Streit um Hoffnungsträger Wasserstoff: Kanzlerkandidat Merz glaubt nicht an grünen Stahl
Die deutsche Industrie soll mit Wasserstoff klimaneutral umgebaut werden. Doch bisherige Pläne für die Produktion enttäuschen, zeigt eine Studie.
Merz hatte am Montagabend bei einer Konferenz des Arbeitnehmerflügels der CDU, der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft Deutschlands (CDA), Zweifel an der Verfügbarkeit von Wasserstoff geäußert. „Ich glaube persönlich nicht daran, dass der schnelle Wechsel hin zum wasserstoffbetriebenen Stahlwerk erfolgreich sein wird“, sagte er. Merz hält die Stahlproduktion mit Wasserstoff gegenüber der konventionellen Herstellung für zu teuer.
Wasserstoff gilt als Hoffnungsträger für den klimagerechten Umbau der Industrie. Wird Wasserstoff aus erneuerbaren Energien hergestellt, ist er CO2-neutral und eine Alternative zu klimaschädlichen Brennstoffen wie Kohle und Gas, vor allem in der Stahlproduktion. Noch gibt es weder eine Infrastruktur für den Transport noch Produktionsstätten in großem Stil. Um das zu ändern, hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eine sogenannte Wasserstoffstrategie und Pläne für ein Transportnetz vorgelegt.
Danach soll ein großer Teil aus dem Ausland kommen. Die Bundesregierung fördert Pilotprojekte für die grüne Stahlproduktion. Merz’ Aussage sei ein Schlag in das Gesicht der Beschäftigten, sagte Habeck am Dienstag in Berlin. „Denn sie kann nur so übersetzt werden, dass die deutsche Stahlproduktion zu Ende geht.“ In den 2030er Jahren werde es keinen Markt für konventionell erzeugten Stahl mehr geben.
An der Frage des grünen Stahls hingen Zehntausende Arbeitsplätze, erklärte IG-Metall-Mann Kerner. Der Umbau der Stahlindustrie werde zurecht mit öffentlichen Geldern in Millionenhöhe unterstützt, auch von der CDU-geführten Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. Die IG Metall erwarte von der Bundesregierung Verlässlichkeit. „Planungssicherheit ist für die Unternehmen unerlässlich.“
Kaum Projekte realisiert
Grüner Wasserstoff könne zum Einsatz komme, sobald er bezahlbar zur Verfügung stehe, so die IG Metall. Doch genau das ist das Problem. Eine Studie des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) kommt zu dem Ergebnis, dass Projekte zur Erzeugung von Wasserstoff weltweit deutlich hinter den Erwartungen zurückbleiben. Im Jahr 2023 wurden weniger als 10 Prozent der angekündigten Produktion tatsächlich realisiert.
Der Studie zufolge haben mehr als 60 Länder Strategien entwickelt, um Wasserstoff im großen Stil marktfähig zu machen. Weltweit gibt es der Studie zufolge 1.232 Projekte für die Produktion von grünem Wasserstoff. „In den vergangenen drei Jahren haben sich die globalen Projektankündigungen für grünen Wasserstoff fast verdreifacht“, sagt PIK-Forscher und Studienleiter Adrian Odenweller.
Aber nur 7 Prozent der ursprünglich für 2023 in Aussicht gestellten Produktionskapazitäten seien 2023 auch fertiggestellt worden. Gründe für dieses enttäuschende Ergebnis sind gestiegene Produktionskosten, die fehlende Zahlungsbereitschaft potenzieller Abnehmer und die Unsicherheit darüber, wie die Förderung der Produktion und gesetzliche Vorgaben künftig aussehen werden.
Forscher lehnen dauerhafte Subventionen ab
Ein großes Problem ist die Finanzierung der Projekte. Die global angekündigten Fördermittel liegen weit hinter dem Bedarf, der für eine Realisierung bis 2030 nötig ist. Nach Einschätzung der Forscher sind zusätzliche Mittel in Höhe von etwa 1 Trillion US-Dollar (rund 970 Milliarden Euro) erforderlich. Dauerhafte Subventionen lehnen die Forscher ab.
Stattdessen schlagen sie vor, grünen Wasserstoff zum Beispiel über feste Quoten in bestimmte Bereiche zu lenken, etwa in die Luftfahrt, die Stahl- oder der Chemiebranche. Als Vorbild nennen sie eine EU-Regelung: Sie schreibt vor, dass ab 2030 Flugzeugsprit synthetische Beimischungen auf Basis von Wasserstoff enthalten muss. Die Quote soll bis 2050 auf 35 Prozent steigen.
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