Streit um Verfassungsgerichtsbesetzung: Klingbeil fordert von Union Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf
Die Kandidatur von Brosius-Gersdorf für einen Richterposten am Bundesverfassungsgericht entzweit weiter die Regierung. CSUler empfehlen ihren Rückzug.

Nach einer rechten Hetzkampagne war die für den 11. Juli angesetzte Verfassungsrichter:innenwahl am Widerstand innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gegen die von der SPD nominierte Kandidatin Staatsrechtlerin gescheitert. Die Unionsvertreter hatten die Potsdamer Rechtsprofessorin zwar im Richterwahlausschuss des Bundestags mit nominiert und die Unionsfraktionsführung hatte sich für ihre Wahl ausgesprochen. Die Wahlen von Brosius-Gersdorf und zweier weiterer neuer Richter:innen für Karlsruhe mussten dann kurzfristig trotzdem von der Tagesordnung abgesetzt worden, weil die Fraktionsführung die mit dem Koalitionspartner verabredete Unterstützung nicht mehr garantieren konnte.
Brosius-Gersdorf hatte sich in einer persönlichen Erklärung und im Fernsehen gegen Vorwürfe zur Wehr gesetzt, sie sei eine Aktivistin, „linksextrem“ oder plädiere für ein unbeschränktes Recht auf Abtreibung. Klingbeil sagte zum Festhalten an der Kandidatur der Juristin, für ihn sei es „eine prinzipielle Frage, ob man dem Druck von rechten Netzwerken nachgibt, die eine hoch qualifizierte Frau diffamiert haben“. CSU-Chef Markus Söder hatte der SPD einen Austausch ihrer Kandidatin nahegelegt.
Der SPD-Parlamentsgeschäftsführer Dirk Wiese sagte der Rheinischen Post vom Montag laut Vorabbericht: „Es wäre gut, wenn einige aus der Union ihren offenen Widerstand gegen die gemeinsame Verabredung aufgeben und aktiv das Gespräch mit Professorin Brosius-Gersdorf suchen würden.“ Die schwarz-rote Koalition habe bereits viele wichtige Beschlüsse in den ersten Wochen ihrer Amtszeit auf den Weg gebracht. „Die gebrochenen Absprachen vonseiten der Union bei der Richterwahl trüben aber diese ordentliche Bilanz“, sagte Wiese.
„Keine Meisterleistung“
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) kritisierte unterdessen auch die eigene Partei für das Vorgehen bei der missglückten Wahl: „Wie die Besetzung der Richterstellen bislang gelaufen ist, war zweifellos keine Meisterleistung“, sagte Wegner im Gespräch mit der Welt. Solche wichtigen Personalien müssten im Vorfeld vertraulich besprochen werden. Die Verabredungen müssten anschließend auch gelten. „Das hat in diesem Fall leider nicht funktioniert“, konstatierte der Unionspolitiker.
Er sei aber sicher, dass die Vorsitzenden der Fraktionen von Union und SPD eine einvernehmliche Lösung finden würden. Wegner warnte die Koalition davor, die Personalien den Interessen der Parteien unterzuordnen. „Es geht hier um die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts – also einer Institution von herausragender Bedeutung in diesem Land. Das Bundesverfassungsgericht sollte nicht in parteipolitische Auseinandersetzungen hineingezogen werden“, mahnte Wegner.
Der frühere CSU-Chef und langjährige Bundestagsabgeordnete Horst Seehofer bekundete gegenüber der Augsburger Allgemeinen, er hätte Frauke Brosius-Gersdorf seine Stimme im Parlament gegeben. „Wenn die gesamte Führung von CDU und CSU einem Abgeordneten die Wahl empfiehlt, so wie geschehen, hätte ich sie gewählt“, sagte der ehemalige bayerische Ministerpräsident.
Bisher keine Lösung in Sicht
Eine Lösung in dem Streit ist derzeit nicht in Sicht. Die SPD hält an ihr fest. Der heutige bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte dem Stern hingegen, dass er „kaum mehr eine Möglichkeit“ für eine Wahl Brosius-Gersdorfs sehe. Es gebe durch die politische Debatte eine Art „Befangenheit“ bei der Personalie, die dem Gericht schaden könne. Mit Blick auf die SPD sagte er: „Mit dem Kopf durch die Wand zu gehen – da ist die Wand am Ende stärker.“
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) legte der Juristin indirekt einen Verzicht auf ihre Kandidatur nahe. „Frau Brosius-Gersdorf macht sich bestimmt Gedanken, wie sie mit dieser Situation umgeht“, sagte Dobrindt der Augsburger Allgemeinen auf die Frage, wie es nun weitergehe. „Als Bewerberin für eine Position im Verfassungsgericht hat man wohl kaum die Intention, die Polarisierung in der Gesellschaft weiter zu befördern.“
Sollte der Bundestag sich nicht über die Richter-Nachbesetzungen einigen können, geht die Entscheidung an den Bundesrat über. Davon hält Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour nichts. „So aufgeladen wie die politische Stimmung derzeit ist, wird es im Bundesrat nicht zwingend besser. Darüber hinaus wäre dies ein fatales Signal hinsichtlich der Handlungsfähigkeit des Bundestages“, sagte der Grünen-Politiker dem Handelsblatt.
Der Linken-Abgeordnete Gregor Gysi äußerte im Reutlinger General-Anzeiger die Hoffnung, „dass die SPD hart bleibt und zu ihrer Kandidatin steht.“ Gysi warnte: „Sonst macht man die Tür auf, dass künftig immer CDU und CSU über die Besetzung der von der SPD nominierten Verfassungsrichter entscheiden.“
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