Tagung zu Fritz Bauer in Berlin: Er soll nicht schwul sein
Fritz Bauer war Chefankläger des Frankfurter Auschwitz-Prozesses. Jetzt heißt es, er soll kein jüdischer und auch kein schwuler Mann gewesen sein.
Dass sich am Ende alle gegenseitig lobten, verwundert nicht. In der Landesvertretung Niedersachsens in den Ministergärten Berlins tagte am Mittwoch eine Gruppe, die zuvor bereits mit Beiträgen zur aktuellen Ausgabe des Forschungsjournals Soziale Bewegungen (Lucius & Lucius 28/2015) rührig geworden war. Ihr Interesse gilt Fritz Bauer, dem 1968 gestorbenen Generalstaatsanwalt von Hessen, der durch sein juristisches und publizistisches Wirken einer der wenigen liberalen Demokraten in der post-nationalsozialistischen Bundesrepublik war.
Worum es den Teilnehmern in ihren Referaten und Moderationen ging, erschloss sich schnell und erschütternd deutlich: Fritz Bauer, der als Sozialdemokrat und wegen seiner jüdischen Herkunft Deutschland 1936 verlassen musste, soll kein jüdischer, vor allem aber kein schwuler Mann gewesen sein. Das sei, meint Irmtrud Wojak, die vor einigen Jahren mit einer Biografie zu Fritz Bauer zu reüssieren versuchte, eine rechte Gedankenkonstruktion: Man mache aus Bauer, dem Helden, einen „schwulen Juden“, um ihn so zu diskreditieren. Andere bliesen ins selbe Horn, vor allem die Filmemacherin Ilona Ziok.
Ziok will Dokumente, die Fritz Bauer im dänischen Exil als homosexuell begehrenden Mann zeigen, nicht gelten lassen. Auch sonst will keiner der Teilnehmer das individuell Menschliche – also auch die kulturell-religiöse Prägung, das sexuelle Begehren – an diesem heldenhaften Juristen zur Kenntnis nehmen. Bagatellen nur!
Niemand von den Historiker*innen des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt war geladen, um die hagiografische Weihestimmung in Sachen Fritz Bauer historisch zu balancieren. Diese Tendenz hatte sich bereits im Forschungsjournal gezeigt. Kein Text über das, was Fritz Bauer am stärksten nach 1949 bewegte: die Sittlichkeits- und Sexualstrafgesetzgebung in der BRD. Es war also keine Tagung, sondern ein Akt der Beschwörung einer Sekte: Ihr Heiliger darf nicht schwul gewesen sein!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier