Syrien nach Assad: „Feiert mit uns!“
Wie geht es Syrer*innen in Deutschland nach dem Sturz des Assad-Regimes? Was denken sie über die Abschiebedebatte? Fünf Einwürfe im Gefühlschaos.
„Feiert mit uns!“
Ich freue mich für alle Vertriebenen, die jetzt endlich in Sicherheit zurückkehren können. Ich freue mich für alle Gefangenen, die aus der Haft befreit wurden. Und ich freue mich für die Menschen in Syrien, dass dieser Diktator endlich weg ist. Ich hätte mir nur gewünscht, dass er für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wird. Er hat Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht. Jetzt ist er selbst ein Flüchtling. Ich habe viele Angehörige und Freunde in Damaskus und in Homs. Viele sind aber auch gestorben, viele wurden vertrieben. Deshalb denke ich auch an die, die diesen Moment leider nicht feiern können. Im Verlauf der Revolution seit 2011 wurden Millionen Menschen inhaftiert. Von ihnen sind jedoch über 180.000 spurlos verschwunden. Die Situation bleibt weiterhin unübersichtlich und es gibt keine Klarheit über ihr Schicksal.
Nur weil Assad weg ist, heißt das natürlich nicht, dass in Syrien Frieden herrscht. Aber ich glaube, jede Zukunft ist besser als eine mit Assad – mit einem korrupten Regime, das sein eigenes Volk ermordet hat. Es ist deshalb falsch, ständig Begriffe wie Islamisten und Dschihadisten zu verwenden, um die Opposition damit für illegitim zu erklären. Diese Menschen haben nicht 14 Millionen Syrer vertrieben. Sie haben auch nicht eine halbe Million Syrer getötet und auch nicht 100.000 Menschen ins Gefängnis gesteckt. Sie haben vielmehr diese Menschen befreit und tragen dazu bei, dass Millionen Menschen, die nach Idlib vertrieben wurden und dort jahrelang in Flüchtlingslagern leben mussten, vielleicht wieder in ihre Häuser zurückkehren können.
Man nennt sie Islamisten. Aber auch diese Menschen sind Opfer von Assad, seines Kriegs und seiner Foltergefängnisse. Für mich sind sie vor allem Syrer, die stark an ihrem Glauben hängen – ähnlich wie Christen im Westen, die tief in ihrem Glauben verwurzelt sind. Viele von ihnen sind konservative Muslime, vergleichbar mit konservativen Christen, etwa in Parteien wie der CDU – allerdings in einer Realität, die von Gewalt und bewaffnetem Konflikt geprägt ist. Aber wir haben schon immer zusammen gelebt, schon vor Assad, und wir werden es auch nach ihm tun.
Die Syrer wollen endlich in Frieden leben, und ich finde es falsch, dass gerade Israel die Gelegenheit genutzt hat, über 300 Luftangriffe in Syrien durchzuführen. Zudem wurden mehrere Dörfer an der Grenze zur Evakuation aufgefordert, offenbar, um die Orte zu annektieren.
Ich habe keine Angst vor Islamisten. Nur vor Terroristen. Und der größte Terrorist war Assad. Ich wurde selbst von islamistischen Gruppen verhaftet und gefoltert. Aber das ist kein Vergleich zu dem, was ich mit Assads Schergen erlebt habe. Ich kann gut verstehen, wenn zum Beispiel jemand aus der LGBTQ-Community Angst hat. Deshalb ist es falsch, dass jetzt die Asylverfahren gestoppt werden. Wir reden ständig über Demokratie und Freiheit. Wenn das syrische Volk zum ersten Mal seit 50 Jahren selbst entscheiden darf, dass es jetzt diesen oder jenen Menschen als Präsidenten des Landes haben möchte, dann ist das seine Sache. Ein paar Jahre im Amt, dann kann er wieder abgewählt werden – so sollte es sein.
In Arbeit Rund 205.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Menschen mit syrischer Staatsangehörigkeit zählte die Statistik der Agentur für Arbeit im November. Davon waren rund 174.000 Männer und nur 30.700 Frauen. Insgesamt liegt die Beschäftigungsquote für Syrer*innen bei 32,7 Prozent. Hinzu kommen 42.500 geringfügig Beschäftigte. Der Anteil von Syrer*innen an allen ausländischen Arbeitnehmer*innen in Deutschland (rund 5,3 Millionen) beträgt rund 3,9 Prozent.
Als Fachkraft Laut dem Kölner Institut für Wirtschaft (IW) arbeiten die meisten der angestellten Syrer*innen in den Bereichen Verkehr, Logistik, Sicherheit und im Gesundheitswesen, darunter sind 5.800 syrische Ärzt*innen.
Die Frage ist nicht, ob ich nach Syrien gehen werde, sondern wann. Schon als Aleppo befreit wurde, habe ich mit dem Gedanken gespielt, dorthin zu fahren. Ich weiß nicht, ob ich dort leben möchte. Ich bin 2013 nach Deutschland gekommen, meine Eltern leben inzwischen auch hier. Ich habe mir in elf Jahren eine Existenz in Deutschland aufgebaut. Meine Firma ist hier, meine Arbeit, mein Leben, und ich bin seit mehr als vier Jahren deutscher Staatsbürger. Aber ich weiß, dass ich eine Heimat habe, die ich jetzt hoffentlich endlich wieder besuchen kann – den Ort, an dem ich geboren wurde und mit dem ich Erinnerungen verbinde. Ich konnte mich nicht verabschieden, weil ich so schnell fliehen musste. Aber ich möchte mir diese schönen Augenblicke wieder zurückholen.
Firas Alshater, 33 Jahre, ist Schauspieler, Comedian und Youtuber. Seine Autobiografie mit dem Titel „Ich komm auf Deutschland zu“ erschien 2016 im Ullstein Verlag.
„Keinen Raum den Rechten!“
Wir wussten, dass die Opposition seit Jahren zum ersten Mal die Chance auf Befreiung hat, aber dass sie es wirklich geschafft hat, erweckt wieder Hoffnung in mir. Ich bin noch ziemlich schockiert und total glücklich. Am Sonntag bin ich aufgewacht, mein Handy vibrierte, ich hatte zig verpasste Anrufe von Freunden aus Syrien, Deutschland und Italien. Die Nachrichten hatte ich nicht gesehen, aber ich habe geahnt, was los ist. Der Himmel, die Luft, alles hat sich ganz anders angefühlt.
Ich habe mit meiner Mutter telefoniert, sie lebt in Tartus im Westen Syriens. Zum ersten Mal seit Jahren werde ich nach Syrien reisen, um meine Familie und Freunde wiederzusehen. In mein eigenes Land, meine Heimat. Sie gehört wieder uns. Im März plane ich dort zu sein, zur Zeit ist die Situation mit den Grenzen auch noch nicht ganz klar, aber über Beirut scheint man ganz gut nach Syrien zu kommen.
Mohammad Abu Hajar, 37, Rapper aus Kassel
Ich habe gegen das Regime gerappt, dafür war ich eine Zeit lang im Gefängnis. Als ich raus kam, musste ich meine Heimat verlassen. 2014 bin ich nach Deutschland geflüchtet. Ich muss sagen, es ist hart hier. Niemand empfängt dich mit offenen Armen. Deshalb wünsche ich mir jetzt, umso mehr: Deutschland, feiert mit uns das neue freie Syrien. Schließlich leben wir seit zehn Jahren zusammen, etwa nicht? Jetzt ist die Zeit zum Feiern, statt ständig zu fragen: „Und, gehst du zurück?“ Das ist echt nicht der richtige Moment.
Ich habe schon lange keine Erwartung mehr an Deutschland, ich hoffe nur so sehr, dass sie uns irgendwann verstehen, wie wir sie verstanden haben: Wir haben die deutsche Sprache gelernt, versucht, die Kultur zu verstehen und zu akzeptieren. Wir haben versucht, uns anzupassen, nicht aufzufallen. Nach der Silvesternacht in Köln 2015 galten wir auf einmal alle als Vergewaltiger. Als die Flüchtlingsbewegung aus Syrien los ging, wollte ich meine Leute unterstützen. Es war mitten im Winter und in Berlin campierten die Leute tagelang vor dem Flüchtlingsamt. Deutschland war überfordert.
Ich erinnere mich noch gut an den Dezember 2016. Ich wohnte da noch in Berlin, bevor ich nach Kassel zog, wir waren 25 Personen in meiner kleinen Wohnung und wir hatten alle Angst. Wir dachten: Die Revolution in Syrien ist endgültig vorbei, wir haben verloren. Das war eine sehr dunkle Zeit in meinem Leben, ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben.
Eine weitere Sache wünsche ich mir für Deutschland: Dass den Rechten kein Raum mehr gegeben wird. Nächstes Jahr ist Bundestagswahl, und wir sehen, wie stark die AfD in den Umfragen ist. Schau mal, Deutschland, Syrien hat es geschafft, jetzt seid ihr dran. Bekommt euren Rassismus in den Griff. Die Zukunft ist ungewiss, aber ich habe schon Pläne für meinen nächsten Song. Ich will ihn in Syrien aufnehmen und das Video dort drehen, in der Sonne, im Warmen, in meinem Land, in Syrien.
Mohammad Abu Hajar, 37 Jahre, ist Rapper und lebt in Kassel.
„Jetzt ist keine Zeit für Aktionismus“
Meine Mutter stammt aus Idlib, mein Vater aus Suweida, einer Region im Südwesten, in der viele Drusen leben. Beiden ist ein großer Stein vom Herzen gefallen. Nach 13 Jahren Krieg hat meine Familie in Syrien erstmals wieder Hoffnung auf positive Veränderungen. Meine eigenen Gefühle sind gemischt. Ich verspüre einerseits tiefe Trauer darüber, dass das Land, das ich kennen und lieben gelernt habe, nicht mehr existiert, weil 13 Jahre Krieg zu viel zerstört haben. Ich verspüre zugleich große Freude. Darüber, dass das Assad-Regime gestürzt ist und die Menschen endlich wieder hoffen können. Ich verspüre große Sorge. Darüber, ob es den Menschen in Syrien nun wie den Menschen in Afghanistan oder Iran ergehen könnte. Ich hoffe inständig, dass sich rechtsstaatliche Strukturen entwickeln können und die Bürger des Landes ein echtes Mitspracherecht erhalten. Sie lieben ihr Land – da ist es nur richtig, dass sie es mitgestalten können.
Ich wünsche mir, dass wir nun Schritt für Schritt gehen. Jetzt ist keine Zeit für Aktionismus. Syrien braucht Unterstützung für einen geordneten politischen Übergang und den Wiederaufbau des Landes. Es braucht jetzt gut durchdachte Maßnahmen, die vor allem der syrischen Bevölkerung helfen. Meine Erfahrungen als Tochter syrischer Einwanderer habe ich von Anfang an auch in meine politische Arbeit eingebracht. Ich will mich auch weiterhin für die Belange dieser und weiterer migrantischer Gruppen einsetzen.
Die laufende Abschiebedebatte ist empathielos, kurzsichtig und purer Aktionismus. Wie man Menschen einen Tag nachdem dort ein Regime gestürzt ist, in ein Land zurückschicken will, das vom Krieg gebeutelt und weitestgehend zerstört ist, kann ich absolut nicht nachvollziehen. Es muss jetzt darum gehen, wie Deutschland Syrien unterstützen kann. Und nicht darum, wie man weltpolitische Ereignisse möglichst schnell für eigene Wahlkampfzwecke missbrauchen kann.
Rasha Nasr, 32, ist seit 2021 SPD-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Dresden I.
„Von den Rebellengruppen bin ich positiv überrascht“
Es ist ein Auf und Ab der Gefühle. Am Sonntag haben wir geweint vor Freude. Aber die Freude verblasst leider mit jedem Tag. Auch, weil unsere Politiker so unverantwortlich und unsensibel mit diesem Thema umgehen. Meine Mandanten rufen mich im Minutentakt an: Sie haben Angst, weil sie schon einmal alles verloren haben und jetzt wieder eine große Ungewissheit herrscht. Das ist sehr bedrückend.
Ich bin in Rüsselsheim geboren und aufgewachsen. Ich kenne Syrien nur aus den Urlauben, die ich dort ohne meinen Vater verbracht habe. Er kam mit 18 Jahren nach Deutschland, 1959. Weil er sich 1981 der friedlichen Opposition anschloss, durfte er seitdem nicht mehr nach Syrien einreisen. Als ich Kind war, hat er immer geweint, wenn er mich zum Flughafen begleitet hat. Das war der Grund, warum ich später Jura studiert habe – um etwas für die Gerechtigkeit zu tun.
Während der Revolution 2013 war ich mit meinem Vater im damals „befreiten“ Stadtteil von Aleppo, mit vier Lkws an Material, Medikamenten und Lebensmitteln. Als wir dort waren, hat der türkische Präsident Erdoğan die Grenzen gesperrt und wir saßen eine Woche lang fest, zwischen Fassbomben und den anderen furchtbaren Schrecken. Die Menschen, die für Gerechtigkeit einstehen, wurden damals von der Welt fallen gelassen. Und das droht jetzt wieder.
Von den unterschiedlichen Rebellengruppen bin ich positiv überrascht. Mein Mitarbeiter ist Anwalt aus Aleppo und syrischer Christ. Er sagt, die Christen würden geschützt, sie waren am ersten Advent in der Kirche und haben ihren Weihnachtsbaum aufgestellt. Aber es sind auch viele gemäßigte Gruppen in der ersten Reihe dabei oder in der Presse aktiv. Und ich begrüße es, dass sie sagen: Wir wollen eine Übergangsregierung, wir arbeiten mit euch zusammen, wir wollen endlich ein friedliches Syrien ohne Diktatur. Das hätte ich nie gedacht – vor allem angesichts der ganzen Grausamkeiten, die das Regime verübt hat.
Ich habe einen Verwandten, der als Minister für die syrische Regierung arbeitet. Ich hatte seit 14 Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm, aber er hat meines Wissens kein Blut an den Händen. Er wurde angerufen und ihm wurde gesagt: Geh weiter in deinem Büro arbeiten. Ich finde es gut, mit jemandem, der keine Kriegsverbrechen begangen hat, den Übergang zu gestalten. Das ist besser als Vergeltung. Doch jetzt haben wir Angst, dass es doch in einem Bürgerkrieg endet, weil so viele ausländische Kräfte mitmischen.
Wir wünschen uns, dass Deutschland die demokratischen Kräfte und den Wiederaufbau unterstützt und signalisiert, dass da jetzt nicht jeder bombardieren und einmarschieren kann. Wir arbeiten seit 2012 mit dem Auswärtigen Amt und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Wir haben in ganz Syrien Projekte gehabt oder haben sie noch. Ich hoffe, dass wir schnellstmöglich besprechen können, wie wir positiv auf den Wandel dort reagieren können.
Nahla Osman, 46, ist Fachanwältin für Migrationsrecht und Vorsitzende des Verbands deutsch-syrischer Hilfsvereine e.V.
„Peinliche Debatte in Deutschland“
Mir geht es sehr, sehr gut, denn wir feiern immer noch den Sturz von Assad, auch wenn wir uns natürlich Sorgen machen, wie es weitergeht. Ich habe in den letzten Tagen viel telefoniert und sehr wenig oder gar nicht geschlafen, wie in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Die Ereignisse wurden ja fast live übertragen, zum Beispiel über Telegram, von syrischen Journalisten, die die militärische Opposition begleitet haben. Endlich ist der tyrannische Diktator weg und nun kann eine hoffnungsvolle und friedliche Zukunft für das befreite Syrien beginnen.
Faisal Hamdo, 35, Physiotherapeut und Autor aus Hamburg
Die HTS hat sich in den letzten Jahren in Idlib erstaunlich tolerant gezeigt, vor allem gegenüber Minderheiten wie den Christen dort, deren Kirchen in den befreiten Gebieten wieder aufgebaut werden. Das macht einen guten Eindruck und wir hoffen, dass es so weitergeht. Syrien gehört allen Syrern, egal welcher ethnischen oder religiösen Gruppe sie angehören. Meine größte Sorge ist, dass die Nachbarländer wie die Türkei und Israel die Gunst der Stunde nutzen, um sich ein Stück vom Kuchen abzuschneiden. Auch meine kurdischen Freunde sind gegen das Assad-Regime auf die Straße gegangen. Die aktuelle Situation verunsichert viele Kurden. Viele Minderheiten haben wirklich grausame Erfahrungen mit der Terrororganisation IS machen müssen. Deshalb haben sie verständlicherweise Angst vor der weiteren Entwicklung – und auch davor, dass die Türkei weiter in Syrien einmarschiert und sie vertrieben werden.
Kurden, Araber, Christen, Sunniten, Schiiten, Assyrer, Alawiten und viele andere sind Nachbarn, Verwandte und Freunde. Mein Traum ist es, dass auch die jüdischen Syrer, die im 20. Jahrhundert Syrien verlassen mussten, in ihre alte Heimat zurückkehren dürfen.
Wir lesen und sehen, dass die rechtsextreme israelische Regierung in weitere Gebiete Syriens einmarschiert und diese illegal besetzt. Das macht uns sehr traurig und wütend. Ein demokratischer Staat sollte aus syrischer Sicht die bereits illegal annektierten Golanhöhen an Syrien zurückgeben. Der gemeinsame Feind Assad ist endlich gestürzt. Die Weltgemeinschaft hat in den letzten Jahren in Syrien versagt, aber jetzt kann sie die Syrerinnen und Syrer beim Wiederaufbau unterstützen.
Meine Schwester lebt mit ihrer Familie im Osten Aleppos. Nach der Befreiung der Stadt sind sie zunächst in das Dorf meiner Großeltern geflohen, das auf dem Weg nach Rakka in der Wüste liegt. Sie hatten Angst, dass das Assad-Regime und Russland Aleppo wieder bombardieren würden. Tatsächlich wurde das Haus meines Cousins getroffen – ob von russischen oder syrischen Kampfflugzeugen, wissen wir nicht. Auch die Universität von Aleppo und das Universitätskrankenhaus, wo ich studiert und meine Praktika gemacht habe, wurden bombardiert.
Meine Eltern und ein Teil meiner Geschwister leben in der Türkei, in Zentralanatolien. Dort gab es vor einigen Monaten schwere Ausschreitungen gegen syrische Flüchtlinge. Deshalb habe ich vor kurzem ein Visum beantragt, damit sie zu mir nach Deutschland kommen können. Meine Geschwister und ich hatten Angst, dass sie nach Syrien abgeschoben werden. Jetzt wissen wir nicht, ob ihr Antrag aufgrund der politischen Entscheidung bearbeitet wird.
Die Debatte über Syrer in Deutschland ist beschämend und peinlich. Nur wenige Stunden nach dem Sturz des Assad-Regimes haben Politiker die Rückführung und Abschiebung der in Deutschland lebenden Syrer gefordert – aus meiner Sicht ist das reiner Wahlkampf und dient unserer deutschen Gesellschaft nicht. In vielen Kliniken gibt es ganze Stationen, die nur aus ausländischen Fachkräften bestehen, von den Ärzten bis zu den Reinigungskräften, und darunter sind viele Syrer. Die Mehrheit der in Deutschland lebenden Syrer bezeichnet sich selbst als Deutsche mit syrischen Wurzeln. Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich zwei Heimaten habe oder haben könnte.
Mit der Hilfe Deutschlands und der Beteiligung der in Deutschland lebenden Syrer könnten wir Syrien voranbringen. Ich selbst möchte am Wiederaufbau Syriens mitwirken. Deutschland kann Syrien beim Wiederaufbau, beim Aufbau eines Rechtsstaates und bei der Stärkung der Zivilgesellschaft begleiten. Die heutige Situation in Syrien ähnelt der Situation in Deutschland nach dem Ende der Naziherrschaft.
Mein Bruder ist Neurologe, Freunde von uns kommen aus allen medizinischen Fachrichtungen. Gemeinsam haben wir das Ziel, in Aleppo eine medizinische Einrichtung, ein Rehabilitationszentrum zu gründen – vor allem für Kinder und für Menschen, die Gliedmaßen verloren haben. Es gibt so viele Kriegsverletzte in Syrien. Sie brauchen dringend Prothesen und Therapien.
Faisal Hamdo, 35, ist Physiotherapeut in Hamburg und Autor des Buchs „Fern von Aleppo“ (2018) über seine Flucht aus Syrien und Ankunft in Deutschland.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau