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Tafeln müssen Bedürftige wegschicken„Es gibt Hungernde in Hamburg“

Weil der Andrang so groß ist, nehmen 22 von 29 Tafeln in Hamburg niemand mehr auf. Der Sozialverband fordert eine Anhebung der Grundsicherung.

An Bedürftigen mangelt es nicht, aber an Spenden: Ausgabestelle der Hamburger Tafel im März 2022 Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Hamburg taz | Die Lage von armen Menschen in Hamburg spitzt sich zu. So verfügten bei der Hamburger Tafel jetzt 22 der insgesamt 29 Ausgabestellen den „Aufnahmestopp“. Bis dahin konnten Menschen mit einem Nachweis ihrer niedrigen Rente oder Leistungsbezüge sich ein Kärtchen oder einen Ausweis geben lassen, der sie berechtigt, einmal in der Woche für gespendete Lebensmittel anzustehen.

Die Hamburger Tafel selbst beliefert nur diese Ausgabestellen, wo Ehrenamtliche in Räumen von Gemeinden oder Einrichtungen die Lebensmittel verteilen. „Die haben uns zurückgemeldet: ‚Wir können nicht mehr. Die Wartelisten sind voll. Wir müssen stoppen‘“, berichtet Tafel-Sprecherin Julia Bauer. Die ersten taten dies vor vier Wochen, inzwischen ist es die Mehrheit.

Die Ursache sei eine „Mischung“ an Gründen. Zum einen stieg die Zahl der Bedürftigen rasant. Noch vor Corona wurden etwa 30.000 Hamburger über die Tafeln mit Essen versorgt, derzeit schätzt Bauer die Zahl auf rund 45.000. Wobei der Anteil der Ukraine-Flüchtlinge nicht entscheidend war. Für sie wurden 400 neue Plätze an den Ausgabestellen geschaffen, angesichts von 27.000 Ukraineflüchtlingen insgesamt nicht viel.

Seit Kriegsbeginn gingen aber Großspenden direkt nach Polen oder in die Ukraine, berichtet Bauer. Auch die Supermärkte kalkulierten knapper. Weil dort weniger übrig bleibt, holen auch die Wagen der Tafel weniger ab. „Wir müssen für das gleiche Volumen viel mehr Touren fahren.“

Supermärkte kalkulieren knapper

Aufnahmestopps gibt es im ganzen Land, wie der Bundesverband „Tafel Deutschland e. V“ mitteilt. Im Norden nähmen zum Beispiel die Tafeln in Kiel, Kappeln, Wunstorf und Schaumburg keine neuen Kunden auf, weil die Spenden nicht reichen.

Für Klaus Wicher ist dieser Stopp ein Hinweis, dass es vielen Menschen nicht gut geht. Er ist der Hamburger Vorsitzende des Sozialverbandes Deutschland (SoVD). „Es gibt Menschen, die hungern in Hamburg“, sagt Wicher. „Die kommen an die Tafel nicht ran und haben am Monatsende ein paar Tage nichts zu essen.“ Das wisse er, weil er mit Menschen sprach, die ihm das anvertrauten. Sein Verband betreibt in Hamburg-Osdorf ein Sozialkaufhaus gegenüber einer Tafel. Der SoVD habe dort Essensgutscheine verteilt.

Wicher fordert, dass Hamburg aus Landesmitteln die Grundsicherung für alte Menschen erhöht, so wie es München tut. Dringend nötig sei auch eine deutliche Erhöhung von Hartz IV und Grundsicherung, die an die Inflation gekoppelt ist. Eine im Zuge des neuen „Bürgergelds“ diskutierte Anhebung um 40 bis 50 Euro sei „viel zu wenig“.

Grüne wollen Initiative starten

Ein Agenturbericht zum Tafelstopp findet sich auch auf der Website hamburg.de, die zum Teil der Stadt gehört. Deren Sozialbehörde indes sieht sich nicht so richtig zuständig. Auf die Frage, was Menschen, die mit ihrem Geld nicht genug Essen kaufen können, tun können, verweist eine Sprecherin auf die „Sozialleistungsbezüge“. Etwa ein Drittel des Regelsatzes der Grundsicherung sei für Lebensmittel. „Damit können sie sich mit Nahrungsmitteln versorgen und selbstbestimmt einkaufen.“

Allerdings wurde dieser Regelsatz zu Jahresbeginn lediglich von 446 auf 449 Euro im Monat angehoben, recht wenig bei acht Prozent Inflation. Dazu gibt es für 2022 nur eine Einmalzahlung von 200 Euro wegen der Krise. „Die Regelsätze sind viel zu niedrig, ich wüsste überhaupt nicht, wie man davon gesund einkaufen soll“, sagt die Linken-Sozialpolitikerin Olga ­Fritzsche. Auch sie kenne Menschen, die hungern. Die Tafel sei nur ein „Notnagel“ und zeige, dass die Leute nicht klarkommen.

„Die Tafel ist ein untaugliches Mittel, um arme Menschen zu versorgen. Das ist eine staatliche Aufgabe“, sagte Wolfgang Völker vom Sozialbündnis „Hamburg traut sich was“. Der Aufnahmestopp sei für die Nutzer total ärgerlich, sagt er. Als private Anbieter dürften die Tafeln so entscheiden, aber gegenüber dem Staat habe jeder Bürger „ein Recht auf Existenzsicherung“.

Immerhin kündigte mit Mareike Engels eine Sozialpolitikerin der Grünen Anfang Mai eine „Initiative“ des rot-grünen Hamburgs für eine „relevante Regelsatzerhöhung“ mit „armutsfestem Anpassungsmechanismus“ an. Auch sie fürchtet, dass Strom- und Lebensmittelpreise sonst nicht aufgefangen würden. Angesichts des Tafelstopps daran erinnert, bekräftigt Engels, dies sei weiter ein „wichtiges Anliegen“, das Hamburg zum Ausdruck bringen wolle. Nur diskutiere die Koalition gerade noch, „in welcher Form“das passieren soll.

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12 Kommentare

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  • 100 Mrd "Sondervermögen" für unsere glorreiche Bundeswehr sind wichtiger!

  • Hamburg ist eine der reichsten Städte Deutschlands. Es ist völlig unverständlich, dass die Stadt nicht aus Eigenmitteln hilft.

    Man könnte doch einfach dort die Grundsteuer anheben beiden horrenden Immobilienpreisen dort.

  • Wir leben in einem Feudalstaat in dem 100 Milliarden für die BW zu Verfügung stehen



    aber das Volk der Habenichts hungern. Sollte die Regierung mal erklären woher sie das



    viele Geld nehmen.

  • Wir haben Rentnerarmut, Kinderarmut, Hartz IV Armut, Niedriglohnarmut, 956 Tafeln (an denen monatlich 1,65 Millionen arme Menschen in Deutschland anstehen müssen, um nicht zu hungern), sowie 52.000 Obdachlose in einem der reichsten Länder der Welt. Aber dies alles wird seit Jahren bei uns 'unter den Teppich gekehrt'. Und was der Bürger nicht sieht, nimmt er/sie natürlich auch nicht wahr - weshalb sollte die Politik also etwas dagegen tun? Die Reichen werden immer reicher und wissen nicht mehr wohin mit ihrem ganzen Geld und die Armen müssen seit vielen Jahren an der Tafel um Essen anstehen und bekommen von ihrem "schönen Leben" Depressionen. In Hamburg sind Prachtbauten (z.B. die Elbphilharmonie) gebaut worden und sollen immer noch gebaut werden ("Elbtower" – ein 200 Meter hohes Hochhaus, das bis zu eine Milliarde Euro kosten soll), und gleichzeitig müssen Menschen in der reichen Stadt Hamburg an der Tafel um Essen anstehen.

    taz: Die Lage von armen Menschen in Hamburg spitzt sich zu. So verfügten bei der Hamburger Tafel jetzt 22 der insgesamt 29 Ausgabestellen den „Aufnahmestopp“.

    Die wirklich soziale Frage ist doch nicht, weshalb jetzt viele Tafeln zumachen, sondern weshalb in diesem reichen Land 1.650.000 Menschen (30.000 bis 45.000 davon in Hamburg) überhaupt auf Tafeln angewiesen sind? Von welcher "Würde" spricht man in Art. 1 GG eigentlich, wenn jeden Monat 1,65 Millionen Menschen in Deutschland an eine der 956 Tafeln anstehen müssen, um nicht hungern zu müssen?

    taz: "Der Sozialverband fordert eine Anhebung der Grundsicherung."

    Die Anhebung des Hartz IV Regelsatz ist doch trotz des Urteils des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09) von der Politik in den vergangenen 12 Jahren nie umgesetzt worden - und bis auf etwas "Sozialkosmetik" (vielleicht 30 bis 50 Euro/Monat mehr Geld für Hartz IV Empfänger ab nächstes Jahr) wird es auch keine soziale Gerechtigkeit in diesem Land geben.

    • @Ricky-13:

      Wie kommen Sie darauf, 1,65 Millionen Menschen an Tafel "anstehen müssen"?

      Aus der Existenz von horrender Lebensmittelverschwendung und Organisationen, die sich dem Thema widmen, kann man nicht den Schluss ziehen, dass die staatlichen sozialen Hilfen zu niedrig sind.

      • @Rudolf Fissner:

        Was soll das?



        Sind jetzt die Menschen in der Schlange an den Tafeln schuld?

        Ihre Logik kann ich nicht nachvollziehen.



        Egal wer nun Schuld hat, es ist eine Schande, dass solche Verhältnisse in Deutschland Alltag sind.



        Das sind unsere!!!!!! Leute.



        Das muss man ändern, wie so vieles in diesem kaputten Land der Ungerechtigkeiten.

        • @cuba libre:

          Der Schluss das viele Menschen Lebensmittel retten, die sonst weggeworfen würden, weil diese alle sonst hungern würden, ist eine falsche Schlussfolgerung.



          Menschen ohne Zugang zu Tafeln verhungern nicht.

          Würden die Tafeln offen sein für alle, hätten wir nach dieser Rüchschlusslogik schnell mehrere Millionen Kunden mehr bei den Tafeln, die man für Hungerbehauptungen instrumentalisieren kann.

          Die Tafeln sind kein Indikator für Hunger.

          Hunger in DE existiert unabhängig von den Tafeln. Er existiert auch dort wo es keine Tafeln, also auch keine Tafelkunden gibt. Vor allem Kinder aus H4 Familien und Flüchtlinge (also nicht nur "unsere Leute") aber auch ältere Menschen in Pflegeheimen sind davon betroffen.

          Es gibt keine 1,65 Millionen Hungernde in DE. Das ist schnell durchschaubare populistische Zahlentrickserei, die dem eigentlich Ziel, der Abschaffung von existierenden Hunger nur schadet.

          Wenn man also etwas machen wollen für "Unsere Leute" (und natürlich auch für Flüchtlinge! dann sollte man vor allem mit Fakten arbeiten und sich nicht alle Kunden

          • @Rudolf Fissner:

            "Die Tafeln sind kein Indikator für Hunger."

            Selbstverständlich sind sie das, nur dass sich, wie sie ja auch schreiben, die Armut in Deutschland nicht allein auf die Menschen beschränkt, die zur Tafel gehen.



            Ein Indikator aber sind die Tafeln allemal.

            • @cuba libre:

              Und welchen Umrechnungsfaktor haben Sie für die 1,65 Millionen Tafel-Kunden? Wieviele Hungernde kommen da bei Ihnen raus? Und dann die zusätzlichen Containernden! Wie ist da ihre Hungerrate?

              Sind es 1,65 Millionen Hungernde oder 165 Hungernde? Und wie sah die Welt aus vor den Tafeln oder in Ländern des globalen Südens ohne Tafeln? Gar keine Hungernden? Oder sind es gar mehrere Millionen!?

              Die Tafeln sind als Indikator für erfolgreiche Vermeidung von Lebensmittelverschwendung geeignet. Nicht aber für das Gegenteil. Dafür bedarf es anderer Untersuchungen. www.fian.de/wp-con...eutschland2012.pdf

      • @Rudolf Fissner:

        Das schreiben Sie ja nun seit einiger Zeit, das man nicht den Schluss ziehen sollte, dass die staatlichen sozialen Hilfen zu niedrig sind. Durch Ihre ständige Wiederholung wird das aber dennoch nicht zur Wahrheit.

        Und falls Sie nicht mit Google oder einer anderen Suchmaschine umgehen können, habe ich hier den Link, wo man das mit den 1,65 Millionen Menschen, die in Deutschland auf die "Tafel" angewiesen sind, auf der 'Tafelseite' lesen kann.

        "Von 2018 auf 2019 ist die Zahl der Tafel-Kundinnen und -Kunden von 1,5 Millionen Menschen auf 1,65 Millionen Menschen gestiegen." [Quelle: Die Tafeln - ZAHLEN & FAKTEN] www.tafel.de/presse/zahlen-fakten

        • @Ricky-13:

          Ich schrieb nicht das man keine Schlüsse ziehen sollte, sondern habe NACHGEFRAGT wie man aus einem erfolgreichen Projekt gegen LEBENSMITTELVERSCHWENUNG in einem Land wo 8 Millionen Tonnen Lebensmittel jährlich verschwendet werde, den Schluss ziehen kann, dass das das Hunger die Ursache für den Erfolg ist.

  • Nicht nur in Hamburg!



    Und es wird aller, allerhöchste Zeit da mal mit der Faust auf den Tisch zu hauen.

    Aber wer sollte das tun? Ich habe schon lange niemanden mehr in unseren Parlamenten erlebt, der den Hunger und die Armut in Deutschland beklagt hat.

    Man lamiert ja lieber über Vogelschlag und Windradabstände.