Streit unter den Wirtschaftsweisen: Vorwürfe wegen Wasserstoff-Plädoyer
Wirtschaftsweise Veronika Grimm spricht sich für Wasserstoff im Güterverkehr aus. Das ist brisant, weil sie bei Siemens Energy im Aufsichtsrat sitzt.
Diese Positionierung ist vor allem pikant, weil Grimm im Februar in den Aufsichtsrat von Siemens Energy gewählt wurde – ein Unternehmen, das in Berlin zusammen mit Air Liquide, einem der führenden Unternehmen für technische Gase, eine Produktionsanlage für Elektrolyseure aufgebaut hat. Somit profitiert Siemens Energy, eine Abspaltung vom Siemens-Konzern, vom Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft, auch wenn das Unternehmen nach eigenem Bekunden nicht in den Handel mit Wasserstoff einsteigen will, sondern bei seiner Rolle als Anlagenbauer bleibt.
Bereits während Grimms Nominierungsverfahren für den Aufsichtsratsposten hatten die anderen vier Mitglieder des Gremiums Befürchtungen geäußert, dass es bei einer solchen Konstellation zu Interessenkonflikten kommen könnte. Schließlich hat die Energiepolitik eine große wirtschaftspolitische Bedeutung und spielt damit auch eine große Rolle in den Stellungnahmen der Wirtschaftsweisen. Die anderen Mitglieder des Gremiums forderten Grimm deswegen damals auf, sich für eines der beiden Mandate zu entscheiden. Konflikte drohen vielfach: Siemens Energy ist an vielen Stellen der Energiewirtschaft – von der Kraftwerkstechnik bis zur Übertragungstechnik – ein führender Akteur.
Gleichwohl war aber formal gegen die Annahme des Aufsichtsratspostens durch die Ökonomin nichts einzuwenden. Es habe auch schon früher Sachverständige gegeben, die Aufsichtsratsposten innehatten, sagte Grimm, als die Nominierung erfolgte. „Compliancemäßig“ sei das abgeklärt, ließ sie verlauten.
Neue Compliance-Regeln gefordert
Die anderen Mitglieder wandten damals ein, dass das Sachverständigenratsgesetz von 1963 vor allem darauf angelegt sei, die Unabhängigkeit des Gremiums von der Politik und von Wirtschaftsverbänden zu gewährleisten. Sie sprachen sich deswegen für neue Transparenz- und Compliance-Standards aus, um möglichen Interessenkonflikten entgegenzuwirken.
Seit 2020 ist Grimm Mitglied des Sachverständigenrats. Sie ist Professorin an der Technischen Universität Nürnberg und beschäftigt sich dort mit Energiesystemen und dem Marktdesign der Energiewirtschaft. Das Wirtschaftsmagazin Capital bezeichnete sie als „eine der renommiertesten Ökonominnen des Landes“, die aber auch „mitunter als kompliziert in der Zusammenarbeit“ gelte. Das dürfte auch ihrer Diskursfreudigkeit geschuldet sein.
Mit dem Frühjahrsgutachten mündet nun also die Debatte, die schon während der Nominierung intensiv geführt wurde, in das erste große inhaltliche Konfliktfeld. Vorab wollten die Mitglieder des Sachverständigenrats sich nicht zu dem Papier und dem Minderheitsvotum äußern. Man habe sich darauf verständigt, vor der Vorlage des Gutachtens am Mittwochnachmittag keine öffentlichen Stellungnahmen abzugeben, heißt es.
Damit erreicht die seit Jahren leidenschaftlich diskutierte Frage, ob Batterien oder Brennstoffzellen für Nutzfahrzeuge die bessere Variante sind, nun das einflussreiche ökonomische Beratergremium der Bundesregierung. Zwar haben in der Fachöffentlichkeit die Batterien auch im Nutzfahrzeugsektor heute viele Fürsprecher, doch auch die Brennstoffzelle hat weiterhin ihre Anhänger. Technisch geht es darum, dass im Falle der Brennstoffzelle schwere Batterien verzichtbar werden, weil der Strom für den Antrieb erst an Bord des Fahrzeugs aus Wasserstoff erzeugt wird. Der Wasserstoff soll perspektivisch mit überschüssigem Solar- und Windstrom erzeugt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung