Studie zur Übertragung des Coronavirus: Wie gefährlich sind die Enkel?
Kitas und Schulen haben wegen der Coronakrise geschlossen. Ob sich das Virus unter Kindern überhaupt ausbreitet, wollen Forscher herausfinden.
Diese Wissenslücke will die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg nun schließen. Sie hat eine Screening-Studie beauftragt, die zwei zentrale Fragen beantworten soll: Wie häufig sind Kinder unter zehn Jahren von Covid-19 betroffen? Und welche Rolle spielen sie bei der Verbreitung des Virus?
Dazu werden Mediziner der vier baden-württembergischen Unikliniken Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm in den nächsten zwei Wochen insgesamt 2.000 Eltern-Kind-Paare, 500 an jedem Standort, darauf untersuchen, ob sie aktuell infiziert sind oder die Krankheit unbemerkt durchgemacht haben. In einigen Wochen könnten erste Ergebnisse vorliegen. Das Land finanziert die 1,2 Millionen Euro teure Studie zu 100 Prozent, sagte die grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer der taz.
Bisher gibt es widersprüchliche Angaben zu der Frage, welche Rolle Kinder in der Coronapandemie spielen. Daten aus China hatten nahegelegt, dass jüngere Kinder aus dortigen Hochrisikogebieten zwar ähnlich häufig infiziert waren wie Erwachsene, aber weitaus seltener erkrankten. Das würde für die These sprechen, dass Kinder etwa für alte Menschen tatsächlich gefährlich sind: Kinder hätten sich angesteckt, merkten dies selbst aber gar nicht und gäben das Virus weiter.
„China ist nicht Deutschland, aber Island auch nicht“
Eine Studie aus Island kam andererseits zum Ergebnis, dass Kinder, die jünger als zehn Jahre alt sind, offenbar sehr viel seltener infiziert sind als Erwachsene. Würde das stimmen, dann ginge von Kindern weniger Gefahr aus: Wer sich selbst nicht ansteckt, kann das Virus auch nicht an andere weitergeben.
„China ist nicht Deutschland, aber Island eben auch nicht“, sagt der Leiter der neuen deutschen Studie, Georg Hoffmann, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Heidelberg. „Anderes Klima, Eisbären drumherum“, er lacht ins Telefon, „Sie sehen schon, wir müssen das selbst überprüfen.“
Seit vergangenem Mittwoch nimmt Hoffmann in Heidelberg bei Eltern und Kindern Abstriche aus dem Rachen, um festzustellen, ob sie akut infiziert sind. Seine Medizinerkollegen in Freiburg, Tübingen und Ulm haben damit am Montag begonnen. Außerdem untersuchen sie über Blutproben der Studienteilnehmer, ob die Personen die Infektion bereits durchgemacht und entsprechende Antikörper gebildet haben. Die Aussagekraft dieser Bluttests war zwar unlängst im Zusammenhang mit der Heinsberg-Studie der Uniklinik Bonn angezweifelt worden; in der aktuellen Studie werde aber „eine Kombination mehrerer Tests eingesetzt und die Ergebnisse dadurch validiert“, sagt der Leiter der Virologie am Uniklinikum Heidelberg, Hans-Georg Kräusslich.
„Innerhalb einer Familie ist die Ansteckungsgefahr aufgrund der räumlichen Nähe naturgemäß hoch“, erklärt Georg Hoffmann. Demnach wäre es logisch, dass entweder alle infiziert sind – oder zumindest ähnlich häufig. „Sollten wir aber feststellen, dass Eltern infiziert sind oder die Infektion durchgemacht haben, ihre Kinder aber zumeist nicht, dann könnten wir sagen: Kinder stecken sich offenbar viel seltener an.“ Zugleich wäre damit klar: Eine Gefahr stellen Kinder, anders als bislang angenommen, bei der Ausbreitung des Virus eher nicht dar.
Großer Andrang
Vor Probanden, sagt der Studienleiter, „können wir uns kaum retten“. Das Interesse der Familien, endlich zu wissen, welche Rolle, ihre Kinder bei der Übertragung spielen, sei immens. Rekrutiert wurden die Teilnehmer über Aufrufe in der lokalen Presse, im Rundfunk und über die Internetseiten der Universitätsklinika.
Dabei achten Hoffmann und sein Team streng darauf, dass pro Haushalt nur ein Elternteil und ein Kind unter zehn Jahren getestet werden. So können möglichst rasch möglichst viele voneinander unabhängige Haushalte untersucht werden. Weitere Teilnahmevoraussetzung ist, dass in dem Haushalt bislang keine Corona-Infektion bekannt gewesen ist.
Außerdem wollen die Forscher zwei Gruppen bilden, um sie anschließend miteinander zu vergleichen: Familien, die ihre Kinder seit den Kita- und Schulschließungen ausschließlich daheim betreut haben, und solche Familien, deren Kinder in der Notbetreuung waren und folglich mehr Kontakte auch zu fremden Kindern und Erwachsenen hatten.
Bis zum 7. Mai wollen die Wissenschaftler alle Proben genommen haben; anschließend erfolgen Auswertung und Publikation. „So eine fröhliche Stimmung habe ich selten erlebt“, erzählt der Arzt, „Blut abzunehmen, das tut ja auch weh. Hier aber sagen mir selbst kleinste Kinder: Aber vielleicht darf ich dann bald wieder in die Kita.“
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