Syriza nach Abstimmung über Sparpaket: Die Meuterei
Ernüchterung in Athen. Premier Alexis Tsipras muss Sparauflagen durchsetzen, die er ablehnt. Schon ist die Rede von Neuwahlen im Herbst.
Weitere Sparauflagen werden folgen. Besonders umstritten sind die in Aussicht gestellten Rentenkürzungen, insbesondere bei unterfinanzierten Kassen. Beispiel: Rückwirkend zum 1. Juli wird die staatliche Förderung für die Kasse der landwirtschaftlichen Sozialversicherung OGA erheblich reduziert, wodurch Renten-Einschnitte von bis zu 50 Prozent drohen. Auch bei Zusatzrenten wird deutlich gekürzt: Wer sich bisher auf eine Zusatzrente in Höhe von 200 Euro gefreut hat, bekommt ab sofort nur noch 176 Euro – wegen eines neu eingeführten Beitrags zur Pflegeversicherung. Weitere Einschnitte finden ab Januar 2015 statt, bis Ende 2019 wird auch die Solidaritätszulage für Rentner gestrichen.
Es handelt sich um Sparauflagen, die Tsipras und seine Syriza-Partei in der Opposition noch verteufelt haben. Unter dem Druck der Ereignisse und der EU-Partner rückt Tsipras davon ab, genauer gesagt: Nach eigener Aussage bleibt er bei der Überzeugung, die Sparauflagen seien grausam. Trotzdem bringt er sie im Eilverfahren durch das Parlament.
Nun droht der Linkspartei die Spaltung. Will Tsipras seinen Rückzieher tatsächlich vollziehen, dann kommt er wohl nicht umhin, sich von langjährigen Weggefährten wie Sozialminister Dimitris Stratoulis und Energieminister Panagiotis Lafazanis zu trennen. Sonst würden ausgerechnet die schärfsten Kritiker der Sparauflagen mit deren Umsetzung beauftragt.
Eine Spaltung hätte allerdings zur Folge, dass in Griechenland neue Antiausteritätsparteien aus der Taufe gehoben werden, die eine hier ohnehin starke Anti-EU-Front weiter zementieren.
Trotzdem hohe Popularität
Als potenzielle Anführerin der Meuterei gilt Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou. Diese ist bisher nicht durch überparteiliche Zurückhaltung, sondern im Gegenteil durch eine betont linke und zum Teil auch persönliche Agenda aufgefallen.
Dazu gehören die Ablehnung neuer Sparauflagen, die Nichtigerklärung und Umstrukturierung der griechischen Schulden sowie die an Berlin gerichtete Forderung nach Kriegsentschädigungen in dreistelliger Milliardenhöhe.
Zum Surrealismus griechischer Politik gehört freilich auch, dass Tsipras hohe Popularitätswerte genießt. Das liegt wohl nicht nur daran, dass er Probleme meisterhaft hinweglächelt, sondern auch daran, dass sämtliche Oppositionsparteien, die von den Wählern als Hauptschuldige für die heutige Misere des Landes angesehen werden, in der Bedeutungslosigkeit versinken. Laut Umfragen kommt die bis Januar regierende konservative Partei nur noch auf 19 Prozent, während die einst allmächtigen Sozialisten bei einer Neuwahl um ihren Einzug ins Parlament kämpften müssten. Schon wieder eine Neuwahl?
Mittelfristig Stabilität vorzeigen
Auch das ist gut möglich und sogar höchst wahrscheinlich im Politik-Labor Griechenland. Für Tsipras wäre dies vermutlich eine weitere Möglichkeit, die Flucht nach vorne zu ergreifen und sowohl die Opposition als auch die eigenen Abweichler zu schwächen. Innenminister Nikos Voutsis spricht sogar offen von Neuwahlen im September oder spätestens Oktober 2015.
Bis dahin muss Tsipras zumindest den Eindruck einer mittelfristigen Stabilität erwecken. Erste Anzeichen gibt es: Eine Einigung der Euro-Finanzminister auf Übergangsgelder in Milliardenhöhe für Griechenland sowie die zaghafte Erhöhung der ELA-Notfinanzierung durch die Europäische Zentralbank (EZB), die griechischen Kreditinstituten zukommt. Sollten die Banken in Hellas, wie versprochen, am kommenden Montag wieder öffnen, dann hätte Tsipras endlich auch als Regierungschef eine frohe Botschaft zu verkünden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben