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Struktureller Rassismus bei der PolizeiWessen Freund und Helfer?

Unter „Defund the Police“ fordert die Black-Lives-Matter-Bewegung die Streichung von Polizeigeldern. Ein Blick in die Geschichte gibt ihnen Recht.

Berliner Polizist gibt einem Touristen eine Auskunft (Aufnahme um 1930) Foto: A. & E. Frankl/Ullstein Bild

Unter dem Eindruck der jüngsten massiven Proteste nach dem Tod George Floyds hat eine große Mehrheit des Stadtrats von Minneapolis erklärt, das dortige Police Department abschaffen und alternative Methoden des community policing erproben zu wollen. In Los Angeles wird eine geplante Erhöhung des Polizeibudgets um 150 Millionen Dollar nicht nur ausgesetzt, der Haushaltposten wird sogar um etwa dieselbe Summe gekürzt.

Auch in anderen Städten nutzen antirassistische und bürgerrechtliche Initiativen die Chance, ihre politischen Forderungen nach einer Polizeireform unter dem Slogan „Defund the Police“ hörbar zu machen. Nicht einmal die Parteiprominenz der Demokraten kann sich gänzlich vor der Bewegung wegducken, auch wenn man sich, wie Präsidentschaftskandidat Biden, von der angesichts der unhaltbaren Zustände mit ihrem hohen Blutzoll doch recht höflichen „Defund“-Forderung distanziert.

In Deutschland hat die Kritik an der Polizei als Institution derzeit nicht dieselbe Wucht. Jedoch ist bei Kundgebungen in den vergangenen Tagen deutlich geworden, dass es auch hier ein wachsendes Bewusstsein für rassistische Diskriminierung durch die Polizei gibt. Die ganz allgemein kritische Bewertung der Ordnungsmacht ist dabei nicht völlig neu und hat im Laufe der Zeit einige überraschende Wendungen genommen.

Nicht erst seit am 1. Mai 1987 der Bolle-Supermarkt am Görlitzer Bahnhof in Flammen aufging und die Polizei daraufhin alljährlich darum kämpfen musste, am Maifeiertag die Kontrolle über den Stadtbezirk zu erringen, ist Berlin-Kreuzberg ein polizeigeschichtlich interessanter Ort. Bereits gut hundert Jahre zuvor erging hier ein Gerichtsurteil, das gelegentlich als Geburtsstunde der modernen Polizei in Preußen und Deutschland angesehen wird. Das sogenannte Kreuzbergerkenntnis vom Juni 1882 nämlich schränkte die bis dato allmächtig agierende Truppe in ihren Befugnissen erheblich ein und ebnete einer in ihren Verantwortlichkeiten stark ausdifferenzierten Verwaltung den Weg.

Der Blick auf das zur Erinnerung an die gegen Napoleon geführten Befreiungskriege auf dem Kreuzberg errichtete Siegesdenkmal sollte laut einer ­polizeilichen Verordnung nicht verbaut werden dürfen, wogegen ein Grundstückseigentümer klagte. Der Mann bekam recht, und zwar unter anderem mit der Begründung, dass es auf der Hand liege, dass es der Polizei nicht zustehe, stadtplanerische Regeln zu erlassen. Das war neuartig, weil diese ­Beschränkung mit der absolutistischen Tradition willkürlich und selbstherrlich agierender Polizeibehörden brach.

Schützen und dienen

Im wachsenden modernen Staat waren die Aufgaben der Verwaltungen bereits so weit aufgeschlüsselt, dass es des Vogts als lokaler Verkörperung der absoluten Macht des Monarchen nicht mehr bedurfte. Verschiedene Probleme wurden von verschiedenen Ämtern bearbeitet – so ist es im Wesentlichen bis heute geblieben.

Aufgabe der Polizei in diesem Mosaik staatlicher Zuständigkeiten ist es, Rechtsbrüche zu verfolgen und allgemein für Sicherheit zu sorgen. So entwickelte sich bis in die 1920er Jahre das Idealbild des Polizisten als „dein Freund und Helfer“. In den USA dauerte es bis in die 1960er Jahre, bis mit dem legendären Wahlspruch der Polizei von Los Angeles, „To protect and to serve“ („zu schützen und zu dienen“), ein ähnlich griffiges Motto gefunden war.

Während in Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts angeregt über die Kompetenzen der Polizei gestritten wurde, sah die Situation in den USA ganz anders aus. Bis dahin gab es in den meisten Landesteilen praktisch keine vergleichbare zivile Exekutivbehörde. Ein aus dem Pioniergeist und der unkontrollierten Expansion des Landes gewachsenes ultraliberales Staatsverständnis übersetzte sich in der Realität oft genug in ein Gesetz des Stärkeren.

Zur selben Zeit, als Bismarck angesichts politischer und sozialer Konflikte und der aufbegehrenden Sozialdemokratie Wohlfahrts- und Polizeistaat synchronisierte, also die Politik von Zuckerbrot und Peitsche betrieb, setzte sich auf der anderen Seite des Atlantiks das Verlangen nach einer Ordnungsmacht durch – einer Peitsche, aber ohne Zuckerbrot.

Ohne staatliche Wohlfahrt dienten die von Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts gegründeten Police Departments von Anfang an der Aufstandsbekämpfung und waren klar gegen sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen gerichtet. Das statistisch deutlich höhere Armutsrisiko nichtweißer US-Bür­ge­r*in­nen machte sie automatisch zum Hauptfeind der Ordnungsmacht, die qua Auftrag seitdem kaum anders kann, als strukturell rassistisch zu agieren, wie divers auch immer ihr Personal inzwischen zusammengesetzt sein mag.

Der vor allem in antirassistischen Kontexten wie der Black-Lives-Matter-Bewegung nun immer lauter werdende Ruf „Defund the Police“, also danach, den Polizeibehörden die finanziellen Mittel zu streichen, ist einerseits ein historisch begründeter Akt der Selbstverteidigung. Da es den Aktivist*innen jedoch nicht einfach um die Einsparung der Mittel, sondern deren Umwidmung für karitative Projekte, community building, sozialen Stadtumbau und dergleichen geht, kann der Slogan andererseits als politisches Programm zur nachholenden Sozialdemokratisierung des US-amerikanischen Staatswesens gelesen werden. Ein um bald 150 Jahre verspätetes Zuckerbrot.

Im direkten Vergleich wird die historisch gewachsene sehr unter­schiedliche Situation mehr als deutlich. Die Stadt Los Angeles zum Beispiel hat mit rund 4 Millionen Einwohner*innen nur wenig mehr als Berlin und gibt sogar ähnlich viel Geld für ihre Polizei aus (umgerechnet etwa 1,55 Milliarden Euro gegenüber 1,6 Milliarden in ­Berlin). ­Gemessen am Gesamthaushalt der Stadt, ist das jedoch mit mehr als 16 Prozent der größte Haushaltsposten. Die deutsche Hauptstadt gibt gerade mal gut 5 Prozent ihres Haushalts für die Polizei aus, allein der Etat der Jugend­ämter ist mehr als doppelt so groß.

Ist damit alles gut? Antifa-Aktivis­t*in­nen in Deutschland würden zu Recht aufs Heftigste widersprechen, sind rassistisch motivierte Übergriffe durch die Polizei doch auch hier Legion. Racial Profiling, ungeklärte Todesfälle in Haft und enge Verbindungen von Beamten zu rechtsextremen Strukturen machen immer wieder Schlagzeilen. Die Diskussion nach der Vorstellung eines Antidiskriminierungsgesetzes in Berlin illustriert den offensichtlichen Reformbedarf nachhaltig.

Der alte Vogt als Verkörperung der absoluten Macht steckt noch unter den Uniformmützen

Nicht nur rechts außen zu verortende Beamte wie der frühere Abgeordnetenhauskandidat der Republikaner und heutige Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Bodo Pfalzgraf, beklagen einen „Generalverdacht“ gegen die Polizei. Wie auch in den Vereinigten Staaten nach den wiederholt dokumentierten schweren rassistischen Ausfällen fällt es den Verteidiger*innen der Polizei außerordentlich schwer, eine Systematik der auftretenden Probleme anzuerkennen.

Der ungebrochene Korpsgeist und die affektive Abwehr jeglicher Kritik und Kontrolle scheinen der Polizei in Deutschland wie in den USA bei allen Unterschieden gemein zu sein. Der alte Vogt als unantastbare Verkörperung der absoluten Macht steckt noch unter den Uniformmützen.

Systematisch diskriminierende Gesellschaft

Das ständig reproduzierte Selbstbild der Polizei als generell sakrosankte, unparteiische und über dem gewöhnlichen Einerlei stehende und vor allem unpolitische Ordnungsinstanz hält sich überall hartnäckig. Deshalb stoßen schon Rufe nach nur kleineren Reformen auch auf so heftigen Widerstand.

Darüber zu diskutieren, wie eine Organisation reformierbar ist, die von Anfang an der sozialen Kontrolle und der Aufrechterhaltung des Status quo dient, geht aber nicht nur in den USA am Kern des Problems vorbei. Zumindest solange dieser Zustand systematisch und strukturell Menschen sozial und rassistisch diskriminiert.

So wird es immer wieder unter kaum vorhersehbaren konkreten Umständen passieren, dass sich Unzufriedenheit und Wut Bahn brechen, ob auf den Straßen von Los Angeles, von Minneapolis oder vor einem Kreuzberger Supermarkt. Die politisch zu beantwortende Kernfrage bleibt deshalb: Wem zu dienen, was zu schützen, wessen Freund und Helfer?

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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Irgendwie ist mir diese Interpretation zu akademisch. Das Problem ist doch eher was die Leute, die Polizisten werden sonst für einen Job machen könnten. Am neuen Wasserstoffprogramm mitarbeiten oder in der Virenforschung eher nicht.



    Also ed ergo: Fit machen für diesen Job und Gelder nicht streichen, sondern aufstocken. Referenten um fit zu werden z.B. unter den TAZ Kommunarden mal Anwerbeprogramm starten.

  • Wo begründet der Artikel denn nun, dass die Streichung von Polizeigeldern zu einer qualitativ besseren Polizei führt, wie es die Überschrift verspricht?

  • Alls ein MISSVERSTÄNDNIS!!!



    *weintvorlachen*



    Nach Tod von George Floyd:



    Beteiligter Polizist auf Kaution frei!!!



    Er hat mal eben 750.000 $ auf den Tisch gelegt…



    WEIL: er wollte Floyd HELFEN!!!

    …in den Himmel zu kommen, deshalb haben wahrscheinlich Kapuzenmänner Kapuzenmänner für ihn gesammelt

  • Den Reichen wird es egal ein, ob es nun Polizei gibt oder nicht. Sie leben ja schon segregiert und haben ihren eigenen Wachschutz.



    Für Ärmere, also auch für viele Schwarze, wird es dann schon komplizierter. Es wird ja so getan, als ob sämtliche Schwarzen die Polizei ausschließlich für eine Bedrohung halten. Aber wer soll sie zukünftig schützen? Sozialarbeiterinnen und BLM-Aktivisten? Ein progressives Experiment, natürlich wieder auf dem Rücken der Schwächsten.



    Alternative wäre gewesen, die Polizei besser auszubilden. Stattdessen nimmt man ihr jede Möglichkeit, sich zu reformieren.

  • Korrekt.

    Melodei: “ Wer wird uns die Straßen einst kehr'n? 2x



    Die Bullen, die Herrn mit'm Wichstock und Stern,



    die werd'n uns die Straßen einst kehrn.



    ... jaa, jaa ...



    Die Bullen, die Herrn mit'm Wichstopp und Stern,



    die werd'n uns die Straßen einst kehrn.…“ - 👹 -

    unterm——



    geschichte-in-lied...-de-Krone-jeklaut/



    &



    www.youtube.com/watch?v=CIdu9L0shQ0 - 😱 -



    &



    genius.com/Liederj...one-jeklaut-lyrics

    • @Lowandorder:

      & weils immer gern durcheinander geht

      “ Den Leitspruch „Die Polizei – Dein Freund und Helfer“ etablierte spätestens 1926 der preußische Innenminister Albert Grzesinski, der im Vorwort eines Buches zur Berliner Polizeiausstellung 1926 die Devise für die Polizei verbreitete, „ein Freund, Helfer und Kamerad der Bevölkerung zu sein.“ Innenminister Carl Severing (zurückgetreten am 6. Oktober 1926) hatte seinerzeit auf ein republikanisches Polizeiethos hingearbeitet, wie es heute zum Selbstverständnis der deutschen Polizeien gehört. Der Ausdruck „Freund und Helfer“ wird oft mit Heinrich Himmler in Verbindung gebracht, der ab 1936 Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei war. Er gilt vielerorts daher mehr oder minder unverdient als diskreditiert. Himmler hatte in dem Buch Die Polizei – einmal anders (1937) von Helmuth Koschorke im Geleitwort geschrieben: „Unser größtes Ziel ist es, vom Verbrecher ebenso sehr gescheut wie vom deutschen Volksgenossen als vertrauensvoller Freund und Helfer angesehen zu werden!“ Die Maxime konnte sich jedoch nicht halten, da die Realität sich anders darstellte. Er dient heute nicht mehr als Slogan der Polizei.“



      de.wikipedia.org/w...izei_(Deutschland)

      & “FÜRSTENFELDBRUCK



      Die Legende vom Freund und Helfer“



      www.juedische-allg...freund-und-helfer/

      …servíce