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Streit um Impfstoff-BeschaffungGerechtigkeit für die SPD

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die SPD hat mit ihrer Kritik am Impfkurs von Gesundheitsminister Spahn recht. Sie agiert wie eine Oppositionspartei, die Grünen oft staatstragend.

Jens Spahn bei seiner Regierungserklärung im Bundestag Foto: Kay Nietfled/dpa

D ie SPD hat eigentlich in letzter Zeit viel richtig gemacht. Sie hat dafür gesorgt, dass die EU in der Krise Geld lockergemacht hat. Und sie hat vom Kurzarbeitergeld bis zum Konjunkturpaket viel gegen die widerstrebende Union durchgesetzt. Doch die Aussichten im Wahljahr sind trübe. Dass sie in Sachen Impfen nun Gesundheitsminister Jens Spahn anschießt, wirkt wie ein verzweifelter Versuch, endlich mal aus Merkels Schatten zu treten. Ist das also die Flucht aus dem lähmenden Korsett der Verantwortung – ausgerechnet in einer Krise, in der man keine Koalition braucht, die sich gegenseitig die Schuld zuschiebt? Und ist es Zufall, dass die SPD ihre Attacke auf Spahn scharf stellt, der für höhere Aufgaben in der Union gehandelt wird?

Wenn die SPD-Spitze mit diesem Angriff Punkte machen wollte, muss man sagen: Das Manöver ist gescheitert. Alles bloß Wahlkampf, so das mediale Echo. Nichts ist für Parteien schädlicher als das Image, nur eigene Wahlchancen im Blick zu haben.

Doch vielleicht hat die SPD mehr recht, als es scheint. Die Firma Biontech hat Deutschland im November 200 Millionen Impfdosen angeboten. Minister Spahn lehnte das Angebot ab. Im Coronakabinett kam das, folgt man der SPD, nie zur Sprache. Wenn es stimmt, ist Spahn, der diese Frage im Bundestag umkurvte, für eine Fehlentscheidung verantwortlich.

Denn früher mehr Impfstoff zur Verfügung zu haben wäre angesichts der monströsen sozialen und finanziellen Kosten der Pandemiebekämpfung richtig und nötig gewesen. Dies wäre kein Verstoß gegen die verabredete gemeinsame europäische Beschaffung des Impfstoffs gewesen. Der SPD zu unterstellen, dass sie die nationale Karte spiele, ist verquer.

Die Debatte im Bundestag offenbart eine kuriose Lage. SPD-Mann Carsten Schneider formuliert eine zündende Anklage gegen die Union, die einem Oppositionspolitiker gut angestanden hätte. Die grüne Opposition hingegen applaudiert brav Spahn und warnt die SPD, in der Krise Zwietracht zu schüren. Eigentlich soll die Opposition der Regierung Versäumnisse nachweisen und das Argument, dass in der Krise alle zusammenstehen müssen, aushebeln.

Doch bei den Grünen scheint die fiebrige Erwartung, bald zu regieren, alles andere zu verdrängen. Die SPD als Oppositionsführerin, die Grünen als stocksteif staatstragende Regierungspartei – die Debatte im Bundestag schien wie ein Zukunftsbild, das im Jetzt aufblitzt.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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9 Kommentare

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  • Das Verhalten der Grünen in dieser Sache macht die Befürchtung der Klimaliste in BaWü deutlich. Die Befürchtungen liegen mit ihrer Einschätzung offensichtlich nicht falsch.



    Die Kritik der SPD ist eher als Korrektiv innerhalb der Koalition zu bewerten. Das ist absolut legitim. Denn schließlich besteht die Koalition aus zwei unterschiedlichen Parteien, mit unterschiedlichen Vorstellungen. Warum sollten da abweichende Vorstellungen wie mit der Sache umzugehen ist unter den Tisch gekehrt werden. Koalitionsvereinbarungen sollten nicht zu einem Maulkorb für die Beteiligten führen.



    Eine kritische Klärung der Impfstoffbestellung und -versorgung ist schon aufgrund der Infektionslage in unserem Lande wichtiger als ein Fingerzeig auf Wahlkampf.



    Transparenz gegenüber den Bürgern ist angesagt, gerade wenn die Vertrauenslage innerhalb der Bevölkerung zum Thema Corona nachlässt.

  • Die SPD hat sich einfach bereits mit ihrer künftigen Rolle als Oppositionspartei abgefunden und probt schon mal eifrig. Macht sie so weiter, scheitert sie womöglich an der Fünf-Prozent-Hürde.

    Richtig unglaubwürdig wurde das Ganze als Herr Scholz behauptete, dass es sich dabei selbstverständlich nicht um die Einleitung des Wahlkampfes handelte. Was für ein grandioses Eigentor.

  • Vieles der SPD Kritik stellte sich als Art Fake-News heraus. Das verwerflichste Beispiel: Man nicht vereinbaren zentral über die EU Impfstoff zu bestellen und danach vorschlagen mit Geld zum Nachteil anderer Länder zu kaufen.



    Wenn das andere Parteien nicht unterstützen kann das staatstragend sein, aber es ist definitiv ehrlich!

    • @alterego:

      Wie kommen Sie auf die seltsame Idee, zusätzliche Bestellungen aus Deutschland wären zum Nachteil anderer Länder ?



      Das Gegenteil ist richtig.



      Eine größere Bestellung aus Deutschland hätte es dem Hersteller erlaubt, die Produktionskapazität auszubauen.



      Höher Produktionskapazität bedeutet langfristig mehr Impfstoff für alle bei sinkenden Preisen.



      Das einfache marktwirtschaftliche Spiel von Angebot und Nachfrage.

  • Die einen (SPD) bereiten sich halt jetzt schon auf die Oppositionsrolle vor, die anderen (Grüne) auf die Übernahme der Regierungsverantwortung als neuer Juniorpartner der Union ... that‘s it.



    Eigentlich ein ganz normaler Vorgang, wenn demokratische Parteien untereinander koalieren, sollte man meinen.



    Aber so zynisch es klingt: erst wenn Schwarz-Grün sich ebenfalls verschlissen hat, werden wir es wieder mit echten politischen Richtungsentscheidungen zu tun bekommen ... Mitte-Links (SPD, Grüne, Linke) oder Mitte-Rechts (Union, AfD, FDP).

  • "200 Millionen Impfdosen angeboten. Minister Spahn lehnte das Angebot ab"

    Hätte er angenommen, läsen wir an dieser Stelle Vorwürfe, Spahn hätte die Solidarität innerhalb der EU geschwächt (der "deutsche Sonderweg" wäre bestimmt auch dabei) und egoistisch auf Kosten ärmerer Länder inner- und ausserhalb Europas gehandelt.

    Und die SPD hätte ihm ebenso genau das vorgeworfen.

    Dass die SPD etwas anderes als Wahlkampf im Blick hat, ist damit jedenfalls nicht zu belegen

  • Die Grünen legen sich eben schon mal devot für den Wunschkoalitionär auf den Rücken.

    Derweil steht das grünengeführte BaWü bei den Impfungen sehr, sehr viel schlechter da als das SPD-geführte MV...

    • @Suryo:

      Die Grünen sind halt CDU mit Ökofolklore und Identitätspolitik. Das ist auch der Grund warum ich die nicht abkann. Wenn die CDU auf die christlichen Werte scheisst und Nächstenliebe als Vetternwirtschaft übersetzt, dann geht mir das als Atheist nicht so nahe.



      Wenn aber Öko heißt es darf (den Staat/die Wirtschaft) kein Geld kosten und Sozial sich ebenfalls auf möglichst kostenneutrale Minderheitenrechte und deren möglichst theatralische Umsetzung beschränkt dann geht mir das ernsthaft auf den Sack. Denn die Themen sind mir ideologisch wichtig. CDU-artike Heuchelei ist da nicht angebracht.

      • @Imto:

        Ich sehe die Grünen eher als Lifestylestatement. Wenn in Vierteln wie Hamburg-Pöseldorf mehrheitlich grün gewählt wird, kann dahinter kaum etwas anderes stehen als das, was selbst die Hamburger Parteivorsitzende augenzwinkernd als modernen Ablasshandel bezeichnet hat. Die SUV-Fahrer dort werden ihre drei Urlaubsreisen pro Jahr wohl kaum mit dem Zug unternehmen, es sei denn, den Autozug nach Sylt. Wenn man bedenkt, dass in einer Umfrage eine Mehrheit der Grünenwähler schwarzgrün unter Söder gut findet und das überhaupt keinen innerparteilichen Aufschrei gegeben hat...früher hätte es da noch heftige Debatten und Parteiaustritte gegeben. Was wohl Petra Kelly zu den heutigen Grünen sagen würde?