taz-Seitenwende on Tour: Kein Papier mehr zum Gläsereinwickeln
„Soll ich das Tablet da jetzt ins Café mitnehmen?“, fragt Leserin Lore Kirsch, 82. Sie will die taz künftig digital lesen – und hat noch Fragen.
Gewohnheiten ändern ist schwer. Wer sich schon mal am 1. Januar die Laufschuhe geschnürt und sie danach nie wieder angefasst hat, kennt das. Ab dem 17. Oktober erscheint die tägliche Ausgabe der taz nur noch digital – für eine wichtige Gruppe der taz-Leserschaft bedeutet das nicht weniger als das Abschiednehmen von einer jahrzehntelangen Routine.
„Das ist eine Umstellung, völliges Neuland“, sagt Lore Kirsch. Die 82-Jährige trägt eine Bluse mit roten Blumen. In ihrer Brusttasche steckt das Zugticket, mit dem sie aus Fürth nach Nürnberg zum Helpdesk gekommen ist. Mit skeptischem Blick lehnt sie am Stehtisch und beobachtet eine taz-Kollegin, die mit den Fingern auf einem Tablet wischt: „Hier, das ist die Zeitungsansicht“, zeigt sie Kirsch. „Das ist überhaupt nicht schön“, murmelt sie zurück.
Lore Kirsch ist seit 30 Jahren taz-Leserin, jeden Tag legt der Zeitungshändler eine Ausgabe für sie zurück. In ein paar Monaten wird sie den Geruch der Druckerschwärze und das Rascheln der Seiten gegen einen spiegelglatten Bildschirm tauschen. „Sie müssen sich zuerst die App herunterladen im Google-Playstore.“ Die Ratlosigkeit steht Lore Kirsch ins Gesicht geschrieben. „Könnt ihr nicht noch 10 Jahre warten, bis ich nicht mehr da bin?“
Eigentlich will Kirsch gar nicht digital lesen und auch kein Tablet. Aber jetzt braucht sie gleich zwei – für sich und ihren Mann. „Wir wollen ja beide lesen“, sagt sie. Für gewöhnlich tauschen sie die Zeitungsseiten hin und her. Nachmittags gehen sie dann oft zusammen ins Café und lesen da weiter. „Und jetzt soll ich das Ding da mitnehmen?“, fragt die Seniorin. Mit dem Finger zeigt sie auf das Tablet, als käme es aus einer fernen Welt.
Die Seitenwende kommt zu unseren Leser*innen: Wir waren bereits in Bremen, Hannover, Hamburg, Münster, Dortmund, Köln, Marburg, Frankfurt am Main, Stuttgart, Freiburg, Nürnberg und München. Wir waren auch auf der Leipziger Buchmesse, dem Evangelischen Kirchentag und dem taz ab. Auf all diesen Veranstaltungen gab es inhaltliche Diskussionen, aber auch digitale Hilfe. Und das App-Team nimmt aus diesen Veranstaltungen wiederum Erkenntnisse für den weiteren Entwicklungsprozess mit.
Die Tour ist noch nicht zu Ende: Nach einer kleinen Sommerpause geht es weiter. Wir machen noch in Dresden, Leipzig und Berlin Station – die genauen Termine stehen demnächst fest: taz.de/seitenwende.
Haben Sie Fragen zur Seitenwende? Dann schreiben Sie gerne an seitenwende@taz.de.
Lore Kirsch ist nicht die Einzige, die sich ans digitale Lesen erst gewöhnen muss. Ein Ehepaar hat den Laptop mitgebracht und sucht im Mailpostfach nach ihrer Abo-Nummer, um sich für das ePaper anmelden zu können. Andere brauchen Hilfe beim Installieren der taz-App. Während man drinnen versucht, das richtige Passwort der Apple-ID herauszufinden, sitzen Beate und Klaus Zerkowski, Jahrgang 1950 und 1951, in der Sonne und bestellen Eierlikörkuchen. Sie sind aus Rothenburg ob der Tauber hergefahren, für die Podiumsdiskussion mit den taz-Redakteur*innen Ulrike Herrmann und Pascal Beucker, die später am Abend stattfindet.
Seit den 80ern dabei
„Die taz hat oft eine andere Sicht auf die Welt“, sagt Klaus Zerkowski. Schon seit den frühen 80ern lesen sie die Zeitung, vor allem wegen der politischen Haltung. „Während der 68er-Bewegung waren wir 17, 18 Jahre alt“, sagt er, „das hat uns sehr beeinflusst.“ Bis heute setzten sie sich für Naturschutz ein, für den Ausbau der Radwege, gegen rechts. Im digitalen Zeitalter finden sie sich gut zurecht: Klaus checkt morgens die Nachrichten an seinem Handy, Beate leitet gern taz-Artikel weiter. Für sie bringt das digitale Lesen auch Vorteile. So kommt die Zeitung in der App immer pünktlich bei ihnen an, unterwegs sei es sowieso praktischer, am Smartphone zu lesen. „Trotzdem habe ich gerne eine Zeitung in der Hand“, sagt Beate. „Am Wochenende kommt sie ja noch im Papier.“
Auch Lore Kirsch hat sich nach draußen gesetzt. Dass ein Tablet das klassische Zeitunglesen für sie ersetzen kann, glaubt sie nicht. „Aber ich muss mich daran gewöhnen“, sagt sie. Auf eine Zeitung umzusteigen, die noch gedruckt erscheint, kann sie sich nicht vorstellen. „Solange es die taz gibt, lese ich die taz. Das wird sich nicht mehr ändern.“
Mit der Seitenwende geht ein Kapitel zu Ende, ein wenig Nostalgie darf sein. Doch für ein Problem, das Kirsch umtreibt, findet sich partout keine Lösung: „Mit welchem Papier soll ich meine Gläser einpacken, damit sie nicht kaputtgehen?“
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