Streit um Gedenken in Israel: Ein Ultrarechter für Yad Vashem
Regierungschef Benjamin Netanjahu will Effi Eitam zum Direktor der Holocaust-Gedenkstätte machen. Das löst heftige Diskussionen aus.
I ch will mein Geld zurück“, witzelt Yosi, während im Radio eine Diskussion über die Besetzung des Direktorpostens der Gedenkstätte Yad Vashem läuft. Yosis Großtante hatte ihr gesamtes Geld Yad Vashem vermacht. Und jetzt, 20 Jahre später, will Yosi, stellvertretend für seine Tante, sein Geld zurück: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu will Effi Eitam zum Direktor der Holocaust-Gedenkstätte machen.
Ausgerechnet Effi Eitam, vormaliger General, berüchtigt für Anordnungen an seine Soldaten, besonders brutal gegen Palästinenser*innen vorzugehen. Später war er Likud-Knessetabgeordneter, der israelische Araber einen „Krebs“ im israelischen Staat und eine „tickende Zeitbombe“ nannte. Die arabisch-israelischen Abgeordneten wollte er „nach Gaza“ ausweisen, und er sprach von „dunklen Mächte“, die umgebracht oder vertrieben werden müssten.
Klingt so der Direktor der weltberühmten Gedenkstätte Yad Vashem? Margalit, eine Freundin, kommt vorbei, setzt sich an den Küchentisch und zuckt mit den Achseln. „Ich erwarte nichts mehr. Spätestens im Januar hat man gesehen, dass auch in Yad Vashem vor allem politische Zwecke verfolgt werden.“
Sie bezieht sich auf die hochkarätig besetzten Feierlichkeiten zur Auschwitz-Befreiung in Yad Vashem, bei denen erst nach der offiziellen Veranstaltung ein Überlebender zu Wort kam, aber dafür Staatsoberhäupter aus der ganzen Welt, inklusive Wladmir Putin. Kritiker*innen sprachen von einer Instrumentalisierung des Holocaust zu politischen Zwecken. Allerdings waren auch intern nicht alle mit der Veranstaltung einverstanden gewesen.
Etwas schmallippig
Margalit braucht Winterschuhe. Wir laufen in das nächstgelegene Schuhgeschäft in der Etzelstraße. Ich versuche, von dem Besitzer zu erfahren, was er denkt. Doch der möchte sich nicht äußern.
„Man muss schon Ha’aretz lesen, um eine Meinung zu Yad Vashem und Effi Eitam zu haben. Oder Aschkenasi sein“, sagt Yosi und meint die aus Europa stammenden Juden. Er ist Misrachi, wie die meisten in dem Tel Aviver Stadtteil HaTikva, seine Familie stammt aus arabischen Ländern. Margalit, selbst Misrachi, nickt: „Der Holocaust ist nicht so tief in die DNA der Misrachi eingeschrieben, das ist nicht so sehr ihre Geschichte.“
Ganz anders sieht es unter aschkenasischen Juden aus. Unter vielen von ihnen hat Netanjahu mit seiner Wahl einen Aufruhr ausgelöst. 750 internationale Holocaust-Forscher*innen, Überlebende und Museumsdirektor*innen, unter ihnen auch Cilly Kugelmann, bis 2017 Programmdirektorin des Jüdischen Museums Berlin, wandten sich mit einer Petition gegen die Ernennung.
„Eitams hasserfüllte Rhetorik gegenüber israelischen Arabern und Palästinensern steht im Widerspruch zu der erklärten Mission von Yad Vashem“, schreiben sie. „Die Ernennung von Effi Eitam würde eine international respektierte Institution, die sich der Dokumentation von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Menschenrechten widmet, zu einer Verhöhnung und Schande machen.“
Politisch motiviert
Während Margalit den dritten Schuh anprobiert, ruft Yosis Vater an, der 1945 als Sechsjähriger von den Russen in Theresienstadt befreit wurde: „Effi Eitam als Direktor von Yad Vashem wäre das Absurdeste, was ich seit Langem gehört habe.“ Politisch motiviert sei es, regt er sich auf, Eitam sei nur noch ein weiterer Ultrarechter, den Netanjahu unterbringen will: „Eitam hat keine Ahnung von der Shoah. Es gibt Leute, die sich auskennen. Warum nicht die?“
Doch was hätte Netanjahu davon, sollte Eitam den Posten bekommen? Mein Freund Menachem, Sohn deutscher Eltern, die 1933 nach Israel ausgewandert sind, hat für solche Fälle gewöhnlich Theorien parat: „Owning the Libs – die Liberalen auf die Palme treiben. Möglicherweise versucht Netanjahu auch, Yad Vashems Stil zu ändern, von historischer Überlegtheit hin zu einer Funktionialisierung des Holocaust, wie es in Israel oft üblich ist.“
Noch muss die Knesset die Besetzung des Postens absegnen. Medienberichten zufolge ist es unwahrscheinlich, dass Benny Gantz, der Nethanjahu im Jahr 2022 als Premier ablösen soll, Effi Eitam als Direktor von Yad Vashem zustimmt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge