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Tarifkonflikt im öffentlichen DienstSchlichter machen einen Vorschlag

Die Schiedskommission im Tarifstreit für den öffentlichen Dienst hat eine Empfehlung ausgesprochen. Ab dem 22. April wird wieder verhandelt.

Die Schlichter Hans-Henning Lühr und Georg Milbradt haben sich auf einen Vorschlag geeinigt Foto: Carmen Jaspersen/dpa

Berlin rtr/taz | In die Tarifverhandlungen für rund 2,5 Millionen Beschäftigte beim Bund und bei den Kommunen kommt wieder Bewegung. Gut eine Woche nach Beginn der Schlichtungsverhandlungen legte die von Arbeitgebern und Gewerkschaften eingesetzte Kommission am Samstag eine Empfehlung vor.

Die Schiedskommissionsempfehlung sieht eine steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämie von insgesamt 3.000 Euro vor, die in mehreren Tranchen zwischen Juni 2023 bis einschließlich Februar 2024 ausgezahlt werden soll. Ab März 2024 soll dann der Lohn zunächst um einen Sockelbetrag von 200 Euro und anschließend um 5,5 Prozent erhöht werden, wobei die Gehaltserhöhung mindestens bei 340 Euro liegen soll. Die Laufzeit des Tarifvertrags soll 24 Monate ab Januar 2023 betragen.

Ein Ende des Tarifkonflikts ist damit aber noch nicht in Sicht, zumal der Beschluss nicht von allen Beteiligten mitgetragen wurde. Eine Einigung ist nur in den Tarifverhandlungen möglich, die der Bund und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) sowie Verdi und der Deutsche Beamtenbund (dbb) am 22. April wiederaufnehmen wollen.

Der Beschluss der Schiedskommission wurde von einer „überwiegenden Mehrheit“ mitgetragen, wie die Kommission mitteilte. Somit könnte sich mutmaßlich mindestens ein Teil der Arbeitgeber gegen die Empfehlung gewandt haben. In den Tarifverhandlungen sehen sich vor allem die kommunalen Arbeitgeber einem Spagat ganz unterschiedlicher Interessen und Kassenlagen ausgesetzt. Darunter fallen Sparkassen und Krankenhäuser genauso wie auch Abfallentsorgung und öffentlicher Nahverkehr. Auch Städte und Gemeinden sind finanziell ganz unterschiedlich aufgestellt.

Die Arbeitgeberseite hatte in der 3. Verhandlungsrunde, kurz vor dem Scheitern der Gespräche, Möglichkeiten einer Einigung aus ihrer Sicht umrissen. Wie die taz aus Verhandlungskreisen erfuhr, sah ihr „Denkmodell“ so aus: eine Gehaltserhöhung um 4 Prozent, mindestens 180 Euro monatlich ab Oktober, im Juni 2024 nochmal 3 Prozent, mindestens 120 Euro. Die steuerfreie Inflationsausgleichsprämie solle gesplittet gezahlt werden: insgesamt 2.000 Euro dieses Jahr, 1.000 im nächsten.

Die kommunalen Arbeitgeber stellten aber klar, dies sei kein Angebot, es handele sich nur um „denkbare Elemente einer Einigung“. Das Volumen der jetzigen Schichtungsempfehlung geht über diese Überlegungen hinaus. Allerdings bleibt es gleichwohl deutlich hinter der Gewerkschaftsforderung zurück: Verdi und Beamtenbund hatten 10,5 Prozent mehr Geld gefordert, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat, bei einer Laufzeit des Tarifvertrages von nur zwölf Monaten.

Die Gewerkschaften hatten nach der dritten Verhandlungsrunde in der Nacht zum 30. März das Scheitern der Gespräche erklärt. Der Bund und die Kommunen riefen daraufhin die Schlichtung an, die am 6. April angelaufen war. Die jeweiligen Verhandlungsführer – etwa Innenministerin Nancy Faeser für den Bund (SPD) oder Verdi-Chef Frank Werneke – waren nicht dabei.

Bei den Schlichtungsverhandlungen waren die Gewerkschaften im Vorteil. Nur der von ihnen benannte Schlichter Hans-Henning Lühr, ein früherer Bremer Finanz-Staatsrat und Verwaltungswissenschaftler mit SPD-Parteibuch, war stimmberechtigt. „Der Mix ist ein fairer Interessenausgleich, für den natürlich auch viel Geld in die Hand genommen werden muss“, erklärte Lühr. Dies sei eine gute Investition in einen zukunftsfähigen öffentlichen Dienst.

Aber auch der frühere sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU), der von den Arbeitgebern eingesetzt war und als zweiter Vorsitzender kein Stimmrecht hatte, trug die Empfehlung nach eigenen Worten „trotz der ungewöhnlichen Höhe“ mit. Er hoffe auf eine schnelle und einvernehmliche Regelung auf Basis der Empfehlung.

Die Tarifparteien wollen die Verhandlungen mit den Spitzen von Arbeitgebern und Gewerkschaften am 22. April in Potsdam wiederaufnehmen. Wenn dort keine Einigung erzielt wird, könnten die Gewerkschaften eine Urabstimmung über unbefristete Streiks einleiten.

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9 Kommentare

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  • Die regelmäßigen Tarifverhandlungen im ÖD müssen ganz dringend vom Beamtenbund und seinen Pensionen abgekoppelt werden. Diese Tarifabschlüsse eins zu eins auf die Beamtenpensionen zu übertragen ist ein Riesenfehler. Die Arbeitgeber im ÖD fürchten ja vor allem die wie ein Mühlstein auf den Haushalten lastenden Pensionslasten. Eine diesjährige Steigerung von 10,5% bei Beamtenpensionen wäre kompletter Wahnsinn.



    Sieht man ja auch an der Verhandlungsstrategie beider Seiten. Verdi und Beamtenbund fordern hohe prozentuale Erhöhungen, denn deren Fokus liegt primär auf den Pensionen. Die Arbeitgeberseite bietet dagegen Einmalzahlungen um die Pensionen zu umgehen, was aber natürlich vehement abgewiesen wird. Die aktuellen Beschäftigten werden lediglich für die Demofolkore benötigt.

    • @Šarru-kīnu:

      ... der Staat kann sich ganz gut finanzieren - wenn er will. Das ist kein Argument. Oder anders: Dann ist jede Lohnerhöhung im Öffentlichen Dienst zu viel, weil da Beamte arbeiten.

    • @Šarru-kīnu:

      Die angebotenen Einmalzahlungen sind ein Schlag ins Gesicht der Beschäftigten, denn diese bringen sie - wenn überhaupt - nur über die nächsten 24 Monate. Und danach?

      Niemand wird wohl ernsthaft erwarten, dass wir in 24 Monaten eine Deflation, also sinkende Preise, haben werden. Deswegen muss es natürlich eine Lohnerhöhung und nicht eine - wie auch immer hohe - Einmalzahlung geben.

      Und selbst die geforderte Erhöhung um 10,5 % ist noch eine Reallohnsenkung. Denn von der Erhöhung der Bruttolöhne um 10,5 % kommen am Ende Netto keine 10,5 % an, was jeder weiß, der schon einmal die Abzüge auf der Gehaltsabrechnung gesehen hat.

      Und zu den Beamtenpensionen: Das Bundesverfassungsgericht hat bereits (mehrfacht) geurteilt, dass (fast) alle Bundesländer ihre Beamten verfassungswidrig niedrig besolden. Das heißt auch die Pensionen sind verfassungswidrig niedrig. Warum sollten also die Lohnerhöhungen nicht auf die Beamten übertragen werden?

      • @Kriebs:

        So ist es. Die haben doch einen Knall. Bei 7,x Prozent IR letztes Jahr bedeutet der Vorschlag in einer der reichsten Industrienationen für die Angestellten letztlich, dass es geldmäßig weiter abwärts geht. Frage ob man so das wichtige Personal im Sektor hält, oder nicht alles Richtung Industrie abwandert. Tja und wer den notwendigen "Rest" der gesellschaftsrelevanten Tätigkeiten erledigen wird bleibt dann abzuwarten.

      • @Kriebs:

        Ich höre diese Geschichte immer wieder. Bei uns im Osten ist der ÖD oft der einzige Arbeitgeber der nach Tarif bezahlt und Beamten sind absolut überdurchschnittlich bezahlt, während der Rest im Ort flächendeckend Mindestlohn verdient. Ich kenne hier niemand der in 2023 irgendwie 10% Gehaltsplus gekriegt hat.



        Das die freie Wirtschaft nur darauf wartet Beamte mit Supergehältern zu überschütten, halte ich deshalb auch für ein Märchen. Die Inflationsrate lag im Jahresschnitt 2022 übrigens bei 7,9%. Hier immer mit dem einen Spitzenmonat zu argumentieren ist unredlich.

        • @Šarru-kīnu:

          Zusätzlich zu meinem noch nicht freigeschalteten Kommentar kommt noch, dass sich kaum die Mindestlohnempfänger mit dem öD vergleichen lassen. Die meisten stellen im öD gibt es im gehobenen und höheren Dienst. Das betrifft alles ab A9/E9. Alle die die diese Dienstposten bekleiden, haben mindestens einen Bachelor, ab A13/E13 einen Master.

          Das mag überraschend klingen, aber dieser Personenkreis (Ingenieure, Juristen, etc.) wird auch im Osten in der Privatwirtschaft sehr gut bezahlt. Ich bezweifle, dass diese Personenkreise (auch im Osten) sich mit dem Mindestlohn abspeisen lassen. Meine Erfahrungen dazu sind andere.

          Einen Restaurantfachwirt mit einem studierten Ingenieur zu vergl ist unredlich. Keine Frage ist, dass auch der "Kellner" ordentlich bezahlt gehört, aber das Bezahlungsniveau eines Studierten ist denknotwendig immer höher.

        • @Šarru-kīnu:

          Es geht nicht um die Inflation seit einem Jahr, sondern um die Inflation seit dem letzten Lohnabschluss (und der ist lange her). Denn die letzte Lohnerhöhung gab es zum letzten Tarifabschluss. Ich kann mich schon gar nicht mehr erinnern, wann das war (es war 2021 mit einer Nullrunde, hab nachgeschaut).

          Ich würde raten, dass aber seit der letzten Lohnerhöhung die Marke von 10,5 % Preissteigerung locker übersprungen ist. Auch hier hab ich gerade nachgeschaut, Inflation 2021 war knapp 5 % und 2022 eben knapp 8 %. Soviel zu den ehrlichen Zahlen.

          Und hinsichtlich der niedrigen Löhne im Osten: Da komm ich auch her und bin exakt deswegen weggezogen. Das ging einher mit einer knappen Verdreifachung des Lohns. Wer sich zu Mindestlöhnen ausbeuten lässt, muss sich eben anschauen, ob er oder sie das ändern kann. Eine Alternative ist es wegziehen, eine andere Alternative wäre ein echter Arbeitskampf. Was gegen mangelhafte Tarifbindung hilft ist Eintritt in die Gewerkschaften. Insbesondere in der Bauwirtschaft sind viele Betriebe durch Innungsmitgliedschaften (eigentlich) tarifgebunden. Aber eben nur gegenüber Arbeitern, die in der Gewerkschaft sind. Und das ist - mit Verlaub - dann einfach selbst schuld. Wenn der einzige Grund für die mangelnde Tarifzahlung das Fehlen der eigenen Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ist, fällt mir da echt nichts mehr ein.

          Die Beschäftigten im öD sind aber mit Sicherheit nicht schuld an Mindestlöhnen in der freien Wirtschaft im Osten.

  • So weit so gut, es ist ein Vorschlag, der gewisse Vorteile bietet. Ich sage mal den Nachteil: Tabellenwirksam ist das ab 2024. Bei dieser hohen Preissteigerungsrate und der schwierigen Energiesituation in Deutschland würde die Gewerkschaft erst sehr spät die Gelegenheit haben zu reagieren. Die letzte Steigerung bei mir war 1,8 Prozent 2022, da gingen aber die Preise durch die Decke.

    Jetzt wollen die öffentlichen Arbeitgeber in so einer Situation einen Abschluss, der zu einem starken Reallohnrückgang führt.



    Der Schlichtungsvorschlag würden den abmildern, auffangen würden er ihn nicht und es wäre eben offen, wie sich 2023 und 2024 inflationär weiter entwickeln.

    Läuft es nicht gut, dann sinken die Gehälter im Öffentlichen Dienst. Das merken auch Leute, die dort mehr als 3600 EUR brutto erhalten. Das betrifft nicht nur die unteren Einkommensgruppen. Natürlich sind die besonders betroffen, aber es heißt eben selber bei besser qualifizierten Menschen, mache ich einen Sommerurlaub in den Schulferien mit meinen Kindern? Oder in Balkonien oder bei Tante XYZ.

    Ich könnte mit diesem Angebot leben, es würde die Verluste aus 2022 nicht ausgleichen, aber es wäre ein erster Schritt. Mir wäre eine Erhöhung der Tabelle in Kombination mit Sonerzahlungen lieber gewesen. Und zwar 2023 und keine lange Laufzeit, weil ich nicht weiß, wie die Welt 2024 aussieht. Ich habe auch keine Lust mehr, die Heizung auszustellen und mit Wolldecke, Tee und früh ins Bett zu sparen, damit das alles im Rahmen bleibt.

    Außerdem verleiten solche Abschlüsse die Politiker dazu, genauso weiterzumachen, wie sie bisher agieren. Das bedeutet, dass Unternehmen und Milliardäre/Millionäre unterdurchschnittlich besteuert werden, dass eigentlich nur in der Mitte bei Angestellten und Arbeitnehmern kassiert wird. Die öffentlichen Arbeitgeber könnten eine Tabellenerhöhung finanzieren, sie wollen das aber nicht. Sie wollen gar nichts ändern.

    • @Andreas_2020:

      Ist ganz richtig. Zumal ist das hier wieder so ein typisch deutsches Signal an Arbeitnehmer: mangelnde Wertschätzung.