Fußball in den USA: Frauenpower nicht nur auf dem Platz

Der Männerfußball ist eurozentrisch, bei den Frauen gibt es zwei Machtzentren. Die US-Profiliga präsentiert sich als stärkste Spielklasse der Welt.

Ary Borges im lila Trikot von Louisville

Brasiliens neuer Star Ary Borges im Trikot ihres Arbeitgebers Racing Louisville Foto: USA Today/imago

Da hat die Fußballwelt nicht schlecht gestaunt. Nach ihren drei Toren und einem Assist beim 4:0 im Spiel gegen Panama ist der Name der Brasi­lia­nerin Ary Borges im Munde all derer, die das WM-Turnier verfolgen. In Deutschland war die 23-Jährige im April schon einmal aufgefallen. Beim 2:1-Sieg Brasiliens gegen Deutschland im Abschiedsspiel für Dzse­ni­fer Marozsan hatte die kreative Mittelfeldspielerin den Treffer zum zwischenzeitlichen 2:0 erzielt.

Als Ariadina Borges landete die bis dahin in Europa weitgehend unbekannte Spielerin in den Medienberichten. Wer die Profiliga in den USA verfolgt, hätte wissen können, dass sie sich nicht erst seit ihrem Wechsel aus São Paulo von Palmeiras nach Louisville in den USA schlicht Ary Borges nennt. Doch die verfolgt von Europa aus kaum jemand. Die Bilder aus der National Women’s Soccer League (NWSL) werden in Europa noch nicht einmal vermarktet.

Im Alten Kontinent, von dem aus die Klubs die Weltherrschaft über den Männerfußball ausüben, ist man den Blick in die USA ohnehin nicht gewöhnt. Doch während der Männerfußball eurozentrisch ausgerichtet ist, gibt es im Spiel der Frauen zwei Pole.

Macht sich in Europa der Fußball der Frauen gerade dazu auf, zu einer Kopie des Männerspiels in kleinerem Maßstab zu werden, entwickelt sich der Profifußball in den USA weitgehend unabhängig von den bestehenden Strukturen der kickenden Mannsbilder. Da gibt es zwar Kooperationen mit Männervereinen, manch Klubeigner besitzt neben dem Frauenteam auch einen Männerklub, und doch ist es nicht so, dass Männer das Spiel der Frauen unter ihre Fittiche genommen hätten, um es nach ihren Vorstellungen zu entwickeln.

Auch Messi ändert nichts

Kein Wunder, die ganz großen Männerklubs mit Geschichte gibt es in den USA eh nicht. Und auch wenn Lionel Messi, beobachtet von der unvermeidlichen Prominenz am Spielfeldrand, gerade für Aufsehen bei seinem neuen Arbeitgeber in Mia­mi sorgt, gilt der Männerfußball in den USA immer noch als Entwicklungsprojekt ohne wirklich echte Basis. Eine solche gibt es im Frauen­be­reich sehr wohl. An vielen Highschools gehört Soccer zum festen Sportprogramm für Mädchen. Und so konnte sich das Spiel der Frauen selbstständig entwickeln.

Einfach war diese Entwicklung nicht. Frühe Versuche, Profiligen für Frauen an den Markt zu bringen, sind gescheitert. Und auch der Start der NWSL war alles andere als ein Selbstläufer. Nach der WPS (Women’s Professional Soccer) und der WUSA (Women’s United Soccer Association) ist der dritte Anlauf 2012 unter den Fittichen des US-Fußballverbands mit lediglich acht Teams an den Start gegangen. Seit 2020 agiert die Liga eigenständig. Derzeit spielen zwölf Klubs um den Titel.

Racing Louisville, der Klub von Ary Borges, ist erst im vergangenen Jahr als neuntes Team in die Liga aufgenommen worden. In der kommenden Saison werden mit den Utah Royals und dem Bay FC aus San Francisco zwei weitere Klubs zur NWSL stoßen. Über 50 Millionen US-Dollar mussten die Eigner des Bay FC für das Startrecht in der Liga bezahlen. Ein Beleg dafür, wie viel Fantasie im Geschäft mit dem Fußball der Frauen mittlerweile ist.

Der entwickelt sich ähnlich rasant wie der in Europa, wo es in den Ligen der großen Fußballnationen mit jeder Saison neue Zuschauerrekorde gibt. Auch die Stadien in den USA werden immer besser besucht. 9.431 Fans wollten im Schnitt die Partien der zwölf Klubs in der ersten Saisonhälfte sehen, ein Wert, von dem die Bundesliga nur träumen kann. In Los Angeles, beim extrabunten Angel City FC, der auch erst seit 2022 in der Liga spielt, ist das Stadion mit knapp 20.000 Fans eigentlich immer voll. Und auch in den USA fallen die Rekorde. 32.000 Zuschauer wollten in der vergangenen Spielzeit sehen, wie San Diego Wave gegen Angel City spielt.

Zur Belohnung darf San Diego nun das Finale um den Titel der NWSL im November ausrichten. Auch wenn das Spiel aus Europa kommen mag, ohne Playoff-Modus geht es in den USA nicht. Die ersten sechs Teams qualifizieren sich dafür. Die zwei Bestplatzierten haben in der ersten Runde ein Freilos.

61 Liga-Profis bei der WM

Im Sommer wird darüber hinaus der Pokalwettbewerb um den Challenge Cup ausgetragen. Der läuft gerade und hilft der WNSL, auch während der WM im Gespräch zu bleiben. Nachrichten aus Australien und Neuseeland von Spielerinnen aus der Liga sorgen darüber hinaus für Aufmerksamkeit. Stolz verkündete die NWSL vor Turnierbeginn, dass sie bei dieser WM 61 Fußballerinnen stellt.

Sie spielen für Argentinien, Brasilien, Australien, Kanada, Costa Rica, Dänemark, Irland, Jamaika, Japan, Neuseeland, Nigeria, Panama, Südafrika, Schweden oder die USA, in deren Kader nur Lindsay Horan, die Torschützin zum 1:1 gegen die Niederlande nicht in den USA spielt. Sie kickt in Frankreich bei Olympique Lyon und verdient dort wohl mehr als Trinity Rodman, die Spielerin mit dem höchsten Einkommen in der NWSL.

An ihr Grundgehalt von 281.000 US-Dollar kommen nicht einmal die Superstars des US-Teams, Megan Rapinoe und Alex Morgan, heran. Die sahnen dafür mit ihren Werbeverträgen kräftig ab. Wie in anderen US-Profiligen gibt es eine Obergrenze für Gehaltszahlungen. 1,35 Millionen US-Dollar dürfen die Klubs im Jahr für Gehälter ausgeben. Einen Mindestlohn gibt es auch. Weniger als 36.000 US-Dollar darf niemand verdienen. Diese Regelungen sollen für Stabilität sorgen.

Die ist gar nicht so leicht herzustellen. Während die Stadien immer voller werden, sich die Klubs als multikulturelle, diverse, queere, und durchaus auch feministische Safe Spaces präsentieren und so ein immer größeres Publikum anlocken, ist die Vermarktung der TV-Rechte noch ausbaufähig. 4,5 Millionen US-Dollar zahlt der Fernsehsender CBS für die Übertragungsrechte über drei Jahre. Und auch die Sichtbarkeit im Ausland soll verbessert werden. Der Vertrag zur Auslandsvermarktung mit der Streamingplattform Twitch ist ausgelaufen. Ein neuer Partner wird gerade gesucht.

Feministischer Ansatz

Wenn es dann also endlich wieder die Möglichkeit gibt, von Europa aus auf die US-Liga zu schauen, wird vor allem eines auffallen. Während es in Europa die Männer der Großklubs und Verbände sind, die den Frauenfußball unter ihre Obhut genommen haben, sind es in den USA vornehmlich Frauen, die Führungspositionen bekleiden. Und die scheuen sich keineswegs, feministisch zu argumentieren. Als es um die Aufnahme der zwei neuen Klubs zur nächsten Saison ging, stellte Ligachefin Jessica Berman klar, dass Klubs aus Bundesstaaten mit liberalem Abtreibungsrecht bevorzugt behandelt werden.

Nachdem der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten die Entscheidung in der Sache Roe vs. Wade aufgehoben und damit den Weg für eine res­triktive Abtreibungsgesetzgebung freigemacht hat, war es nicht allein die aktivistisch veranlagte Weltmeisterin Megan Rapinoe, die ihre Stimme erhob. Auch die Liga selbst hat sich positioniert. Fußballerinnen und Angestellte von Klubs in Texas und Florida, wo es eine besonders frauenfeindliche Gesetz­gebung gibt, sollen alle Unterstützung bekommen, wenn sie für Behandlungen in einen anderen Bundesstaat reisen müssen.

Und Fußball gespielt wird natürlich auch. Am Sonntag zum Beispiel. Da spielt Racing Louisville im Challenge Cup bei Houston Dash – ohne den neuen brasilianischen Star Ary Borges.

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