte längst klar sein: Atomkraft ist alles andere als sauber. Klar, es wird nichts verbrannt, was unmittelbar als CO2 aus dem Schornstein käme. Aber sauber? Der Weltklimarat IPCC bezifferte die Emissionen in seinem 2014er-Bericht auf bis zu 220 Gramm CO2-Äquivalente pro Kilowattstunde. Windparks kommen laut Zahlen des Umweltbundesamtes von 2021 auf maximal um die 10 Gramm. Und über Atommüll und Unfälle haben wir da noch nicht einmal gesprochen.
KI kann nicht nur Dystopie
Dazu kommt, dass die Erzählung, mehr Strom zu benötigen, den Energieverbrauch der Tech-Branche als quasi naturgegeben hinstellt: Wir brauchen mehr, also erzeugen wir mehr. Dabei ist das ein Trugschluss. Ob im Verkehrssektor, in der Landwirtschaft oder beim Bauen – eigentlich ist mittlerweile klar, dass sich Emissionen und Energiebedarfe reduzieren lassen.
Und da ist im Tech-Bereich noch sehr viel möglich. Zum Beispiel: Müssen wir wirklich in alles KI einbauen, wo es machbar ist? Wird die Onlinesuche durch KI tatsächlich besser, werden Service-Chatbots weniger nervig oder ist nicht KI in Software häufig eher ein Marketing-Move als ein echter Vorteil für die Nutzer:innen?
Oder: Wie lässt sich gerade das energieintensive Training von KI-Modellen ressourceneffizienter machen? Green Coding, also bereits bei der Entwicklung von Software auf Nachhaltigkeit zu achten, das ist schon beim herkömmlichen Programmieren eine Nische. Wie lässt sich das ändern? Und dann die Rechenzentren: Von kluger Klimatisierung über sparsame Hardware bis Abwärmegewinnung gibt es hier einige Stellschrauben.
Da muss man nicht einmal in die USA blicken, sondern kann gleich hierzulande anfangen: In Deutschland gibt es eine drei- bis vierstellige Zahl an Rechenzentren. Je nachdem, ob jeder Serverraum eines Unternehmens zählt oder nur die großen Standorte. Und wie viele tragen aktuell den Blauen Engel, das Zertifikat des Umweltbundesamtes für besonders energieeffiziente und ressourcenschonende Rechenzentren? 100, 50, 10, bietet jemand noch weniger?
Wir müssen anfangen, den Tech-Sektor, was Energie betrifft, so zu verstehen, wie auch den Verkehrssektor oder die Baubranche: als extrem energieintensiven Bereich, auf den wir nicht verzichten können und wollen, den wir aber auch nicht einfach weiter fröhlich vor sich hin emittieren lassen können.
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Schließlich kann KI nicht nur Dystopie, sondern auch Gutes. Etwa in der Medizin bei der Analyse bildgebender Verfahren wie Röntgen oder MRT bessere Ergebnisse erzielen als der menschliche Blick. Extremwetterereignisse präziser vorhersagen und damit Leben retten. Unterhaltungen zwischen Menschen ermöglichen, die nicht die gleiche Sprache sprechen. Wer diesen Fortschritt will – und selbst, wem es nur um lustige KI-generierte Katzenvideos geht –, muss ihn so gestalten, dass die künftigen Generationen nicht unter dessen Nebenwirkungen leiden.
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