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Stück „Die Brücke vom Goldenen Horn“Starkes Stakkato aus Angst und Hoffnung

Tanju Girişkens Inszenierung von Emine Sevgi Özdamars Roman am Theater Osnabrück erzählt vom Transit zwischen zwei Welten. Die Taktung ist hoch.

Rückt bedrückend nahe: Ein Feld gestaltloser Hüllen aus Kleidung Foto: Uwe Lewandowsky

Irgendwann, kurz vor dem Ende, krachen zwei Kampfstiefel aus dem Dunkel der Bühnendecke zu Boden. Es ist wie ein Peitschenschlag. Staub wolkt hoch, breitet sich um sie aus. Beklemmende Stille folgt, Regungslosigkeit. Das Licht ist kalt, hart, fahl.

Die Stiefel stehen für die türkische Militärjunta. Dass sie kurz darauf in ein Verlies versenkt werden, eine Metallplatte krachend über ihnen zufällt, ist ein starkes Zeichen gegen jeden Machtmissbrauch, jedes Repressaliensystem. Regisseur Tanju Girişken gelingt in dieser Symbolhandlung am Emma-Theater Osnabrück einer der eindrucksvollsten Momente seiner Inszenierung des so autobiografischen wie autofiktionalen Romans „Die Brücke vom Goldenen Horn“ von Emine Sevgi Özdamar.

Es geht um Deutschland und die Türkei, um Gegensätze und Gemeinsamkeiten zweier Welten, um Wandel und Beharren, um Identität und Transkulturalität, um Sprachlosig- und Sprachmächtigkeit, Gewalt und Aufbegehren, Freiheit und Diktatur. Um einen Brückenschlag, der nicht nur einem Meeresarm bei Istanbul gilt, nicht nur Orient und Okzident.

Girişken und Özdamar, im Alltag und in der Theaterarbeit beider Länder verwurzelt, erzählen die Geschichte eines Erwachsenwerdens, eines auch links-politischen Erwachens. Es ist eine Geschichte zwischen Bitterkeit und Zartheit, Ernst und Komödiantik, Tradition und Moderne, verzweiflungsvoller Düsternis und hoffnungsvoller Helle. Leere und Angst treten uns entgegen. Das Leben wechselt zwischen mehreren Heimaten, geografisch, sozial, weltanschaulich.

Es geht um Wandel und Beharren, um Identität und Transkulturalität, Freiheit und Diktatur

Die Mittel, mit denen Girişken diese Ich-Findung in Szene setzt, mit dem Subtext, dass aus Diversität Heilung und Kraft erwachsen, sind Augen öffnend: Dem realen Publikum sitzt ein imaginäres gegenüber, auf tribünen­haften Stuhlreihen, die von Zeit zu Zeit verstörend nahe rücken. Kleidung ist über die Lehnen gehängt, und die drei DarstellerInnen bedienen sich ihrer, um die Figurenfülle zu erweitern. Am Ende liegen so Dutzende von Menschen zu unseren Füßen, ein Feld der Toten, gestaltleerer Hüllen, und der Versuch, sie aus dem Staub zu heben, ist fast vergeblich. Stark ist das.

Die Handlung startet mit Özdamars Zeit als Fabrik-Gastarbeiterin in Deutschland, in den 1960ern, schildert anfängliche Nicht­zugehörigkeit und zunehmende Selbstbestimmung, Sozialismusnähe, Hinwendung zum Theater. Der Rückkehr in die Türkei, dem dortigen Kampf gegen den Folter-Faschismus, folgt eine Rückkehr von dieser Rückkehr. So unverkennbar das alles Züge von Özdamars Leben trägt, so konsequent zielt es auf Stilisierung und Abstraktion, auf Allgemein­gültigkeit.

Der Text, zuweilen bilingual, ist oft poetisch verdichtet, wirkt teils rhythmisiert, teils in kakophonischer Wirrnis gesprochen. Das verstärkt die symbolhafte Wirkung. Denn was hier verhandelt wird, ist überindi­viduell.

Der Abend beginnt mit einer Befragung des Publikums, das, beim Antworten gefilmt, zum Darsteller wird: Wer noch eine andere Sprache als Deutsch spreche? Wer gerade eine Sprache lerne? Die Fragen sind zahlreich, insistierend. Das Publikum antwortet offen, bereitwillig. Und als der Abend in eine zweite Befragungsrunde mündet, antwortet auch eine bislang verborgene, vierte Darstellerin, die später als Sängerin auf der Bühne steht. Auch das ein Brückenschlag.

Es geht um öde Wohnheime und entfremdende Arbeit zum Takt der Start- und Schlusssirene. Es geht um Einsamkeit, Träume, deutschen wie türkischen Staatsterror, die Bizarrerie des KünstlerInnenlebens. Es geht um den Zusammenbruch von Kli­schees, um sexuelle Experimente, um die rechtsextremen, nationalistischen Grauen Wölfe, um die westdeutsche 1968er-Bewegung.

Das Stück

„Die Brücke vom Goldenen Horn“, Emma-Theater Osnabrück, 24.9., 28. 9., 4.10., 7.10., 14.10.

Der Abend will viel. Und es gelingt ihm viel. Die Textvorlage ist mutig, die Regie griffig, die Darstellung feinnervig, das Bühnenbild sinnbildhaft. Aber die Taktung ist hoch. Viele Szenen sind sekundenkurz. Ein Stakkato, das Lua Mariell Barros Heckmanns, Sascha Maria Icks und William Hauf nur wenig Raum zu darstellerischer Entfaltung bietet.

Hinzu kommt, dass Girişken geschichtliche Kerndaten einflicht, auch als Textbotschaften, projiziert auf den Vorhang, der zuweilen das reale vom imaginären Publikum trennt, dazu Fotografien von Özdamar selbst. Gehaltvoller wird sein Stück durch diese Ebenenfülle nicht.

Aber das lässt sich verschmerzen. Das Theater Osnabrück, jüngst durch seine undurchsichtige Absage der Produktion „Ödipus Exzellenz“ im Verdacht zu großer Nähe zur örtlichen Katholischen Kirche geraten, gibt hier explizit linken Positionen Raum. Das macht Hoffnung.

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