Streit auf der Innenministerkonferenz: Fällt der Syrien-Abschiebestopp?
Auf der Innenministerkonferenz wollen Seehofer und die Union durchsetzen, Gefährder wieder nach Syrien abzuschieben. SPD und Pro Asyl warnen.
![Georg Maier und Journalisten vor der konferenz Georg Maier und Journalisten vor der konferenz](https://taz.de/picture/4558343/14/Abschiebung-Innenminister-1.jpeg)
Der Abschiebestopp gilt wegen des syrischen Bürgerkriegs seit 2012 und wurde zuletzt halbjährlich verlängert. Nach einer tödlichen Messerattacke eines syrischen Islamisten im Oktober in Dresden kündigte Seehofer aber an, „anstelle eines generellen Abschiebestopps künftig zumindest für Straftäter und Gefährder wieder in jedem Einzelfall zu prüfen, ob Abschiebungen nach Syrien möglich sind“. Diese Position habe Bestand, bekräftigte sein Sprecher vor der Innenministerkonferenz.
Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), Sprecher der Unions-Innenminister, bekräftigte zuletzt: „Es wird keinen Beschluss für eine weitere Verlängerung des Abschiebestopps nach Syrien geben. Darüber sind sich die Innenminister der Union einig.“
Auch Röttgen für ein Ende des Abschiebestopps
Selbst Norbert Röttgen, der sich momentan als liberaler Kandidat für den CDU-Vorsitz in Stellung bringt, plädierte in der Welt für ein Ende des Abschiebestopps. „Es geht um ein klares politisches Zeichen nach innen und nach außen, dass Deutschland kein Schutzort für terroristische Gefährder ist.“ Durch den Abschiebestopp würden syrische Gefährder momentan eine Garantie genießen, dass sie nicht zurückgeschickt werden. Dies dürfe nicht mehr sein.
Die SPD wies die Forderung nach einem Ende des Abschiebestopps zuletzt vehement zurück. Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD), auch Vorsitzender der Innenministerkonferenz, warf der Union und Seehofer Populismus vor. „Er stößt eine Diskussion an, hat aber keine Lösung. Das finde ich unangemessen.“ Auch andere SPD-Innenminister wie der Niedersachse Boris Pistorius (SPD) und der Berliner Andreas Geisel (SPD) wandten sich gegen die Union: Die Lage in Syrien sei weiterhin gefährlich, Abschiebungen dorthin seien praktisch schlicht nicht möglich.
Tatsächlich fehlen dafür bisher alle Möglichkeiten. Deutschland hat in Syrien keine diplomatische Vertretung mehr, ein offizieller Austausch mit dem Assad-Regime existiert nicht. Auch Direktflüge in das Land gibt es nicht. Deutsche Gerichte dürften die Abschiebungen schwerlich absegnen.
Bericht: „landesweit massive Menschenrechtsverletzungen“
Zudem warnt das Auswärtige Amt weiter vor einer „katastrophalen“ Lage in Syrien. In einem aktuellen internen Lagebericht, welcher der taz vorliegt, ist die Rede von „in allen Landesteilen weiterhin massiven Menschenrechtsverletzungen durch verschiedene Akteure“. Im Land herrsche weiter „weitreichende systematische Willkür bis hin zu vollständiger Rechtlosigkeit“.
In keinem Landesteil gebe es Schutz vor politischer Verfolgung, Verhaftung und Folter. „Eine sichere Rückkehr kann derzeit für keine bestimmte Region Syriens und für keine Personengruppe grundsätzlich gewährleistet und überprüft werden.“ Die kritische humanitäre Lage habe sich zudem durch die Coronapandemie noch verschärft.
Menschenrechtsgruppen wie Pro Asyl fordern eindringlich, den Abschiebestopp nach Syrien nicht aufzuheben. „Die Innenminister dürfen nicht nach Gutdünken Recht und Gesetz zurechtbiegen“, sagte deren Geschäftsführer Günter Burkhardt der taz. „In Syrien kann weiter jeden Folter treffen.“ Für Burkhardt wären Abschiebungen dorthin „ein völliger Rechtsbruch“. Offenbar habe die Union schon den Wahlkampf eingeläutet und lasse dafür „rechtstaatliche Standards“ fallen.
Nach bisheriger Planung sollen die Einigungsgespräche auf der Innenministerkonferenz am späten Donnerstagnachmittag zu Ende gehen. Ihre Ergebnisse wollen die Minister am Freitagvormittag verkünden. Auf der Konferenz gilt das Einstimmungskeitsprinzip. In der Frage des Syrien-Abschiebestopps hatten die CDU-Innenminister aus Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg aber bereits beim vergangenen Treffen vor einem halben Jahr zu Protokoll gegeben, dass sie hier für „eine differenzierte Betrachtung“ eintreten.
Ergebnisse werden Freitag verkündet
Horst Seehofer selbst nimmt an der diesmal virtuell stattfindenden Konferenz nicht mehr teil. Er begab sich laut seinem Sprecher am Mittwochabend vorsorglich in Quarantäne, weil er Kontakt zu einer mit dem Coronavirus infizierten Ministeriumsmitarbeiterin hatte. Auf der Konferenz werde er nun von seinem Staatssekretär vertreten.
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