Studie zu Klima-Labels auf Lebensmitteln: „Der Label-Dschungel muss entschlackt werden“
Klima-Labels auf Lebensmitteln sind oft Greenwashing. Eine Studie der Universität Göttingen empfiehlt eine Ampelkennzeichnung als beste Lösung.

Gut, „klimaneutral“ bedeutet nicht, dass bei der Herstellung des Lebensmittels keine Emissionen entstehen. Sie werden nur kompensiert, irgendwie, irgendwo. Nicht ideal, aber immerhin besser als nichts. Manchmal wird auch nicht kompensiert, trotz des Labels. Das ist dann Greenwashing.
Die Green Claims Directive der EU will das ändern. Unternehmen, die umweltbezogene Werbeaussagen machen, Green Claims, sollen diese fortan belegen müssen, für Transparenz sorgen. Eine Umfrage der EU-Kommission aus 2020 hatte ergeben, dass über 50 Prozent der geprüften Umweltangaben schwammig waren, fehlleitend. Für 40 Prozent der Behauptungen gab es keinerlei Beweise.
Die Studie „Greenwashing in food labelling: Consumer deception by claims of climate neutrality and the importance of an interpretative labelling approach“ der Georg-August-Universität Göttingen, Fakultät für Agrarwissenschaften, Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung (Dare), erklärt, wie ein CO2-Kompensations-Label sein muss, damit es wirkt. Ende 2023 eingereicht, ist sie Anfang 2025 in der Fachzeitschrift Food Quality and Preference erschienen.
Lebensmittel erscheinen klimafreundlicher, als sie sind
Wir lernen: Durch Kompensationslabels wie „klimaneutral“ erscheinen Lebensmittel klimafreundlicher, als sie sind. Das sei „misleading“, sagt die Studie in ihrem Fazit. „Besonders kritisch ist dieser Effekt bei Lebensmitteln mit hoher Klimawirkung wie beispielsweise Fleisch“, sagt Denise Dreist, Erstautorin der Studie. „Solche Labels fördern somit Greenwashing, erschweren die Markttransparenz.“ VerbraucherInnen bekämen so „keine Orientierung für eine nachhaltige Ernährung“.
Grundlage der Studie, in Auftrag gegeben von der Verbraucherzentrale Bundesverband, war eine Online-Befragung von über 2.100 VerbraucherInnen. Produkte waren auf ihren Klima-Impact zu bewerten, vom Erdbeerjoghurt bis zum veganen Burgerpattie, in sechs Varianten gezeigt, eine ohne Klima-Label, fünf mit – von einem erklärungslosen „klimaneutral“ über den tatsächlichen CO2-Fußabdruck bis zu einer Ampelkennzeichnung. Das Ampel-Label fuhr die besten Resultate ein.
Das Problem: Wenn „klimaneutral“ auf der Verpackung steht, wegen einer Kompensierung, kann das bewirken, dass Produkte, obwohl sie einen höheren Klima-Fußabdruck haben als andere, als klimafreundlicher bewertet werden, weil sie ein Positiv-Label besitzen. Die Ampel hingegen vergleicht, trennt Schädlicheres von Unschädlicherem, hilft somit, klimafreundlicher einzukaufen.
„Die Klimaproblematik ist zwar im derzeitigen politischen Diskurs nicht mehr so populär wie noch vor wenigen Jahren“, sagt Anke Zühlsdorf, Lehrbeauftragte für „Empirische Methoden: Marktforschung und Verbraucherverhalten“ und Leiterin der Studie. „Aber sie gehört natürlich noch immer zu den zentralen Zukunftsthemen.“
Einheitliche Labels nicht in Sicht
„Der Label-Dschungel muss entschlackt werden“, sagt Zühlsdorf. „Das ist ja alles sehr intransparent, da blickt kein Konsument mehr durch. Und Bürgerakzeptanz ist wichtig, Vertrauen, Glaubwürdigkeit.“ Das gehe nicht „ohne vernünftige Kontrollmechanismen, die dann auch durchgesetzt werden“.
Das Label allein sei allerdings kein Gamechanger: „Es muss einen sinnvollen Mix verschiedener Elemente geben, um größere Veränderungen zu erzielen.“ Das reiche von der Preisgestaltung bis zu Bildungsmaßnahmen, die „allerdings leider oft nicht die problematischen Zielgruppen erreichen“. Wichtig sei zudem, dass es keine produktbezogene Werbung mit Klimaneutralität mehr gebe. Das Ampel-Label könnte wie die Farb- und Buchstaben-Nährwertkennzeichnung Nutri-score aussehen. „Viele VerbraucherInnen könnten kaum sagen, welche Lebensmittel besonders klimaschädlich sind, welche klimafreundlicher“, so Zühlsdorf.
Ob und wann es ein einheitliches Label geben wird, ist offen. „Viele in der Politik werden aktiv“, sagt Zühlsdorf. „Und viele Unternehmen beschäftigen sich sehr ernsthaft mit diesem Thema. Aber es gibt eben auch viele, für die ist das nur ein Marketinginstrument. Und all jene, die sich wirklich bemühen, leiden drunter.“ Zühlsdorf plädiert für ein verpflichtendes Label: „Wenn eine Branche Wandel auf der Basis von Freiwilligkeit verspricht, ist das Ergebnis ja oft mager.“
Klar ist: Wir müssen klimabewusster werden, auch beim Essen. Über ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen haben ihre Ursache in unserer Ernährung.
Käme das Label, wären viele Details zu klären: Welche Produkte würde es erfassen? Wäre es staatlich oder nicht? Auf welcher Basis zöge es Vergleiche?
Viel zu tun also. Und was, wenn Zühlsdorf im Supermarkt einkaufen geht? Lässt sich ein wissenschaftlicher Blick ganz abstellen? „Nein“, sagt sie, „das geht nicht“, und lacht. „Ich ärgere mich immer, wenn mir was auffällt.“
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