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Teamarbeit bei der NationalhymneSingen für den besseren Kick

Nach der schlechtesten WM-Vorrunde der USA wird über die stillen Spielerinnen bei der Nationalhymne diskutiert – eine alt bekannte elende Debatte.

Hand aufs Herz? Beim US-Team machen es die Frauen mal so oder so Foto: imago

Z um Kanon der Sportberichterstattung gehört die Einzelkritik. Und die US-Frauen hatten in ihrem letzten Gruppenspiel am Dienstag gegen Portugal noch nicht lange gespielt, da wurden auf den englischsprachigen Nachrichtenseiten im Internet schon erste Beobachtungen geteilt.

Nur vier Spielerinnen hätten beim Abspielen der US-Hymne ihre Hand an die Brust gelegt und nur drei mitgesungen. Selbst das Trainerteam sei still geblieben. Die Portugiesinnen dagegen hätten allesamt und leidenschaftlich gesungen. Bei Weltmeisterschaften beginnt die Spielanalyse vielerorts schon damit, welchen Eindruck das Team beim Erklingen der Nationalhymne macht.

Und im Falle der USA war deshalb abzusehen, was kommen musste. Nur mit Glück rettete sich das bei der Hymne bereits geteilte Team mit einem torlosen Remis ins Achtelfinale. Die WM-Vorrundenbilanz mit nur fünf Punkten ist die schlechteste überhaupt. Das Gros des Teams war bereits von der ersten Partie an bei der eigenen Hymne stumm geblieben. Wozu sollte man da noch über Taktik oder anderes Gedöns reden. Die Hymnendiskussion wird in den USA in den nächsten Tagen gewiss an Fahrt aufnehmen.

In Deutschland kennt man die Debatte, ob der Ball nicht besser durch die eigenen Reihen gelaufen wäre, wenn alle vorab ihre Stimmbänder ordentlich gedehnt hätten. Denn ums Singen geht es eigentlich nicht so sehr, am besten werden Nationalhymnen gebrüllt, damit die Fans wissen, dass es ihre Repräsentantinnen wirklich ernst meinen. Die Kolumbianerinnen taugen da beispielsweise zum Vorbild.

Immenser Konformitätsdruck

Während ansonsten gern Vielfalt und Toleranz gepredigt wird, gibt es bei der Nationalhymne immer weniger Spielraum. Bei den deutschen Fußballerinnen kann es sich anscheinend keine erlauben, die Lippen geschlossen zu halten, weil sie sich lieber in Stille auf das Spiel konzentrieren möchte oder einfach keine Lust zum Singen hat. Der Konformitätsdruck ist immens. Früher war das auch im Kreise des deutschen Nationalteams kein Ding, wenn es einer oder einem nicht behagte, vor Kamera und hingehaltenen Mikrofonen mitzusingen.

Im Jahre 2012 musste der damalige DFB-Manager in einem Interview auf der Verbandsseite klarstellen: „Das Mitsingen bei der Hymne hat keinerlei Relevanz für den Ausgang des Spiels.“ Und er fügte hinzu: „Die Zeile ‚Einigkeit und Recht und Freiheit‘ impliziert übrigens auch das Recht, nicht mitsingen zu müssen.“

Dieses Recht nimmt sich bei den deutschen Frauen nur niemand heraus. Und bei den Männern mit Antonio Rüdiger oder Emre Can Spieler, die sich von einem immer größer werdenden rechten Rand Treulosigkeit und mangelnde Identifikation vorwerfen lassen müssen. Es sei denn, sie machen mangelnden Pathos mit ­Toren wett.

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taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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3 Kommentare

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  • Die Spielerinnen singen wegen des Konformitätsdrucks? Woher weiß Herr Kopp das? Kann es nicht sein, dass die Spielerinnen singen, weil sie es ok finden? Ich finde es recht unhöflich, sie ohne jeden Anhaltspunkt zu Opportunistinnen zu erklären.

  • Und an was machen es die Spanier eigentlich fest, wenns im Spiel mal nicht so läuft?



    Deren Hymne hat nämlich keinen Text....

  • Der Konformitätsdruck besteht eher darin, dass die Spielerinnen und Spieler sich gedrängt fühlen, bei politischen Aktionen und Gesten mitzumachen. Gerade beim US-Team, wo sich etwa Spielerinnen rechtfertigen mussten, die sich nicht hingekniet hatten vor Spielbeginn.

    Und es ist keineswegs nur so, dass die Spielerinnen "einfach keine Lust zum Singen" haben. Das ist eine Protestaktion. Über die man dann auch diskutieren darf.

    Der deutschen Herrennationalmannschaft hat der politische Druck und die Diskussionen rund um Binde/Schweigegeste während der WM nach eigenen Worten nicht gut getan, weil es eine große Ablenkung war.