Streit um Tarifvertrag: Stress durchs Turbo-Putzen
Die Gewerkschaft IG BAU beklagt zunehmende Hetze für Hamburgs Gebäuderreiniger. Abhilfe soll ein Tarifvertrag schaffen, die Arbeitgeber sperren sich.
HAMBURG taz | Firmen und Einrichtungen, die Reinigungsdienstleister in Anspruch nehmen, könnten dreckige Zeiten bevorstehen: „Wir sind an einem extrem kritischen Punkt angelangt“, schimpft Andre Grundmann von der Gewerkschaft Bau, Agrar, Umwelt (IG BAU): Die rund 36.000 Gebäudereiniger in Hamburg führten einen täglichen Kampf „Mensch gegen Minuten“, sagt der Gewerkschafter – in Folge stetig steigender Leistungsverdichtung. Ein „Tarifvertrag der fairen Arbeit“ soll nun Bezahlung und Arbeitsbedingungen regeln, wenn es nach den Arbeitnehmern geht. Dagegen aber sperre sich die Innung.
Der Gewerkschaft zufolge sind es nicht nur Staub, Dreck und volle Papierkörbe, gegen die die Gebäudereiniger anzutreten haben, sondern immer öfter vor allem die Uhr: Auf exakt 8,4 Sekunden sei etwa das Abstauben einer Schreibtischlampe veranschlagt. Und für das Komplett-Putzen eines 18-Quadratmeter-Büros hat eine Gebäudereinigerin gerade einmal zwei Minuten und 19 Sekunden Zeit.
Tendenz zum „Turbo-Putzen“
„Viel zu wenig“, sagt Grundmann. Und die Tendenz zum „Turbo-Putzen“ nehme stetig zu: „Reinigungskräfte müssen immer mehr Fläche sauber machen – ohne dafür auch nur eine Minute mehr Zeit zu bekommen.“ Von einer „Unverschämtheit“ und „Putz-Stress pur“, spricht auch der IG-BAU-Bezirkschef Matthias Maurer.
Eine aktuelle Umfrage unter Gebäudereinigerinnen und Fensterputzern habe ergeben, dass 57 Prozent der Kräfte in den vergangenen zwei Jahren größere Reinigungsreviere zugewiesen bekommen haben – bei gleichbleibender Stundenzahl.
Neun von zehn Befragten gaben an, bei ihrer Arbeit unter großem Zeitdruck zu stehen. Weiterhin ergab die Erhebung, dass 28 Prozent der Beschäftigten täglich Überstunden machen müssen; 30 Prozent der Befragten indes bekämen diese nicht einmal bezahlt.
Immer mehr Minijobber
Zudem hat laut IG BAU die Gebäudereiniger-Branche ein „Vollzeit-Job-Problem“, weil in der Branche 43 Prozent lediglich „Minijobber“ seien. „Immer häufiger werden reguläre Arbeitsplätze abgeschafft und durch Teilzeitkräfte oder Minijobber ersetzt“, so Maurer.
Die Gewerkschaft möchte klare Regelungen über Art und Umfang der Arbeit sowie einen höheren Stundenlohn von 10,35 Euro durchsetzen. Über eine Entgelterhöhung lässt die Innung mit sich reden: „Wir sind an einer schnellen Einigung interessiert“, sagt Sprecherin Christine Sudhop.
Beim Arbeitsvolumen wolle man jedoch keine tarifliche Regelungen. „Wir reden über Alternativen“, sagt Sudhop. Von einer „letzten Chance, einzulenken“, spricht dagegen Gewerkschafter Maurer – und droht mit Arbeitskampf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga