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Tarifverhandlung im öffentlichen DienstMehr als bloßen Beifall

Verdi und der Beamtenbund wollen 4,8 Prozent mehr Lohn und Gehalt für den öffentlichen Dienst. Doch die Kommunen winken wegen leerer Kassen ab.

Harte Arbeit im Krankenhaus: Nach dem Applaus wünscht sich Verdi auch etwas mehr Lohn Foto: Christian Ditsch

Berlin taz | Mehr Geld für Krankenschwestern und Pfleger, Feuerwehrleute und Müllabfuhr? Auf dem Höhepunkt der Coronakrise war das Verständnis für die stillen Helden des Alltags groß und die Öffentlichkeit hielt eine bessere Entlohnung ihrer Arbeit für richtig. Rund 2,3 Millionen Beschäftigte zählt der öffentliche Dienst des Bundes und der Kommunen, die für die meisten Bürgerdienste verantwortlich sind.

Nun geht es um harte Fakten. Die Tarifunion aus Verdi und dem Deutschen Beamtenbund (dbb) haben am Dienstag ihre Forderungen auf den Tisch gelegt. Sie verlangen 4,8 Prozent mehr Lohn und Gehalt bei einer Laufzeit des Tarifvertrags von zwölf Monaten. „Die Beschäftigten haben mehr verdient als warme Worte“, stellt dbb-Chef Ulrich Silberbach am Dienstag in Berlin klar. Für Geringverdiener soll es einen Sockelbetrag von 150 Euro geben.

Mehr Geld soll es auch für Auszubildende und Praktikanten geben, 100 Euro verlangen die Gewerkschaften. Zudem fordern sie eine Angleichung der Arbeitszeiten in Ost und West. In den ostdeutschen Bundesländern gilt noch die 40-Stunden-Woche, in den alten Ländern wird eine Stunde weniger gearbeitet. In gesonderten Gesprächen will Verdi-Chef Frank Werneke auch bessere Konditionen für die Beschäftigten in der Pflege erreichen. „Applaus alleine reicht nicht“, sagt Werneke mit Blick auf den Zuspruch für die Bediensteten in den vergangenen Monaten.

Einfach wird diese Tarifrunde sicher nicht. Und ob aus dem Klatschen der Bürger kräftiger Lohnaufschlag wird, ist zweifelhaft. Die Arbeitgeber hatten bei Sondierungsgesprächen im Frühjahr lediglich einen Inflationsausgleich in Aussicht gestellt. Der Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), Ulrich Mädge, verweist auf die krisenbedingt leeren Kassen.

Wer hat am Ende die besseren Karten?

Denn Städte und Gemeinden stehen vor einem Dilemma. Einerseits müssen sie attraktiv für die Berufe im öffentlichen Dienst bleiben. Andererseits sind Einnahmen stark geschrumpft. Die fehlenden Gewerbesteuereinnahmen gleicht der Bund nur zu einem Teil aus. Einnahmen aus Museen oder anderen kulturellen Einrichtungen sind weggebrochen. Ein Prozentpunkt mehr Lohn und Gehalt kostet die Arbeitgeber in den Kommunen nach Gewerkschaftsangaben rund eine Milliarde Euro. Der Bund müsste 270 Millionen Euro mehr aufbringen.

Diese Tarifrunde ist in mehrerer Hinsicht außergewöhnlich. Verdi hätte sie im Frühjahr gerne gleich ganz auf das kommende Jahr verschoben und sich bis dahin mit einer Einmalzahlung begnügt. Das war mit den Arbeitgebern nicht zu machen. Der VKA unterstellt Silberbach dabei das Kalkül, bei der damals noch erwarteten schweren Wirtschaftskrise bessere Karten im Verhandlungspoker zu haben. Das ist nicht im befürchteten Umfang eingetreten. „Der Daumen zeigt nach oben“, erläutert Silberbach.

„Wir benötigen in dieser schwierigen Phase Planungs- und Einkommenssicherheit“, betonte Mägde noch im Juni und verwies auf die Arbeitsplatzsicherheit im öffentlichen Dienst. Welche Argumente am Ende ziehen, wird sich an den drei vereinbarten Terminen zeigen. Am 1. September geht es in Potsdam los. Die dritte Runde ist für Ende Oktober geplant. Werneke hat schon im Vorfeld die Bereitschaft zu einem Arbeitskampf durchblicken lassen.

Die Gegenseite hält Einschnitte beim öffentlichen Dienst wiederum für angebracht. Die Verhandlungspositionen liegen also noch sehr weit auseinander. Scheitern die Gespräche, sind Streiks, zum Beispiel in Kitas, nichts ausgeschlossen.

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14 Kommentare

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  • In Zeiten weit geöffneter Taschen des Bundes seinerseits die Kommunen allein stehen zu lassen, könnte sich auch auf das Wahlverhalten 2021 auswirken. Nicht nur ehemalige Patienten und Angehörige, sondern auch die Mitarbeiter in den Pflegeberufen werden aufmerksam registrieren, was den öffentlichkeitswirksamen Beifallsrufen nachfolgt. Sie werden es sich für die Wahlen merken.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Die 4,8% sind unrealistisch. Warum nimmt die Gewerkschaft die gesellschaftliche Förderung nach Lohnerhöhung in den unteren Lohngruppen im Gesundheitswesen/Pflege nicht auf und verzichtet für die Besserverdienenden auf ein Lohnplus, Inflationsausgleich mal ausgenommen.



    Das hätte dann Auswirkungen auf die gesamte Branche, inklusive schlechter zahlende Kirchen.

    • @4813 (Profil gelöscht):

      Im TVöD ist das Lohngefälle bei weitem nicht so groß. Als ausgelernter Krankenpfleger (oft EG P7-P8) im Schichtdienst ist das Einstiegsgehalt höher als das der meisten Ingenieure (oft EG10-11) im ÖD. Mit Berufserfahrung verschiebt sich das ganze natürlich etwas. Irgendwo auch gerechtfertigt, bei dem einen macht man 3 Jahre eine Lehre, bei dem anderen mindestens 6 Jahre Abitur/Ausbildung + Studium.

      Allgemein ist der Fachkräftemangel bei den Ausbildungsberufen weniger zu spüren als in den Studienberufen. Ein Studium wird von der privatwirtschaft deutlich mehr wertgeschätzt.

      • 4G
        4813 (Profil gelöscht)
        @Peter Traumeier:

        Ach naja, ich hab ca 6T€ Brutto und kann auch mal ne Runde aussetzen. Und von meiner Sorte gibt es Viele

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Die Arbeitskosten im ÖD sind beteits jetzt zu hoch.

  • Was hat die Müllabfuhr und die Feuerwehr mit Coronavirus zu tun. Die Krankenschwestern die Pfleger haben großes gleistet und tun es noch heute. [...]

    Dieser Kommentar wurde gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

    • @Kristina:

      Wie würden sie reagieren, wenn ihr Müll 6 Monate nicht geleert wird, weil die Müllabfuhr im "Homeoffice" ist? Auch die Müllabfuhr ist alleine aus Hygiene Gründen Systemkritisch!



      Denken Sie einmal drüber nach.

    • @Kristina:

      In Kreisfreien Städten wird der Rettungsdienst von den Feuerwehren sicher gestellt. Allein im Land Brandenburg sind es die Feuerwehren in Potsdam (über 180.000 Einwohner), Brandenburg a. d. H, Cottbus sowie Frankfurt/O. welche auch voll bzw. teilweise den Rettungsdienst bedienen. Das heißt das diese Feuerwehrmänner und Feuerwehrfrauen noch vor den Pflegekräften, bei den Corona-Patienten sind. Bevor es klinisch Bestätigt wurde. Wer verlegt die Patienten von ein in das andere Krankenhaus? Eben genau diese "stillen" Helden. Nicht jeder Feuerwehrmann oder Feuerwehrfrau ist Beamter sondern sind Angestellte



      im öffentlichen Dienst.

  • Die Pflege und die Busfahrer werden gerne synonym für den Öffentlichen Dienst angeführt. Diese Berufsgruppen sind jedoch meist bei privaten Trägern beschäftigt und profitieren gar nicht.

    Der öffentliche Dienst sind überwiegend und fast nur die Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltungen und die Lehrer an Schulen und Hochschulen. Alles Berufsgruppen, die während des Lockdown entspannt im Home-Office verschwanden und auch zukünftig kaum um ihre Arbeitsplätze oder Gesundheit fürchten müssen.

    Ob für letztere nun unbedingt in der Krise weitere Milliarden locker gemacht werden sollten oder doch lieber für die Allgemeinheit, können wir gerne diskutieren. Ich denke eher nicht.

    • @TazTiz:

      soso.....

      Und was meinen Sie, wer in affenartiger Geschwindigkeit die mir den Corona-Maßnahmen verbundenen Gesetze umgesetzt hat, die insbesondere in der Sozialversicherung dafür sorgen, dass Corona-bedingte Nachteile für die Leistungsberechtigten abgefedert haben?



      Von heute auf morgen aus dem Home-Office in Strukturen, die darauf nicht gerade zugeschnitten sind?



      Gerade im staatlichen Gesundheitsdienst haben wir gesehen, wie die wenigen schlecht bezahlten Mitarbeitenden auf einmal viel Staat bewirken sollten, nachdem vorher jahrzehntelang nach dem Motto "der Markt wird es richten" zurückgebaut wurde.

  • Ich bin 36 Jahre in der Pflege. Ausstieg kommt nicht in Frage - dazu macht der Beruf zuviel Spaß.



    Aber so ein paar nette Streiks, die richtig wehtun und über einen längeren Zeitraum gehen,. wären schon machbar....wenn denn die Kollegen mitziehen würden.

    Da ich diese Hoffnung aufgegeben habe, konzentriere ich mich lieber auf meinen Job und warte die 7 Jahre bis zur Rente ab...

    • @Juhmandra:

      Bin erst seit einigen Jahren in der Pflege tätig (mtlw ausgelernt und festangestellt), habe vorher als KFZ-Mechaniker gearbeitet. Mein Einstiegsgehalt war mit einer 65% Stelle so hoch wie bei einer 48 Stunden-Woche in der KFZ-Werkstatt.

      Gerade im Pflegebereich sind Streiks unangemessen. Man verdient für einen Lehrberuf sehr gut. Zudem darf man nicht vergessen, dass man im Streikfall nicht irgendwelche Maschinen vernachlässigt sondern den zu pflegenden Menschen.

      • @Peter Traumeier:

        Ich bewundere Ihren Idealismus, finde aber auch die Organisationsfreiheit und das Recht auf Durchsetzung eigener Rechte in der Pflege sehr wichtig.



        Schwieriger Spagat, aber ohne Druck ändert scih meist nichts. Und Ausbeutung kommt uns als Gesellschaft am Ende teuer zu stehen (Burnout, Nachwuchssorgen durch geringe Attraktivität, etc).



        Streiken - ja aber mit Augenmaß.

  • Naja, in anderen Ländern funktioniert es ja auch. Das Geld für gute Bezahlung, und auch für viel mehr Personal ist da, Nur in Deutschland wird die Kohle von Pharmakonzernen und deren Lobbyisten abgesaugt.

    Ich war auch einige jahre in der Pflege und hatte das massive Gefühl "verar*scht" zu werden. #pflexit war für mich unumgänglich. Und ich bin auch nicht alleine.