Streit um Stromtarife: Sind Strompreiszonen Gift?
Unterschiedliche Tarife in Nord und Süd schaden der Industrie, behaupten manche – zu Recht? Ein kühler Faktencheck.
Bayerns Ministerpräsident und Wahlkämpfer Markus Söder (CSU) sagte kürzlich der Süddeutschen Zeitung: „Unterschiedliche Strompreiszonen wären ein großer Fehler. Wer solchen Zonen das Wort redet, legt die Axt an den Industriestandort Deutschland und gefährdet Süddeutschland als industrielles Herz der Republik.“
Söders Aussage ist maßlos übertrieben. Was in der Tat aber stimmt: Würde man den deutschen Stromgroßhandel in zwei oder mehr Zonen aufteilen – derzeit gibt es hierzulande an der Strombörse nur eine einheitliche Preiszone –, ergäben sich regional unterschiedliche Preise, auf Basis von örtlichem Angebot und Nachfrage. In einer Zone, in der der Strom knapp ist, stiege zeitweise der Großhandelspreis.
Die Einschränkung „zeitweise“ ist wichtig. Denn eine Preisdifferenz zwischen einer Nord- und einer Südzone träte nur in jenen Stunden auf, in denen die physischen Netzkapazitäten nicht ausreichen, um den Strom aus der Zone der Erzeugung in die Zone des Verbrauchers zu transportieren. Deswegen: Ja, wenn es unterschiedliche Strompreiszonen gäbe, präziser auch „Stromgebotszonen“ genannt, würde es Stunden im Jahr geben, in denen der Strom am Spotmarkt in Süddeutschland teurer wäre als in Norddeutschland.
Andererseits: Je weiter die Übertragungsnetze in Deutschland ausgebaut werden, umso seltener werden solche Stunden mit Preisdifferenzen sein. Deswegen ist davon auszugehen, dass die Strompreise sich im Jahresmittel in den verschiedenen Zonen nur geringfügig unterscheiden würden.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Für die Stabilität des Stromsystems wären mehrere Preiszonen sinnvoll, weil sie auf marktwirtschaftlichem Weg auf Verbrauch und Erzeugung wirken, etwa auf den Betrieb von Pumpspeicherkraftwerken, was heute noch aufwendig im Rahmen des Redispatch erfolgt. Der Redispatch ist ein regulatorischer und eigentlich marktwidriger Eingriff in den Strommarkt aufgrund physikalischer Zwänge wie Netzengpässen.
Zuletzt wurde das Thema Stromgebotszonen munter vermischt mit der Frage, wer künftig in Regionen mit viel Windkraft die nötige Verstärkung der Verteilnetze bezahlt. Sollen das – wie heute – nur die Verbraucher im betreffenden Netzgebiet sein? Oder will man die Kosten bundesweit auf alle Verbraucher umlegen? Dann würden auch Kunden von Stadtwerken, die keine oder kaum Windkraftanlagen in ihrem Netz haben, über ihre Netzentgelte den Ausbau der Infrastruktur in anderen Teilen Deutschlands mitbezahlen. Der Chef der Bundesnetzagentur befürwortete das jüngst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe