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Streit über AntisemitismusLinke will Trennlinie zur Hamas

Der Antisemitismus-Streit in der Linken hat ein Parteiausschlussverfahren zur Folge. Der Neuköllner Palästina-Aktivist Ramsy Kilani soll gehen.

Die Verschmelzung von Teilen der Linken mit der Pali-Bewegung ist zum Problem für Die Linke geworden. Hier: 1. Mai 2024 Foto: Jadranko Marja/Eibner-Pressefoto/imago

Berlin taz | Nach dem Antisemitismus-Streit in der Berliner Linken läuft in diesem Zusammenhang nun ein erstes Parteiausschlussverfahren gegen ein Mitglied des Neuköllner Bezirksverbandes. Gerichtet ist es gegen Ramsy Kilani, der zugleich der Gruppe Palästina spricht sowie dem Netzwerk Sozialismus von unten, einer Abspaltung des in der Linken engagierten trotzkistischen Netzwerks Marx21, angehört.

Kilani hatte in den sozialen Netzwerken wiederholt den Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober verteidigt. Öffentliche Aufmerksamkeit erlangte er im Zuge des Parteitags der Berliner Linken Mitte Oktober, als er den Streit um eine Antisemitismus-Resolution hämisch kommentierte. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau schrieb daraufhin, er wolle die Partei „zerstören“. Vorwürfe einer nicht eindeutigen Grenzziehung innerhalb der Partei gegenüber Antisemitismus, die auch zum Austritt von Klaus Lederer und anderen führten, hatten sich in der Folge an Kilani entzündet.

Gestellt wurde der Antrag vom Ex-Chef der Bundespartei, Martin Schirdewan, und der ehemaligen Berliner Landesvorsitzenden Katina Schubert, wie letztere der taz auf Anfrage bestätigte. Kilani selbst sagte im Gespräch mit der taz, dass er bereits Ende Oktober per Brief informiert worden sei. Bis zum 20. November habe er nun Zeit, sich gegenüber der Landesschiedskommission schriftlich zu äußern, danach folge eine mündliche Anhörung.

Kilani, der nach eigenen Angaben seit etwa fünf Jahren Parteimitglied ist, sagte, er behalte sich zwar vor, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Zugleich kritisierte er aber das „administrative Verfahren“ und forderte eine „öffentliche Debatte“. Schubert wollte sich zur Motivation für ihren Ausschlussantrag nicht äußern – aus Rücksicht auf die Schiedskommission.

„Antikolonialer Befreiungskampf“

Laut Kilani werde ihm „parteischädigendes Verhalten“ vorgeworfen. Dabei gehe es um seine Positionen zu einer „Einstaatenlösung“ in Nahost sowie eines „völkerrechtlich verbrieften Rechts auf Widerstand gegen eine Besatzung“. Kilani hatte zum Jahrestag des 7. Oktober in einem Tweet von „palästinensischen Guerilla-Kämpfern“ und ihrem Ausbruch aus dem „Freiluftgefängnis“ geschrieben und auch sonst mehrfach den angeblichen „antikolonialen Befreiungskampf“ verteidigt.

Er sei ein „Kopf der Palästina-Bewegung“, so Kilani zur taz, ein „Hamas-Versteher“ sei er dagegen nicht, da er als „nicht-religiöser Sozialist“ für „andere soziale Vorstellungen als die Hamas steht“. Ignoriert werde, dass er bei Angriffen auf Gaza im Jahr 2014 seinen Vater sowie fünf Halbgeschwister verloren habe – „koordiniert aus Militärbasen, die am 7. Oktober auch angegriffen wurden“.

Der Vorstand der Linken Neukölln hatte sich zuletzt pauschal „gegen alle Versuche, die inhaltliche Klärung durch Repression und Ausschlussanträge lösen zu wollen“, ausgesprochen und Vorwürfe gegenüber Mitgliedern als „Hetzkampagne mit Verleumdungen und Falschbehauptungen“ bezeichnet. Daher stünde man „solidarisch an der Seite der betroffenen Genoss*innen“.

Dagegen hatte der Landesvorstand der Berliner Linken nach dem Parteitag in Anlehnung an einen Beschluss der Bundespartei in einer Resolution festgehalten: „Unsere Solidarität endet aber dort, wo das Massaker des 7. Oktober als Akt des Widerstandes gefeiert wird oder die Kriegsverbrechen der israelischen Armee bejubelt werden.“

Nun teilten die Landesvorsitzenden Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer auf Anfrage der taz mit: „Es ist unsere gemeinsame Aufgabe in der Partei, diese Grenzen zu verteidigen und unsere Beschlüsse umzusetzen.“ Der Ball liege bei der Schiedskommission, die „ihre Arbeit machen und den Sachverhalt gründlich prüfen“ werde.

In den vergangenen vier Jahren gab es sechs Ausschlussverfahren in der Berliner Linken, zwei endeten mit dem Ausschluss von Parteimitgliedern. Um Antisemitismus ging es dabei in keinem der Verfahren.

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18 Kommentare

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  • Die Partei "Die Linke" ist nicht viel schlimmer als die politische Linke an sich, sie ist da durchaus repräsentativ. Ich fürchte in ein paar Jahren wird es uns nicht mehr geben, man wird sich über zu viel Heuchelei und letztlich über den großen blinden Fleck der Linken, den Antisemitismus, weitgehend zerlegt haben.



    Man muss sich das mal vergegenwärtigen: der Berliner Landesverband hat den Kategorischen Imperativ Adornos aus einem Antrag von Klaus Lederer entfernt. Mit der Forderung an die Menschen, "ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe" (Adorno, Negative Dialektik, 358), können sich diese Linken also nicht identifizieren.



    Lederer & Co. ziehen daraus die richtige Konsequenz. Eine Linke, für die der Kampf gegen klerikalfaschistische Organisationen wie die Hamas keine Selbstverständlichkeit ist, ist auch obsolet.

  • Nicht nur das.

    Die Linke muss endlich ihre ethnozentrischen Grundannahmen überwinden und verstehen, dass alle Völker gleich funktionieren und daher auch in gleichem Maße links, rechts oder alles dazwischen sein können.

    Da kann man auch zu der objektiven Erkenntnis kommen, dass die zentralen Akteure für die palästinensische Sache leider stramm-rechte bis faschistische Organisationen sind und seine Konsequenzen daraus ziehen - z.B. Aufbau eines linken, auf Frieden und Ausgleich ausgerichteten, Widerstandes gegen israelische Ungerechtigkeiten, statt wie bisher Unterstützung der religiös-faschistischen oder völkisch-nationalistischen Ziele der arabischen Rechten.

  • Es wird immer nur die Brutalität der Hamas gegenüber den Israelis bei ihrem Überfall im letzten Jahr thematisiert. Geht die Hamas nicht



    auch mit üblen Menschenrechtsverletzungen gegenüber ihren eignen Leuten/Palästinensern um, mit Folter gegenüber Kritikern,



    mit Benutzung von „menschlichen Schutzschildern für ihr eigenes Überleben, mit Diebstahl von Hilfsgütern für die Bevölkerung, mit



    Repression zur Sicherung ihrer nicht legitimen Herrschaft.

  • Wer eine Terrororganisation wie die Hamas verteidigt, sollte keinen Platz in einer demokratischen Partei haben. Dass man auf der anderen Seite das Verhalten Netanjahus und seiner Regierung und besonders der radikalen israelischen Siedler kritisieren und verurteilen darf oder sogar muss, ist die andere Seite.

    • @Frank Burghart:

      Harte Worte über die Linke von Ihnen.

  • Sehr erfreulich! Was mit manchen seit dem 07. Oktober los ist verstehe ich nicht. Von Klasse und zu Volk und Nation. Mir scheint es in manchen linken Randmilieus aktuell auch einen Rechtsruck zu geben.

    • @Lui:

      Definitiv gibt es dort einen Rechtsruck.

      Mir persönlich ist die Linke inzwischen zu rechts, um sie zu wählen

    • @Lui:

      ein und zuviel sry

  • Die Überschrift sollte korrekterweise lauten „Die Linke BRAUCHT eine Trennlinie zur Hamas“. Gibt es diese Linie nicht, dann braucht kein Mensch die Linke. Im Gegenteil, eine Linke die diese Trennlinie nicht zieht sollte möglichst schnell verboten werden.

    • @Fran Zose:

      Eine Linke ohne Trennlinie gegenüber der Hamas wird deren nützlicher Helfer:in, so wie die Hamas nützlicher Helfer:in der europäischen und globalen Rechten ist.

    • @Fran Zose:

      Richtig. Und auch der Begriff "Trennlinie" ist viel zu schwach. Es braucht eine Brandmauer.

  • Eine ernstzunehmende und diskursfähige Linke muss in der Lage sein, klarzustellen, dass das Existenzrecht Israels besteht. Weiterhin muss Klarheit darüber bestehen, wo jede Kontextualisierung von was auch immer beginnt und endet.



    Ansonsten läuft man den Rechten im Umgang mit Antisemitismus und Rassismus hinterher.

    • @aujau:

      Genau. Und zusätzlich sollte die Rechte klarstellen, dass Nationalismus, Kriegsverbrechen, Vertreibung und Landdiebstahl keine Optionen sind und den betroffenen Menschen ein Existenzrecht zugestehen.

      • @Rudolf Fissner:

        Sie meinen die israelische Rechte, nehme ich an. Ich meine die deutsche und europäische Rechte, die genüsslich zuschaut, wie die Vorstellung von internationaler Solidarität durch mangelnde Abgrenzung von totalitären, klerikalkorrupten und antisemitischen Militärverbänden wie Hamas den Bach runtergeht.

  • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin

    Wer den von der Hamas am 7. Oktober 2023 verübte Terrorangriff wiederholt verteidigt, bejubelt somit den tödlichsten Massenmordanschlag auf das Judentum seit dem Holocaust. So einer darf die politische Bühne in dieser Republik nicht betreten. Die Linkspartei muss Nägel mit Köpfen machen.

    • @Michaela Dudley:

      Das gleiche sollte natürlich auch für jene gelten, die Kriegsverbrechen gutheißen wo ein Vielfaches an Unschuldigen getötet werden im Vergleich zu den Massenmorden der Hamas. Auch diese Menschen sollten von der politischen und medialen Bühne verschwinden.

      • @Rudolf Fissner:

        Wer findet hier denn wirklich Kriegsverbrechen gut?

        Die einen können die Toten als Preis nachvollziehen und halten das Schutzschildnarrativ für glaubwürdig, die anderen finden, der Preis sei zu hoch und die Hamas würde Menschen nicht als Schutzschild benutzen.

        "Ey, geil, wieder eine Schule bombardiert!", sagt doch eigentlich niemand.

        Auf welcher politischen Bühne in dieser Republik auch immer.

    • @Michaela Dudley:

      Das schafft die Linke nicht.

      Ich denke, Schubert und Schirdewan werden gehen.