Streit um Anerkennung in Hamburg: Liberale Juden verklagen den Senat
Der Israelitische Tempelverband fordet Anerkennung als öffentliche Körperschaft – neben der Einheitsgemeinde – und den Wiederaufbau seiner Synagoge.
Der Tempelverband kritisiert, dass die Einheitsgemeinde für sich beansprucht, alle jüdischen Gemeinden in Hamburg zu vertreten. Durch die alleinige Anerkennung als Körperschaft öffentlichen Rechts sei sie „faktisch Monopolgemeinde im Staatskirchenrecht“. So hat der Senat etwa den Staatsvertrag für das Judentum nur mit der Einheitsgemeinde geschlossen.
Sergio Bergman, der Präsident der World Union of Progressive Judaism (WUJP), der am Donnerstag zur Pressekonferenz nach Hamburg gekommen war, erklärte das Modell der Einheitsgemeinde für gescheitert. Es widerspreche nicht nur der Vielfalt jüdischen Lebens, sondern auch demokratischen und menschenrechtlichen Grundsätzen. „Der Israelitische Tempelverband ist die Muttergemeinde des weltweiten progressiven Judentums“, sagte Bergman. „Ihre anhaltende strukturelle Diskriminierung ist ein Affront gegen die jüdische Geschichte und Gegenwart zugleich.“
Bergman spielte darauf an, dass in Hamburg 1817/1818 die weltweit erste Reformsynagogengemeinde gegründet wurde. Dabei ging es darum, die religiöse Praxis mit der Teilhabe an der Gesellschaft vereinbar zu machen. Diese Gemeinde sei erst 1938 durch das Nazi-Regime aufgelöst worden, sagte Eike Steinig, der stellvertretende Vorsitzende des Tempelverbandes, der für sich beansprucht, den Verein von 1817/1818 mit dem damaligen Namen fortzuführen.
Verweis auf Bundesverwaltungsgericht
Steinig verweist auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 1997. Demzufolge ist die Israelitische Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin weder unter der Herrschaft des Nationalsozialismus noch in deren Folge nach dem zweiten Weltkrieg untergegangen. Dabei hat das Gericht die Identität – und nicht bloß die Rechtsnachfolge – der neuen mit der alten Gemeinde festgestellt sowie deren rechtlich ununterbrochenen Fortbestand als Körperschaft des öffentlichen Rechts von 1885 bis heute. Gleiches gilt aus Sicht der Hamburger Gemeinde auch in ihrem Fall.
„Wir wollen unsere historischen Rechte zurückbekommen“, sagte WUPJ-Präsident Bergman. Die WUPJ erwarte, dass Hamburg das Erbe seiner liberalen jüdischen Geimeinde schütze, fördere und sichtbar mache. Deshalb müsse die alte Synagoge in der Poolstraße „als geistiges, religiöses und kulturelles Zentrum für das progressive Judentum weltweit wiederhergestellt und in die Obhut der rechtmäßigen Erbengemeinde – des Israelitischen Tempelverbandes – überführt werden“.
Der Hamburger Senat verweist darauf, dass der Tempelverband den Tempel in der Poolstraße schon 1931 – vor Beginn der Naziherrschaft – aufgegeben habe und in einen Neubau gezogen sei. Im Zuge eines Restitutionsverfahrens 1954 habe die Jewish Trust Corporation gegen die Zahlung von 20.000 Mark auf alle Ansprüche auf das Grundstück verzichtet.
Um das historische Erbe des Tempels zu bewahren, kaufte der Senat 2020 wiederum das Grundstück. Derzeit werde geprüft, wie das lädierte Gebäude zu einem Ort der Erinnerung hergerichtet werden könnte. Daran würden „alle interessierten Akteure“ – insbesondere die Jüdische Gemeinde und der Israelitische Tempelverband – beteiligt. Anfang des Jahres präsentierte der Senat einen virtuellen Rundgang, mit dem sich vor Ort erkunden lässt, wie es hier früher einmal aussah.
Senat sieht keine Ungleichbehandlung
Das Erbe der jüdischen Gemeinden wird aus Sicht des Senats von der Jüdischen Gemeinde fortgeführt, die im Sommer 1945 von Mitgliedern der Deutsch-Israelitischen Gemeinde – dem Dachverband des Israelitischen Tempelverbandes – gegründet worden sei. 1947 wurden ihm die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen.
Der Senat gibt an, die jüdischen Gemeinden pro Kopf zu fördern. Dem Israelitischen Tempelverband habe er kostenfrei Räume in der Israelitischen Töchterschule überlassen. Vor diesem Hintergrund könne der Senat „eine etwaige Ungleichbehandlung zwischen den jüdischen Gemeinden Hamburgs nicht erkennen“.
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