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Streit um den Brexit„Weiter so“ geht nicht mehr

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Nicht nur der britische Premier steht vor einem Scherbenhaufen, auch die Verhandlungstaktik der EU ist gescheitert. Ein „No Deal“-Brexit wird wahrscheinlicher.

Vorfreude in UK: Premier Johnson hat sein Land auf einen harten Bruch mit der EU eingestimmt Foto: ap

E s läuft nicht gut für Boris Johnson. Immer mehr Briten wenden sich von seinem chaotischen Brexit-Kurs ab – und die Europäer spielen auch nicht mehr mit. Der EU-Gipfel hat sein Ultimatum für einen Handelsdeal schlicht ignoriert. Wir verhandeln weiter, so die trotzige Botschaft aus Brüssel.

Und nun kommt auch noch die Ratingagentur Moody’s und stuft die Kreditwürdigkeit Großbritanniens herab. Zur Begründung verweisen die Finanzexperten auf die Unfähigkeit der Regierung in London, einen Handelsvertrag mit Brüssel abzuschließen. Es ist eine Ohrfeige für Boris Johnson.

Ein Grund zur (Schaden-)Freude ist das allerdings nicht. Denn nicht nur der britische Premier steht vor einem Scherbenhaufen. Auch die Verhandlungstaktik der EU ist gescheitert. Sie hat ein Ziel nach dem anderen verfehlt – und muss sich nun auf einen „No Deal“ einstellen, das Worst Case Szenario.

Erst hofften die Europäer darauf, dass Johnson die beim Brexit vereinbarte Übergangszeit verlängern würde. Für die Wirtschaft hätte sich dann auch künftig nichts geändert. Doch nun läuft die Frist wie vereinbart am 31. Dezember ab. Deshalb wird die Zeit knapp, auch für die EU.

Michel Barnier und David Frost verhandeln am Montag

Brüssel hat versucht, London auf Dauer an die eigenen Regeln zu ketten. Bei den Steuern, den Löhnen und den Umweltstandards sollte sich Großbritannien trotz Brexit nach EU-Standards richten. „Level Playing Field“ heißt das, es soll einen fairen Wettbewerb sichern. Doch Johnson sagt „No“.

Zuletzt haben die Europäer dem britischen Premier auch noch einen Vertrauensbruch vorgeworfen. Tatsächlich hat Johnson mit seinem Binnenmarktgesetz gegen den Austrittsvertrag verstoßen. Doch die Brüsseler Drohung, deshalb die Verhandlungen abzubrechen, lief ins Leere.

Inständig bitten Kanzlerin Angela Merkel und Ratspräsident Charles Michel den Rabauken aus London nun darum, doch bitte, bitte weiter zu verhandeln. Man wolle einen Deal, wenn auch nicht um jeden Preis, erklärte Merkel in Brüssel. Johnsons Vertrauensbruch scheint vergessen.

Dafür gibt es einen schlichten Grund: It takes two to tango – für einen Deal braucht man nun einmal zwei Partner. Wenn die EU doch noch ein Handelsabkommen mit Großbritannien abschließen will, muss sie sich mit Johnson an einen Tisch setzen, auch wenn sie ihm zutiefst misstraut.

Doch wird es überhaupt noch zu Gesprächen kommen? Nach dem EU-Gipfel gaben sich die Europäer zunächst noch siegessicher. Verhandlungsführer Michel Barnier werde am Montag den Eurostar nach London besteigen und sich dann mit seinem britischen Counterpart David Frost treffen, hieß es.

Muss es immer Freihandel sein?

Doch mittlerweile ist das nicht mehr so sicher. Barnier solle doch nicht kommen, man werde miteinander telefonieren, heißt es in London. Ist das noch so ein perfider Trick, um die Europäer weichzuklopfen? Oder macht Johnson Ernst mit seiner Drohung, den „No Deal“ anzusteuern?

Genau werden wir das wohl erst am Montagmorgen wissen, wenn die Gespräche beginnen sollen. Klar ist nur eins: Ein „Weiter so“ wird es nicht geben. Im britisch-europäischen Verhältnis ist etwas zerbrochen – auch wenn die Europäer es immer noch nicht wahrhaben wollen.

Für den großen Freihandelsdeal wird es daher wohl nicht mehr reichen. Aber muss es eigentlich immer Freihandel sein? Insgeheim ist die EU längst von ihrem Maximalziel abgerückt. Am Ende dürften die Europäer schon froh sein, wenn sie Johnson überhaupt irgendwie einbinden können.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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8 Kommentare

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  • England hat schon immer die kontinentaleuropäischen Länder gegeneinander ausgespielt. Das hat drei- bis vierhundert Jahre auch geklappt.



    Jetzt hat Boris es wieder versucht, nur das er jetzt keine Großmacht mehr ist.



    Andere Staaten mit denen er gerne Handelsabkommen schließen will werden genau hinsehen wie Vertragstreu er wirklich ist. Da muss man ja doch erheblich zweifeln.



    Und wenn das ganze zum innenpolitischen Scherbenhaufen wird , wird er wie Trump und die Fox-Medien schnell den Schuldigen gefunden haben "Die Deutschen"!!!



    Aber die gesamte Rest EU können wirtschaftlich gut auf England verzichten. Schottland kommt dann in die EU Nordirland und Walles können ja noch überlegen.



    Rosinenpickerei und Erpressungsversuche sollten nicht belohnt werden.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Ein Grund zur (Schaden-)Freude ist das allerdings nicht. Denn nicht nur der britische Premier steht vor einem Scherbenhaufen.

    Auch die Verhandlungstaktik der EU ist gescheitert.""

    ==

    Wer die Brexit - Diskussion in UK seit 2015 verfolgt hat weiß, dass es den Brexiteers hauptsächlich um die Handelsbarrieren und um die europäischen Standards geht, die Boris Johnson sehr gern einreissen möchte.

    Beispiel: Sind die Handelsbarrieren für Nahrungsmittel erst einmal gefallen, will sagen ausgehölt durch eventuelle faule Kompromisse, gefährdet das die gesamte Nahrungsmittelproduktion in der EU.

    weiters Beispiel: Die Briten sind ganz wild darauf weiterhin mit Dienstleistungen im Geschäft mit den EU 27 Ländern zu bleiben.

    Das würde bedeuten: Daten der EU 27 Länder auf britischen Servern - die welchen Datenschutzbestimmungen unterliegen? (UK hat die europäische Datenschutzverordnung aufgekündigt)

    Scherbenhaufen?



    Den verhindert Michel Barnier gerade - indem er rote Linien zieht.

    Ansonsten:



    Seit 2016 dürfte klar geworden sein das Brexit kein kohärentes System darstellt die wirtschaftlichen Bedingungen der Bewohner der Insel zu verbessern - siehe zum Bsp. Reaktionen aus Wales, Schottland, NI und London - siehe die Stellungnahmen des britischen Bauernverbandes, siehe britische Universitäten und und und.

    Brexit bedeutet im Klartext, das System der Europäischen Union auf allen Ebenen zerschiessen zu wollen - und das möglichst sinnfrei.

    Merkwürdig das es so schwer fällt aus der Summe der Diskussionen, und besonders aufgrund der britischen Pseudo- und Scheinargumentation (siehe ERG Group um Jacob Rees Mogg) der letzten 5 Jahren einen klaren Trend zu generieren.

  • Die Fronten sind verhärtet, weil die EU den Briten nicht den gleichen Vertrag wie Kanada zugestehen will. Sie hat von Anfang an geglaubt, aus einer Position der Stärke zu verhandeln. Für GB ist die Situation ziemlich einfach, der EU-Austritt ist mit ganz knapper Mehrheit beschlossen. Danach hat Johnson seinen Wahlkampf u.a. mit dem Argument geführt, GB tritt aus der EU aus. Und er wurde gewählt, die Briten wollen aus der EU austreten. Und wenn die EU glaubt, GB wird franz.Fischenr in seinen Hoheitsgewässern den Fischfang erlauben, ist das ein Trugschluß. Für den frz. Präsidenten wird es ungemütlich werden.

    • @schoenerrhein:

      dann informieren sie sich novhmal ueber das geltende wahlrecht in UK

  • „Nicht nur der britische Premier steht vor einem Scherbenhaufen, auch die Verhandlungstaktik der EU ist gescheitert. Ein „No Deal“-Brexit wird wahrscheinlicher“



    Warum sich selbst unter Druck setzen? Ich habe da eine viel bessere Idee! Warum nicht Nägel mit Köpfen machen und den Termin gleich um - sagen wir - 100 Jahre verschieben? Dann hätten diese und die nächsten Politiker*Innen-Generationen ihre Ruhe, und was dann ist, weiß der Kuckuck. Erfahrungsgemäß wird’s auch dann erst kurz vor Ultimo „richtig losgehen“!

  • Es scheint so, als habe sich Johnson schon längst entschieden, statt einen langsamen Niedergang des Königreichs zu verantworten, lieber mit Haut und Haar und wehenden Fahnen unterzugehen. Wir haben damit, ehrlich gesagt, herzlich wenig zu tun. Man kann auch einem Selbstmörder nur immer wieder gut zureden. Kontrollieren kann man jemanden nicht, der zu allem entschlossen ist.

  • Der Autor scheint den selben irrglauben zu haben wie die britische Regierung. Das das Hauptziel ein Handelsabkommen zu sein.



    Jedoch ist der interne Markt und die eu Länder Irland und Frankreich sind wichtiger.



    Und das werde geschützt.

  • oder es waere insgesamt am gesuendesten, erstmal die briten ihre eigene suppe kochen zu lassen und zu verstehen, was sie sich da eingebrockt haben. damit meine ich die 51,8%. und im anschluss koennen sie dann gleich ihr wahlsystem ueberdenken und reformieren, und in 10 jahren vielleicht kann sich die EU mal wieder an den verhandlungstisch mit einem hoffentlich reiferen regierungsoberhaupt zusammensetzen.



    von dem ganzen ´die EU hat auch viel zu verlieren´, halte ich nichts. das ist fuer die verhandlungen irrelevant, weil das von anfang an klar war, als UK beschlossen hatte, die EU zu verlassen.