Streit um Straßenumbenennung in Hannover: Hindenburg ist keine gute Adresse
Mit allen Mitteln kämpfen Anwohner im noblen Zooviertel Hannovers gegen die Umbenennung ihrer Straße. Nun wies ein Gericht ihre Klage ab.
Mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht zweifeln sie das Verfahren und die Begründung des Bezirksrates an, argumentieren mit den Ausgaben für Briefpapier, Visitenkarten und die Werbebanner im Tennisclub. Einer glaubt sogar, seine Glaubwürdigkeit als Autor wissenschaftlicher Aufsätze könnte angezweifelt werden, wenn eine Googlesuche seiner internationalen Leserschaft ergäbe, dass seine Adresse nicht länger existiert.
Seit vier Jahren wird um diese Umbenennung gestritten. Es ist vielleicht kein Zufall, dass das hier so lange dauert. Die Hindenburgstraße ist nicht irgendeine Adresse, sondern eine ziemlich teure. Die Anzahl der Menschen, die selbst Juristen sind oder es sich leisten können, einen zu bezahlen, ist entsprechend hoch. Die CDU-Parteizentrale residiert hier, Ex-Kanzler Schröder wohnt ums Eck.
Dabei – das betont auch die zuständige Verwaltungsrichterin in diesem Verfahren noch einmal – kann man nicht behaupten, dass der für die Entscheidung zuständige Bezirksrat sich die Entscheidung leicht gemacht hätte. Er hat das Umbennungsverfahren 2018 eingeleitet, nachdem eine vom Rat beauftragte Begleitkommission dies empfohlen hatte.
Fünf Jahre lang Biografien überprüft
Diese Kommission – in der Historiker, Vertreter der Kirchen, der jüdischen Gemeinde und des DGB saßen – hatte zuvor fünf Jahre lang Straßennamen unter die Lupe genommen. Allerdings auch nur diejenigen, bei denen Namensgeber in der NS-Zeit noch aktiv gewesen sind – frühere Epochen blieben unbeachtet. Von den 493 überprüften Namen wurde bei 476 die Beibehaltung empfohlen. Bei ganzen 17 wurde nach einer umfangreichen Begutachtung der Biografien die Umbenennung empfohlen.
Diese Umbenennung – auch das wurde zum Thema in dieser Gerichtsverhandlung – ist seit der Reform des niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes 2010 Sache der Bezirksräte. So hat es das Land bestimmt. Vorher war dies aber Sache des Rates – der hat daher auch, zum Teil schon vor Jahrzehnten, Grundsätze erarbeitet, nach denen diese Überprüfungen und Umbenennungen abzulaufen haben. Und er hat eben diesen Beirat beauftragt.
Aber müsste dann, fragen die Kläger, nicht überall gleichermaßen entschieden werden? Wie kann es sein, dass der eine Bezirksrat im Stadtteil Mitte sich zur Umbenennung entscheidet und ein anderer, in dessen Gebiet eine nach Hindenburg benannte Schleuse liegt, nicht? Nun, sagt die Vorsitzende Richterin, der Rat und die Stadtverwaltung könnten eben nur Empfehlungen abgeben, die Stadtbezirksräte sind frei in ihrer Entscheidung.
Und natürlich sind dies letztlich Spitzfindigkeiten, bei denen es eigentlich um etwas anderes geht: Die Anwohner finden, ihr Votum als Betroffene sollte mehr ins Gewicht fallen. Tatsächlich hatten sich Stadt und Bezirksrat alle Mühe gegeben, Bürger einzubinden, vor allem nachdem sich erste Proteste formierten und Unterschriftenlisten die Runde machten.
Da wurden Befragungen in Auftrag gegeben, Namensvorschläge entgegen genommen, es gab eine Reihe von turbulenten öffentlichen Sitzungen. Fast immer zeigte sich dabei, dass es zwar im politischen Raum und bei anderen Einwohnern durchaus ein paar Sympathien für eine Umbenennung gab, bei den unmittelbar Betroffenen aber eher nicht.
Viele Anwohner antworteten gar nicht
Bei einer schriftlichen Befragung der Anwohner der Hindenburgstraße waren 99 Prozent gegen die Umbenennung – damit argumentieren die Kläger gern. Allerdings: es hatten auch nur 32 Prozent geantwortet. „Die Erfahrung zeigt, dass eher die Unzufriedenen sich rühren“, sagt Richterin Andrea Reccius, „wir wissen schlicht nicht, wie die anderen 68 Prozent darüber denken“.
Am Ende votierte im Bezirksrat eine knappe Mehrheit von zehn rot-rot-grünen Stimmen gegen sieben schwarz-gelbe Stimmen dafür, dass die Straße künftig nach der von den Nazis im Alter von zehn Jahren ermordeten Lotte-Lore Loebenstein heißen soll, statt nach Hitlers Steigbügelhalter. Diese demokratische Entscheidung sei nicht zu beanstanden, es seien alle wesentlichen Punkte in der Debatte berücksichtigt und abgewogen worden, befand das Gericht.
Auf eine Debatte über die historische Rolle Paul von Hindenburgs über die beide Streitparteien Gutachten hatten anfertigen lassen, wollte es sich dabei gar nicht erst einlassen. „Man kann das sicher unterschiedlich bewerten, aber das ist in den Debatten ja auch deutlich geworden,“ sagte die Richterin.
Das alte Bild vom greisen Kriegshelden, der am Ende seines Leben nicht mehr so richtig mitbekommen habe, was diese Nazis da eigentlich vorhatten, habe durch die neuere Forschung jedenfalls deutliche Risse bekommen, zitiert sie aus der Begründung des Beirates.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers