Südkoreas Linke verliert erneut: Erfolgreiche Coronapolitik reicht nicht
In Südkoreas Städten und Provinzen siegen die Konservativen bei den Kommunalwahlen erdrutschartig. Die Wahlbeteiligung ist niedrig.
International ist Südkoreas Kommunalwahl vom Mittwoch wenig beachtet worden. Und doch hat sie Geschichte geschrieben: Mit Cha Hae-yeong hat erstmals eine offen queere Kandidatin einen Sitz im Bezirksrat gewonnen. Die 35-Jährige von der linksliberalen Partei Minjoo („Demokratische Partei“) setzte sich im Mapo-Bezirk in der Hauptstadt Seoul durch. Sie wolle dabei helfen, „die Diskriminierung und den Hass in der Gesellschaft zu verändern“, sagte sie.
Doch ihr politisches Lager, das mit Moon Jae-in noch bis vor kurzem den Präsidenten stellte, erlitt eine herbe Niederlage. Die Konservativen, die inzwischen Moons Nachfolger Yoon Suk Yeol stellen, gewannen in 12 der 17 großen Städte und Provinzen, darunter auch in Seoul und der Küstenstadt Busan. Bei der letzten Wahl hatte das linke Lager noch 14 dieser 17 Führungsposten geholt.
Präsident Yoon interpretierte die Wahl als demokratische Bestätigung seiner Politik. „Das dringlichste Anliegen ist die Wiederbelebung der Wirtschaft“, ließ er erklären.
In der Tat dominieren traditionell ökonomische Themen den politischen Diskurs. Südkorea, das epidemiologisch vorbildlich und wirtschaftlich solide durch die Pandemie kam, erlebt derzeit einen Post-Corona-Frühling: In Seouls traditionellem Jongro-Bezirk sind die Grill-Restaurants voller denn je und auch die Clubs im Ausgehviertel Itaewon sind wieder geöffnet.
Rückkehr zur Normalität
Der Alltag ist vollkommen wieder hergestellt, nur weiterhin getragene Masken erinnern an die Pandemie. Mehr noch: Es ist, als wollten junge Koreanerinnen und Koreaner die verlorene Zeit der letzten zwei Jahre nun mit voller Euphorie nachholen.
Dass das Land ohne Lockdown durch die Pandemie kam, ist eines der großen Verdienste von Ex-Präsident Moon. Doch scheint dies vergessen.
Insbesondere junge Männer wandten sich in Scharen dem konservativen Lager zu. Ihre Enttäuschung wurzelt vor allem in der gescheiterten Immobilienpolitik unter dem linken Ex-Präsidenten. Dieser wollte den aufgeheizten Markt mit Preisdeckeln und Reformen entschleunigen, doch erreichte er das Gegenteil.
Geringste Wahlbeteiligung seit über 20 Jahren
Miet- und Immobilienpreise schossen im Rekordtempo in die Höhe. In Seoul kann sich inzwischen niemand mit einem Angestelltenlohn allein und ohne reiche Eltern ein eigenes Apartment leisten.
Hinzu kamen mehrere Skandale innerhalb der Parteiführung, die von Korruption bis hin zu sexueller Belästigung reichen. Dabei wird der Minjoo-Partei besonders wenig verziehen, gab sie sich doch zuvor als besonders sauber und vorbildlich.
Wie nachhaltig der politische Umschwung nach rechts ist, wird sich noch zeigen. Bislang hält das progressive Lager immerhin noch eine Mehrheit in der Nationalversammlung.
Auch wenn zur Wahl traditionell ein Feiertag ausgerufen wurde, lag die Beteiligung jetzt nur bei 50,9 Prozent – der niedrigste seit über 20 Jahren.
Dennoch steht der lebhafte Zustand der südkoreanischen Demokratie außer Frage: Das Recht auf freie Wahlen, das sich die Südkoreaner vor 35 Jahren erkämpften, wird weiterhin von der Gesellschaft als hohes Gut zelebriert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen