Tannhäuser-Aufführung in Berlin: Gebogene Körper, gespreizte Schenkel
Choreografin Sasha Waltz und Dirigent Daniel Barenboim sind Berlins neues Bühnen-Dreamteam. Nun feierten sie mit Wagners Tannhäuser Premiere.
Wer heute das Libretto von Wagners „Tannhäuser“ in die Hand nimmt, wird sich ein erstauntes Grinsen beim Lesen der ersten Regieanweisung nicht verkneifen können. Noch bevor Tannhäuser seine erste Zeile singt, „Zu viel! Zu viel! O dass ich nun erwachte!“, malt das Libretto zur Ouvertüre nämlich ein bacchantisches Treiben in der Venusgrotte aus.
Nicht nur die Landschaft und der Duft ändern sich mehrmals, neben Amoretten, Kindern und Grazien treten Faune, Nymphen und Satyre auf. Liebesumarmungen werden geschildert, die vom Neckenden ins Berauschte und weiter ins Wütende kippen. Dieses Bacchanal ist erschöpfend. Kein Wunder, dass der von Venus hier gefangen gehaltene Tannhäuser sich mal wieder nach Durchatmen auf einer grünen Wiese sehnt.
Dieser ersten Szene eine erotische Gestalt und sinnliche Körperlichkeit auf der Bühne zu verleihen, die nicht allein vom genüsslichen Auf- und Abschwellen der Musik evoziert wird, zögern allerdings viele Regisseure, zu nahe liegt die Gefahr von Kitsch und Lächerlichkeit. Sasha Waltz wagt es in ihrer ersten Inszenierung einer Wagner-Oper – es ist nicht die erste Kollaboration mit Dirigent Daniel Barenboim, aber jene, der man in Berlin am meisten entgegenfieberte.
Züngeln, Gleiten, Purzeln
Mit siebzehn Tänzerinnen und Tänzern entfacht die Choreografin ein expressives und üppiges Bild vom Balgen der Körper und vom reizenden Necken. Wie vom Pinsel eines Jugendstilmalers entworfen biegen sich die Körper symmetrisch, züngeln Arme auf und spreizen sich Schenkel. Das alles wird gerahmt von einer kreisrunden Öffnung eines Trichters, durch den immer wieder neue Körper von hinten nachgleiten, während die vordersten herauspurzeln.
Diese Ouvertüre ist vergnüglich. Daniel Barenboim dirigiert die Staatskapelle Berlin mit großer Lust daran, die ganze Fülle zwischen verhaltenem, zartem Klang und dem vollen Aufbrausen auszukosten, die Orgie tobt, die Spannung wächst. Wenn Tannhäuser und Venus endlich auftreten und um seinen Abschied streiten, scheint die Erregung ihrer Stimmen die faunischen Gestalten zu noch mehr Übermut zu befeuern.
Aber damit ist auch schon viel von dem benannt, mit dem sich die Inszenierung von Sasha Waltz von anderen Wagner-Aufführungen unterscheidet. Keine weitere Szene mehr bietet dem Tanz so viel Raum.
Schweres Gewand der Oper
Zwar begleiten Tänzer noch viele weitere Szenen: Sie mischen sich als flinke Springsinsfeld unter die gravitätische Jagdgesellschaft, der Tannhäuser in der Außenwelt begegnet. Sie umspielen die Prozession der Pilger, der Tannhäuser sich anschließen muss, mit Gesten des Flehens und Büßens und bilden am Hofe der Wartburg eine flirtverliebte Hofgesellschaft. Aber all das ist mehr wie ein zusätzlicher Saum an das schwere Gewand der Oper gehäkelt.
Als Sasha Waltz vor zehn Jahren ihre erste Oper inszenierte, „Dido & Aeneas“ von Henry Purcell, war das eine staunenswert durchchoreografierte Oper, in der Chor und Tänzer verschmolzen und die Gesangssolisten selbst von den Tänzern mit in die Bewegung genommen wurden. „Tannhäuser“, ihre vierte Operninszenierung, bleibt dagegen eine Oper mit Tanz – wenn die Anteile auch deutlich höher sind als sonst.
Nun ist Waltz nicht allein für den Tanz, sondern für die ganze Regie verantwortlich – und die ist dann doch sehr gelungen. Die Bühnenräume sind großzügig und abstrakt. Im dritten Akt, der von der Trauer Elisabeths, die sich von Tannhäuser verraten fühlt und ihm dennoch verzeihen will, erzählt und vom Mitleiden Wolframs, der ein Freund der beiden ist und tief getroffen von ihrer Verzweiflung, schafft diese eine große Konzentration.
Es sind nur Nebel und sparsames Licht um diese beiden. Diese Bilder lassen der Musik einen Raum, der sie weit über den konkreten Augenblick hinaus ausgreifen lässt.
Ausgezeichnete Sänger
Das ist auch den ausgezeichneten Sängern zu verdanken, die die Staatsoper für diesen ersten Wagner von Waltz engagiert hat. Peter Mattei als Wolfram, Peter Seiffert als Tannhäuser, Tobias Schnabel als Biterolf, Ann Petersen als Elisabeth – sie singen ihre Rollen nicht nur mühelos und großartig, sondern scheinen sich in dieser Inszenierung auch zu Hause zu fühlen. Niemanden scheint hier die Aura eines Gesangsstars zu umgeben.
Die Wagner-Sänger überragen übrigens fast alle den Chor und die Tänzer um einen Kopf mindestens – was oft zu Bildern führt, in denen die Sängerkörper von den Tänzern umrankt werden. Auch ihre Biografien im Programmheft sind viel länger, voll der renommierten Engagements. Es mutet ein wenig so an, als ob hier etwas Schweres und etwas Leichtes aufeinandertreffen. Letztendlich aber bleibt Wagner Wagner, und man fragt sich schon, warum der Luftgeist Waltz ausgerechnet dem seine Liebe erklären muss.
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