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Streit um ParlamentsgrößeCSU blockiert Wahlrechtsreform

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Seit Jahren gibt es Streit darüber, wie sich der Bundestag verkleinern ließe. Einen guten Vorschlag gibt es – doch den will eine Partei nicht.

Es wird immer voller im Deutschen Bundestag Foto: Stefan Boness/Ipon/imago

S elbst ein Containerdorf in Berlin-Mitte ist nicht mehr ausgeschlossen. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat vorsorglich darauf hingewiesen, dass seine Verwaltung beim zuständigen Bauamt einen Antrag gestellt hat, um zur Not auch mehr als 800 Bundestagsabgeordnete samt Mitarbeitern unterzubringen. Parlamentarismus im Container, es wäre das treffende Symbolbild eines politischen Versagens.

Seit Jahren streiten sich die Fraktionen über eine Wahlrechtsreform, die den aufgeblähten Bundestag verkleinern soll. Bisher ohne Ergebnis. 709 Abgeordnete sitzen im Moment im Parlament, eigentlich sollten es laut Wahlgesetz nur 598 sein. Und nach der nächsten Wahl dann 800?

Die Argumente für eine Schrum­pfung des Parlaments leuchten eigentlich allen ein: Der Platz im Plenum, in Ausschüssen und in Bundestagsgebäuden wird knapp. Die Entscheidungen werden langwierig und ineffizient. Mehrkosten in mehrstelliger Millionenhöhe drohen.

„Wahlrechtsreform“ – das mag trocken und technisch klingen. Aber im Grunde geht es darum, wie die Legislative den in Wahlen ausgedrückten Willen der BürgerInnen umsetzt. Das ist keine Petitesse, sondern ein Kernbereich der Demokratie. Dass die Fraktionen bis heute daran scheitern, einen klugen Kompromiss zu finden, ist ein Skandal, der öffentlich zu wenig Beachtung findet.

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Es ist ja nicht so, als lägen keine sinnvollen Vorschläge auf dem Tisch. Nach einem Gesetzentwurf von FDP, Linken und Grünen würde die Zahl der Wahlkreise und Direktmandate reduziert und der Bundestag deutlich verkleinert. Dennoch bliebe das Zweitstimmenergebnis der Parteien weiterhin korrekt abgebildet, was das höchste Ziel jeder Reform sein muss. Die Idee ist fair und vernünftig. Nur leider blockiert sie die Union – und hier im Speziellen: die CSU.

Die Christlich-Soziale Union wirbt für ein anderes Modell, von dem vor allem eine Partei profitieren würde: sie selbst. Es ist kein Zufall, dass die Bayern unbedingt an allen Wahlkreisen festhalten und dafür die Listenmandate deckeln wollen. Bei der Wahl 2017 holte die CSU 46 von 46 Direktmandaten in Bayern, setzte also ihre regionale Dominanz maximal in Bundestagsmandate um. Einen Effekt, den sie verstetigen will.

Offiziell argumentiert sie anders: mit Bürgernähe. Bei größeren Wahlkreisen nehme die Distanz zu den BürgerInnen zu. Das stimmt zwar, aber ein paar Kilometer mehr für Abgeordnete im Wahlkreis taugen nicht als Grundsatzargument gegen eine sinnvolle Reform. Schon jetzt ist es bei kleineren Parteien üblich, dass ein Abgeordneter in sitzungsfreien Wochen mehrere Wahlkreise betreut. Und die Idee, ein Einzelner könne zu allen BürgerInnen einer Region Kontakt halten, ist per se eine Illusion.

Nein, die Bedenken der CSU sind schlichter. Sie fürchtet, Vorteile zu verlieren. Nun ist gesunder Egoismus legitim, aber eben keine Grundlage für eine demokratietheoretisch bedeutende Reform, die möglichst alle Fraktionen mittragen sollten. Vertrauen in den Rechtsstaat sei „eine Schlüsselfrage für die Demokratie“, schreibt die CSU in ihrem Regierungsprogramm für Bayern. Ihr Taktieren bei der Wahlrechtsreform untergräbt diesen Anspruch.

Was besonders nachdenklich macht: Das Dauergezänk über den gewachsenen Bundestag gibt der radikal rechten AfD eine Steilvorlage. „Wer sägt schon am eigenen Stuhl?“, frohlockt deren Bundesvize Stephan Brandner. Die angeblichen Altparteien seien „nicht bereit, auf ihre Pfründe zu verzichten“. Da hat die AfD recht. So widerlich ihr sonstiges Programm ist, der Vorwurf, dass es manchen beim Wahlrecht um die eigene Vormachtstellung geht, stimmt leider.

Ein guter Kompromiss zeichnet sich dadurch aus, dass alle ein bisschen nachgeben. Das muss, im Falle der Wahlrechtsreform, vor allem die CSU beherzigen. Einigt euch endlich! Ihr seid es den Bürgerinnen und Bürgern schuldig.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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12 Kommentare

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  • Mehrpersonenwahlkreise...



    Dazu ein konkreter Vorschlag von 2014



    www.mehr-demokrati...tagswahlrechts.pdf

  • Bayerns Sonderrolle ist Jahrhunderte alt. Da macht Söder keine Purzelbäume und ist der klassische Verbotsmensch, der den Anderen das Verbieten verbieten will. Bayer halt, selbst, wenn er Franke ist, was etwas deutluch Anderes ist. Im Übrigen: "Angst vor einem großen Parlament" ist an den Haaren herbeigezogen. Und "schnell und einfach durchdrücken" mit immer noch 500 Parlametariern ist komplett an der Realität vorbei. weniger Palametariern

  • Ganz einfach:



    Zweitstimme abschaffen:



    Parlament mit sagen wir 300 Sitzen.



    Man erreicht bei der Wahl X%, dann bekommt man N=300/100*X Sitze - abgerundet!



    d.h. wenn man 90,14 Sitze erreicht hat, bekommt man 90. Punkt aus fertig.

    Und ja, in der Regel bleibt dann pro Partei ein Sitz frei. Ganz Schlimm!

    Dieses System sicher a: immer eine gleiche Größe des Parlaments und Fair ist es auch.

    • @danny schneider:

      Im Prinzip ok, lieber @Danny. Aber dazu müsste man nicht die Zweit-, sondern die Erststimmen abschaffen.

  • Quorum für Direktmandate. Man braucht mindestens 1/3 der Stimmen.



    Das hätte etwa 20% der Direktmandate betroffen. Dann werden die Listenplätze auf die noch freien Wahlkreise verteilt und drittens der Rest aufgefüllt.

  • CSU: Energiewende-Desaster, Maut-Desaster, Landwirtschafts-Desaster, Demokratie-Desaster.

    Und das ist nur ein Teil der Erfolge.

    Eine kleine Minderheit dicht an der 5%-Hürde will der Gesamtheit den Stempel aufdrücken.

  • Warum haben alle nur so viel Angst vor einem grossen Parlament?

    Die Kosten sind gesamtgesellschaftlich völlig irrelevant.



    Warum sollen mehr MItreder schlecht sein?



    Das kann doch nur diejenigen stören, die gerne schnell und einfach ihre Meinung durchdrücken wollen.

    Und ins Unendliche steigen die Mandatsräger auch beim jetzigen System nicht.



    Containerdörfer?



    Warum sollte das so schlimm sein?



    Vielen Menschen mutet man das ganztägige Wohnen darin seit Jahren zu.



    Oder gibts da doch nen Unterschied, welche Menschen man so unterbringt?

    Ich schlage vor einfach mal die theortischen Höchstzahlen zu berechnen, dafür zu planen und sich zu freuen wenns weniger sind.

    Man muss nicht immer alles skandalisieren.

    • @Friderike Graebert:

      Ganz Einfach:



      Weil mehr Leute nicht zu besseren Entscheidungen führen



      Weil das auch nach der Amtszeit Milliarden an Pensionen kostet



      Es führt nur dazu das Parteien mehr brave Parteisoldaten mit lukrativen Sitzen belohnen können.



      Der Bürger und die Demokratie hat dabei keinen Gewinn, nur Verlust

  • Warum die Zahl der Wahlkreise verringern, wenn es doch viel einfacher ginge? Vorschlag: Direktmandate werden auf die durch die Zweitstimmen gewonnenen Sitze bundesweit verteilt und nicht mehr nur landesweit. So gäbe es wesentlich weniger Überhangmandate (keine?) und damit würden auch die Ausgleichsmandate (weitgehend) wegfallen. Die Zahl der Abgeordnetetn könnte in der Praxis kaum noch so utopisch ansteigen.

    Kann mir jemand sagen, ob ich hier einen Denkfehler habe?

    • @Parabel:

      Hab eben nochmal die Wahlergebnisse 2009 durchgerechnet und muss meine Aussage zurückziehen. Offenbar wäre der Effekt doch nicht so groß...

      Also doch: weniger Wahlkreise = weniger Sitze insgesamt. Aber viel Spaß bei der Debatte, wo die Grenzen gezogen werden sollen...

      • @Parabel:

        Einfach: man lege immer zwei Wahlkreise zusammen.



        Das reicht.

    • @Parabel:

      Ja, das klingt logisch aber funktioniert nicht, wenn es im Bundestag Parteien gibt, die nicht bundesweit antreten.