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Studie zu Gewalt gegen PolizeiNicht witzig, Herr Seehofer

Die Forderung des Innenministers nach einer Studie über Gewalt gegen Polizisten ist mehr als ein schlechter Scherz. Es geht um ihre Unantastbarkeit.

Witz, komm raus: Horst Seehofer letzte Woche im Bundeskabinett Foto: Michael Kappeler/Reuters

Es gibt Witze, die schreiben sich von selbst. Die allerbesten davon können jederzeit aktualisiert abgerufen werden. Als Bundes­innenminister Horst Seehofer vor gerade einmal zwei Wochen der Idee einer Studie zu Racial Profiling eine Absage erteilte, weil diese Ermittlungstechnik ja verboten sei und es deshalb einer Untersuchung nicht bedürfe, war so ein Witz geboren.

Innerhalb kürzester Zeit war das Netz voll von Dingen, die nicht mehr untersucht oder ermittelt werden müssten, weil sie schließlich nicht erlaubt seien: Einbruch, Totschlag, Diebstahl – alles verboten. Man fragte sich, wozu es überhaupt noch eine Polizei brauche, untersuche die doch im Wesentlichen Dinge, die es gar nicht geben dürfe.

Horst Seehofer, dieser Mario Barth der deutschen Innenpolitik, lässt sich angesichts dieses Selbstläufers nicht lumpen und legt nun nach. Nach Zusammenstößen zwischen Jugendlichen und der Polizei in Frankfurt am Main am vergangenen Wochenende will der Minister eine Studie über Gewalt gegen die Polizei beauftragen. Seehofers Fans erkennen den klassischen Recall, wie die Technik der variierenden Wiederholung eines Gags in der Stand-up-Comedy genannt wird, und füllen die Timelines auf Twitter und Facebook zügig mit Kommentaren, wie: „gewalt gegen beamte ist doch verboten, wozu dann eine studie?“

Zunächst aber spricht natürlich gar nichts gegen eine entsprechende Erhebung. Solide Empirie ist zweifellos die Grundlage einer informierten Debatte. Dass verschiedene Polizeibehörden bereits entsprechende Daten sammeln und veröffentlichen, geschenkt. Eine ausführliche bundesweite Untersuchung könnte die Zahlen schließlich sammeln, eine einheitliche Erfassung fördern, ihre Entstehung, ihre interne und mediale Verwertung einer kritischen Betrachtung unterziehen.

Zerschlagene Scheiben in Stuttgart werden zum Untergang des Abendlandes stilisiert

Denn allein die Meldungen bei Einsätzen verletzter Uniformierter halten einer detaillierten Überprüfung selten stand. Ein genauerer Blick auf die Zahlen während des G20-Gipfels zum Beispiel ließ diese deutlich schrumpfen, um mehr als die Hälfte nämlich.

Populistische Abwehr jeglicher Kritik

Aber Seehofer geht es bei seinem Vorschlag gar nicht um Genauigkeit oder überhaupt um die Durchführung einer soliden Studie, sondern nur um den kurzfristigen Lacher, respektive den Propagandaerfolg. Schließlich stehen die Polizeibehörden spätesten seit dem Schub der Black-Lives-Matter-Bewegung auch in Deutschland unter ungewöhnlich kritischer Beobachtung.

Die abzuwehren haben sich weite Teile der politischen Klasse, allen voran der Innenminister, zur vordringlichen Aufgabe gemacht. Und so werden ein paar zerschlagene Scheiben in Stuttgart zum drohenden Untergang des Abendlandes stilisiert, um nicht über Polizeigewalt diskutieren zu müssen. Der Frankfurter Rabatz wird zur Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hochgejuxt, um über rassistische Ermittlungspraxis den Mantel des Schweigens zu legen. Eine satirische taz-Kolumne wird zur menschenverachtenden Gewaltfantasie umgedeutet, um jeden Gedanken über die Asymmetrie der Macht zwischen bewaffneten Uniformierten auf der einen, ihren Opfern und Kritiker*innen auf der anderen Seite als Angriff auf eine demokratische Gesellschaft denunzieren zu können.

Gewiss: Die besinnungslose Liebe zur Polizei ist immer gut für einen bitteren Scherz, wächst sich aber zur sehr ernsten Gefahr aus. Denn sie ist auch stillschweigende Kumpanei mit den rechtsextremen und tatsächlich demokratiegefährdenden Netzwerken in den Sicherheitsorganen. Deren Aufklärung obliegt bislang vornehmlich Journalist*innen. Wie auch die, wie wir ja nun wissen, verbotene Praxis des Racial Profiling, nur wegen der geduldigen Selbstorganisation rassifizierter Betroffener und der medialen Berichterstattung darüber überhaupt ans Licht der Öffentlichkeit kommt.

Hier: Studie ja. Dort: Studie nein – die Begründungen sind gleichgültig, da austauschbar. Seehofer geht es letztlich nicht darum, gesellschaftlichen Problemen und ihren Ursachen auf die Spur zu kommen, sondern nur darum, die Unantastbarkeit der Institution Polizei und die von ihr geschützte Ordnung zu verteidigen. „Warum denn untersuchen, es ist doch verboten …“ Der Witz funk­tioniert, weil er wahr ist. Glücklich, wer noch befreit darüber lachen kann.

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11 Kommentare

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  • Studie zu Racial Profiling: ja bitte! Ich frage mich allerdings, wie so eine Studie bzw deren Ergebnisse hinterher von allen anerkannt werden kann. Wie unabhängig werden die Forscher wirklich sein und wie umfänglich wird ihr Zugang zu Daten sein, die u.a. von der Polizei selbst erhoben werden? Es besteht bei jeder Studie die Gefahr, dass sie belegt, was der Auftraggeber gerne hören will. Und dann ist sie nichts wert.

    Wer wird also offiziell der Auftraggeber sein? Der Bund? Eine RRG Landesregierung? Mehrere Landesregierungen von verschiedener politischer Einfärbung? Eine NGO? Hoffentlich nicht die Polizei selbst!

    • @Winnetaz:

      Ich teile Ihre Bedenken ausdrücklich. Das beginnt schon bei der Definition.



      wie machte doch jüngst Boris Pistorius deutlich:



      „Wenn Sie in einem bestimmten Gebiet immer mit einer gleichen ethnischen Gruppe zu tun haben, die dort dealt, dann kann es sinnvoll sein, Zugehörige zu dieser Gruppe und vermutlich Zugehörige häufiger zu kontrollieren als beliebige Passanten. Das ist kein Racial Profiling“, sagte Pistorius.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    leise rieselt der kalk.



    steinzeitmenschen sind noch immer an der macht. sie denken und agieren wie gehabt, sie können nicht anders.



    schade für uns nachwuchs.



    studien zur klärung systemimmanenter gewalt sind zuerst einmal prinzipiell immer eine gute idee.



    dabei jedoch die vertreter des staatlichen gewaltmonopols nur in ihrer potentiellen opferrolle zu betrachten ist schon sehr steinzeitmäßig und unreflektiert. international betrachtet schwächeln die staatsgewalten auch in demokratien ohne faschismusvergangenheit.



    also lieber: augen auf und durch!

  • "Hier: Studie ja. Dort: Studie nein – die Begründungen sind gleichgültig, da austauschbar."



    Kommt mir irgendwie bekannt vor.

  • Im Vergleich zum Berichtsjahr 2011 hat sich die Anzahl der Gewalttaten gegen Polizisten um 26,1 % auf 38.635 Fälle erhöht, die Anzahl der als Opfer betroffenen Polizisten stieg um 47, 6 % auf 80.084 Fälle ( www.bka.de/SharedD...eslagebild2019.pdf , S.52)

    Eine Studie zu Gewalt gegen Polizisten ist also begründet und kein "schlechter Scherz".



    Sie ist genauso notwendig wie Studien zum Racial Profiling.



    Das eine gegen das andere auszuspielen ist dumm.

  • Knapp 50.000 Bundespolizisten mit Seehofer als Schirmherr stehen etwa 300.000 Landespolizisten gegenüber.

    Warum also initiieren die Bundesländer die die Hoheit über die Länderpolizei haben, keine Studie über Racial Profiling und rechtsextreme Netze in der Polizei?

    Warum machen es auch gerade RRG regierte Bundesländer nicht oder gar Bundesländer, in denen die Linkspartei gar MPs stellt?



    Und warum fordert die linke Öffentlichkeit nicht in den Ländern Studien ein?



    Das könnte von heute auf morgen beschlossen werden.

    Man gewinnt den Eindruck, dass das Thema Polizei parteiübergreifend zu einer lächerlichen parteipolitischen Diskussion verkommen ist.



    Niemand will initiativ werden und gerade Parteien, die Untersuchungen fordern, spielen faul und unterstützt von einem ebenso einseitig einfordernden Publikum den Ankläger und kommen selber nicht in die Pötte.

  • "Seehofer geht es letztlich nicht darum, gesellschaftlichen Problemen und ihren Ursachen auf die Spur zu kommen, sondern nur darum, die Unantastbarkeit der Institution Polizei und die von ihr geschützte Ordnung zu verteidigen."

    Nein, Sehofer geht es um Wählerstimmen. Wenn er einer Studie über racial profiling zustimmt, kann er sich ausrechnen wen alle Polizisten und deren Angehörigen wählen werden, und CDUCSU, SPD, Grüne FDP oder Linke werden es nicht sein. Er würde Grüne und Linke und dem verbliebenen SPD Wähler gefallen, aber die wählen seine Partei eh nicht. So macht er ein paar Sprüche, bringt Grüne und LInke gegen sich auf und hofft dass er nicht allzuviele Wähler verliert.

  • A Hund is a scho!

  • Ich stimme dem Grundtenor des Artikels in weiten Teilen zu.



    Nämlich darin, dass es gut wäre auch bei der Polizei eine transparente und statistisch lückenlose, wie auch nachvollziehbare Statistik in alle Richtungen zu erheben.



    Diese dann zu untersuchen wäre dann der erste Schritt zu umfassenden Studien in verschiedene Richtungen.



    Leider schafft es der Autor hier nicht dies rein sachlich zu begründen, sondern muss im Vor-vorletzten Absatz sehr polemisch der Politik (hier die Innenminister) auf eine Art und Weise angreifen und ihnen Dinge unterstellen, die zwar möglich sind, aber eben nur einer persönlichen Meinung entsprechen...

    [Die Moderation: Kommentar gekürzt, bitte bleiben Sie beim Thema.]

    Was durch diesen Absatz allerdings einhergeht, ist, dass der gesamte restliche Inhalt des Textes dadurch so in den Hintergrund gerät, dass dessen "Wahrheit" verloren geht.

    Schade!

    • @Schusters Bernd :

      Ich verstehe schon was sie meinen und dieser Artikel bringt die ganze Debatte wenig nach vorne. Aber begründet sich eine Studie zu Fehlverhalten, insbesondere Racial Profiling nicht eigentlich von selbst?



      Diskriminierung durch BPoC in Deutschland ist viel diskutiertes Thema, das dementsprechend brauchen wir eine Studie auf deren Grundlage diese Diskussion rational geführt werden kann.

      • @Melvin Thomas:

        Da bin ich ganz bei Ihnen...



        wie geschrieben stehe ich für eine Studie... Aber gern auch in alle Richtungen, eine Untersuchung der Polizeiarbeit, gern in alle Richtungen!!