Streitgespräch über LNG-Terminals: Muss das sein?

Am Flüssiggas scheiden sich die Geister: ein Streitgespräch zwischen Antje von Broock vom BUND und Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD).

Blick auf das Meer und das Terminal, Kräne sind zu sehen, noch ist es eine Baustelle

Das LNG-Terminal bei Wilhelmshaven ist im Bau, schon im Winter soll hier Gas angeliefert werden Foto: Sina Schuldt/dpa

taz am wochenende: Um die Energieversorgung sicherzustellen, setzt die Ampelkoalition auf Flüssiggas (LNG). In Wilhelmshaven haben die Bauarbeiten für ein LNG-Terminal begonnen. Frau von Broock, was stört Sie daran?

Antje von Broock: Das Ziel, unabhängig von russischen Gasimporten zu werden, kann ich nur unterstützen. Wir laufen allerdings Gefahr, uns auf eine Infrastruktur festzulegen, die im Widerspruch zu unseren Klimazielen steht. Die LNG-Terminals sollen bis 2043 laufen, aber eigentlich müssten wir schon 2035 zu 100 Prozent erneuerbare Energien nutzen. Nur so können wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen, zu dem sich die Bundesregierung verpflichtet hat.

Herr Lies, Sie sind Umweltminister, setzen sich aber trotzdem für Flüssiggas ein, also für einen fossilen Energieträger. Kommen Ihnen da manchmal Zweifel?

Olaf Lies: Ich bin auch Energieminister und damit für die Energieversorgung in Niedersachsen zuständig. Die Frage, über die wir streiten, ist doch: Brauchen wir eine Infrastruktur, die 20 Jahre lang fossiles Gas importiert? Da würde ich sagen: auf gar keinen Fall. Wir brauchen eine Infrastruktur, die so schnell wie möglich grünen Wasserstoff nutzen kann. Wir wollen schneller klimaneutral werden, nicht später.

Die Deutsche Umwelthilfe klagt, dass das Terminal in Wilhelmshaven ohne formale Baugenehmigung gebaut wird, ähnlich wie beim E-Autobauer Tesla in Brandenburg.

Lies: Wir haben sehr sauber geprüft. Die Voraussetzungen sind alle erfüllt, aber die eigentliche Baugenehmigung kann erst nach der Öffentlichkeitsbeteiligung erteilt werden. Die russische Regierung spielt mit unserer Energieversorgung, weshalb wir schneller werden müssen. Einen anderen Weg gibt es in dieser Zeit leider nicht.

Sehen Sie das auch so, Frau von Broock?

Von Broock: Was die Versorgung angeht, sind wir uns grundsätzlich einig: Für ein zu 100 Prozent erneuerbares Energiesystem ist grüner Wasserstoff nötig. Aber die Terminals, die gerade gebaut werden, sind eben nicht einfach so wasserstoffkompatibel. Sie müssten kostenintensiv nachgerüstet werden. Wenn es so weit ist, werden sich die Betreiber natürlich fragen, ob sie diese Investition tätigen oder einfach bei dem bleiben, was sie schon gebaut haben. Es gibt sogar Anbieter, die am gleichen Standort ein Wasserstoffterminal bauen wollten. Nun kommt dort LNG hin. Es besteht also sogar eine direkte Konkurrenz. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht bloß die eine Importabhängigkeit durch die andere ersetzen.

Was heißt das?

Von Broock: Wir sollten selbst mehr grünen Wasserstoff erzeugen – insbesondere dann, wenn wir eine Überproduktion an erneuerbaren Energien haben. Und so schnell, wie die LNG-Infrastruktur nun ausgebaut wird, so schnell sollten wir auch Signale zum Energiesparen setzen.

Lies: Ja, genau, das ist ein ganz entscheidendes Signal – dass wir so wenig Energie wie möglich verbrauchen sollten. Wir bauen auch die Erneuerbaren sehr stark aus, in der Nordsee werden wir 70 Gigawatt Offshore-Windenergie bis 2040 haben. Und trotzdem schaffen wir es nicht, uns gänzlich selbst mit Energie zu versorgen. Beim Flüssiggas bauen wir eins zu eins eine Infrastruktur, die in der Lage ist, grünen Wasserstoff zu importieren. Da müssen wir später keine Anleger, keine Leitungen und keine Terminals ändern.

46, ist Geschäfts­führerin des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Sie hat Politik- und Kommunika­tionswissenschaft sowie Linguistik studiert.

Frau von Broock, der Minister hat Offshore-Windparks angesprochen. Viele Umweltverbände sehen das kritisch, auch der BUND. Aber woher soll die Energie sonst kommen?

Von Broock: Die Natur steht sowieso schon vielfältig unter Druck. Schon heute finden wegen der Monokulturen manche Vogelarten mehr Nahrung in Städten als auf dem Land. Jetzt kommen noch 70 Gigawatt Windkraft in der Nordsee dazu, die ja ohnehin schon belastet ist durch die Containerschifffahrt und die Fischerei. Wir haben gleich mehrere Krisen: den Klimawandel, den Artenverlust, die Coronapandemie und den Krieg. In dieser Situation sollten wir nicht die eine Krise über die andere stellen. Da muss man an anderer Stelle Entlastung schaffen.

55, ist seit 2017 Umweltminister in Niedersachsen. Zuvor war der SPD-Politiker fünf Jahre lang Wirtschafts­minister. Studiert hat er Elektrotechnik in Wilhelms­haven.

Die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer hätte da einige Ideen: Tempolimit, Inlandsflugverbot, autofreie Innenstädte. Wäre das nicht besser als Flüssiggas, Herr Lies?

Lies: Die autofreie Innenstadt mag inhaltlich eine gute Idee sein. Sie wird aber nicht dazu beitragen, dass wir auf die Gasmengen verzichten können, die wir brauchen. Als Erstes brauchen wir eine Versorgungssicherheit, damit wir in der Lage sind, uns geopolitisch unabhängig zu machen. Aber wir müssen darauf achten, dass wir so kurz wie möglich auf fossiles Gas zurückgreifen und so schnell wie möglich auf Sonne und Wind umsteigen. Natürlich sind 70 Gigawatt Offshore-Windkraft eine Herausforderung, aber wir werden das im Einklang mit Umwelt und Natur schaffen. Auch ich will unser Wattenmeer schützen und erhalten.

Von Broock: Ein wichtiges Stichwort, das Sie da ansprechen. Weltnaturerbe Wattenmeer – ein einzigartiger Lebensraum! Dort haben wir eine ganz besondere Verantwortung. Im Moment wäre der Ausbau von Windenergie auf hoher See um 15 Gigawatt mit den bestehenden Leitungen darstellbar. Je mehr wir ausbauen, desto mehr Leitungen brauchen wir – für die wir das Wattenmeer umpflügen müssten.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Von Broock: Dezentrale Energieerzeugung. Dass die Bundesländer 2 Prozent ihrer Fläche für Windvorranggebiete ausweisen sollen, ist schon mal ein guter Schritt. Da müssen natürlich alle Länder mitmachen, auch Bayern mit seinen absurden Abstandsregeln. Auf diese Weise wird die Überbelastung einzelner Lebensräume verhindert.

Lassen Sie uns noch einmal über LNG-Terminals sprechen. In Wilhelmshaven sollen für den Anleger 150 Stahlpfähle versenkt werden. Welche Umweltprobleme sehen Sie da?

Von Broock: Vor allem die Lärmbelästigung. Ich selbst bin auf Wangerooge groß geworden und habe dort meine ersten Schweinswale gesehen, die haben dort ihr Habitat. Bei den Bauarbeiten müssten also zumindest die Jahreszeiten berücksichtigt werden.

Lies: Ich bin gebürtiger Wilhelmshavener, ich kenne natürlich auch die Region. Dass wir eine so große Zahl an Schweinswalen haben, zeigt doch, dass unser Naturraum funktioniert. Und wir müssen ihn auch weiterhin schützen. Deshalb sind in den Bauauflagen natürlich Vergrämungsmaßnahmen enthalten (Schallsignale, die die Wale für die Dauer der Bauarbeiten vertreiben und so aus der Gefahrenzone halten, Anm. d. Red.). Verschieben können wir das Ganze leider nicht, weil man im Dezember und Januar in der Nordsee nicht bauen kann. Und wir sind schon jetzt kaum in der Lage, die Gasversorgung sicherzustellen.

Von Broock: Ich stimme Ihnen absolut zu, dass wir unabhängig von Russland werden sollen. Würden Sie mir denn zustimmen, dass der Ruf nach Energieeffizienz viel zu spät gekommen ist?

Lies: Das stimmt vollkommen. Wir haben wirklich viel zu sehr übers Energiesparen bloß geredet und viel zu wenig Erfolge erzielt. Jede Kilowattstunde Strom, die wir nicht brauchen, würde uns das Leben erleichtern.

Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen hat an die Umweltverbände appelliert, nicht gegen die LNG-Terminals zu klagen. Werden Sie ihm den Wunsch erfüllen, Frau von Broock?

Von Broock: Wir behalten uns alle rechtlichen Schritte vor. Einerseits fragen wir uns, ob die Natur wirklich so gering wie möglich belastet wird. Andererseits werden durch das LNG-Beschleunigungsgesetz die Beteiligungsrechte der Umweltverbände beschnitten. Das ist kein Kinderkram. Um diese Rechte zu beschneiden, müssten schon gute Gründe vorliegen – und die sehe ich nicht im Fall einer über­dimensionierten, langfristigen Gasversorgung, die den Klimazielen entgegensteht.

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