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Tanz im August 2023Collagen des Robotischen

Großartige Gastspiele: Vielschichtige Bilder von Gemeinschaft spielten beim Festival „Tanz im August“ in Berlin eine Rolle.

Das Ballet national de Marseille/(La)Horde im Kampfmodus Foto: Blandine Soulage

Die Horde. Die Gang. Die Mannschaft. Die Jünger. Die Bruderschaft. Die Geschworenen. Beim diesjährigen Festival Tanz im August, das am Samstag in Berlin zu Ende ging, war die Erzeugung von Bildern der Gemeinschaft ein starkes Movens in den Choreografien.

Mal als Utopie, mal als Dystopie; was die Formationen und der Sound an gesellschaftlichem Kontext aufriefen, war dabei durchaus fließend, die Bedeutung wechselnd. Nicht zuletzt gab es das Kollektiv des Publikums, das viele der 16 Produktionen, die der neue Festivalleiter Ricardo Carmona eingeladen hatte, mit Begeisterung bejubelte.

Zwischen Volksfest und Propaganda, zwischen Parade und Karneval, zwischen Gerichts- und Vorlesungssaal kippten die Bilder in dem Tanztheaterstück „Mal – Embriaguez Divina“ der Choreografin Marlene Monteiro Freitas. Aus Papier bastelten sich die neun Dar­stel­le­r:in­nen eine Stadt, hielten Reden in Fantasie­sprachen oder spielten allein mit ihren Händen, die Applaus klatschten, ein ganzes Spektrum von hochaufgeladenen Emotionen beim Betrachten eines Balletts vor.

Es waren viele witzige Szenen, mit denen Freitas zum Abschluss des Festivals in der Berliner Volksbühne in eine Welt führte, die trotz des humorvollen Spiels etwas Bedrohliches hatte: Beobachtende, kontrollierende und richtende Instanzen zogen einen engen Rahmen um die Agierenden; ihr Überschuss an Albernheit hatte auch immer etwas vom Aufbegehren gegen äußeren Druck.

Taoufiq Izeddiou im Radialsystem

Das Festival Tanz im August bespielt in Berlin mehrere Theaterhäuser. Ins Radialsystem, das an der Spree liegt, war der marrokanische Choreograf Taoufiq Izeddiou mit acht Tänzern gekommen. Ihr Stück „Hmadcha“ war von einer intensiven Energie, die eine Kraft der Verwandlung entfaltete. Die war auch dann sichtbar und spürbar, wenn man dem spirituellen Kontext von Trance und Sufi-Traditionen, die dem Ensemble als Inspiration gedient hatten, fernsteht. Die Spannung zwischen simultanen Bewegungen und Solos trug über weite Strecken. Vorwärtsdrängen und zurückprallen, Anlauf nehmen und umkehren müssen, eine stetige Wellenbewegung ließ die acht Männer wie den Ausschnitt aus einer Masse erscheinen.

Es gab Passagen, die etwas von Erwartung, vom Hoffen auf eine Offenbarung hatten, auch von Unterwerfung; von Selbstüberwindung in der Erschöpfung und Überforderung. Die Arbeit an der Transformation ist hart, der Körper wirft alles in die Waagschale, was er aufbieten kann. Dabei schaffte es Taoufiq Izeddiou, Pathos zu vermeiden. Sich verlieren und auflösen und zurückkehren in eine irdische Welt, in der schließlich gefeiert wird; durch diese Zustände nahm das Stück einen mit.

Ein Höhepunkt des Festivals war das Gastspiel des Ballet national de Marseille/(La)Horde mit „Age of Content“, in Berlin im Haus der Berliner Festspiele aufgeführt. Das Skelett eines Autos, das ferngesteuert bewegt wird und sich hydraulisch aufbäumen kann wie ein wilder Stier, ist im ersten Teil das Objekt der Begierde, um das zunächst zwei Tänzer, dann eine ganze Gang in Kapuzenshirts und mit verdeckten Gesichtern kämpfen.

Das ist nicht nur artistisch, witzig und spannend inszeniert, sondern hat durch die Anonymisierung der Tän­ze­r:in­nen als graue Masse auch etwas vom Auftritt der Avatare, der stellvertretenden Figuren aus Computerspielen. Zudem werden, je nach Generation, ­Erinnerungen an Filmszenen wach.

Robotermotorik und Stunts

Zitate aus dem Kino, der Game­welt oder TikTok dominieren auch im zweiten Teil, in dem die Tän­ze­r:in­nen jetzt zwar einerseits als individualisierte Figuren auftreten, andererseits aber mit einer Robotermotorik agieren, in Kampf- und Liebeszenen gehen, zusammenspielen und wieder in Einzelfiguren auseinanderfallen. Es ist eine wilde Collage, in der vor allem die Stunts zählen, die Höhepunkte der Aktion, während alle narrative Hinführung ­weggeschnitten zu sein scheint. Eine eigene Komik erhält das durch das Ruckeln der Be­wegungen, die Maschinen-Imitation.

Dass das Regiekollektiv (La)Horde damit über die allmähliche Verschmelzung des realen mit dem digitalen Leben erzählen will und über die Simulation der Simulation kann man formal nachvollziehen. Aber das Stück funktioniert auch ohne diese These; das Nachahmen von Puppen hat auf der Tanzbühne von jeher etwas Unheimliches, die Instanzen von Willen, Entscheidungsfreiheit und Subjektivität scheinen ausgehebelt, wie schon in den romantischen Märchen von den Automaten. Es ist faszinierend und absurd zugleich.

Im letzten Teil von „Age of Content“ wird die Maschinenästhetik hinweggefegt und das ganze Ensemble in eine kreisende, wirbelnde Bewegung versetzt, zu einem Musikthema von Philip Glass. Das Ballett kehrt mit Sprüngen und Pirouetten ästhetisch zurück und die Dynamik des Schwarms verdrängt die Technik. Vielleicht ist auch das nur eine perfekte Imitation von Mensch und Natur. Auf jeden Fall macht dieses Ende glücklich.

Nicht alle eingeladenen Produktionen waren so gelungen, bei manchen blieb rätselhaft, wohin die Reise gehen soll, wie bei „Libya“ von Radouan Mriziga. Dass ein Festival neben großen und unterhaltenden Projekten auch Künstler einlädt, die ihren Weg noch finden, ist in Ordnung: Nur wird die Enttäuschung oft auch vorprogrammiert durch die hochtrabenden Worte im Programmheft, die dann gleich von „nichtimperialer Geschichte“ schreiben.

Schwerpunkt Ökologie

Überhaupt, das Programmheft: Für ein Festival, das viele in Deutschland wenig bekannte Künst­le­r:in­nen vorstellt und damit wirklich den Horizont erweitert, waren die Informationen zu spärlich. Dass Marlene Monteira Freitas von den Kapverden kommt und in Portugal arbeitet; dass das Künstlerkollektiv (La)Horde, das auch für den Popstar Madonna und im Kontext von Ausstellungen arbeitet, 2019 die Leitung des Ballet national de Marseille übernommen hat; dass Taoufiq Izeddiou ein Pionier des zeitgenössischen Tanzes in Marroko ist und dort selbst ein Festival leitet – all das interessiert doch die Zuschauer.

Ein Schwerpunkt des Festivals war diesmal „Tanz und Ökologie vernetzen“. An drei Samstagnachmittagen traf sich das Publikum in großen Berliner Parks, am Gleisdreck (in Kreuzberg) etwa oder im Volkspark Rehberge (im Wedding), um an verschiedenen Stationen jeweils für fünfzehn Minuten einer Performance beizuwohnen.

An und für sich ein schönes Format, doch nur einem kleinen Teil der Künst­le­r:in­nen gelang es, sich wirklich auf die Umgebung der Kulturlandschaft des Parks einzulassen. Zu oft aber klaffte eine große Lücke zwischen dem hohen Anspruch an andere Wissensformen über den Umgang mit der Natur, wie er auf dem Programmzettel notiert war, und dem, was sich vermittelte.

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