Streit an der Georg-August-Universität: Uni-Präsident zeigt Landtagsabgeordnete an
Mit seiner Abwahl als Uni-Präsident in Göttingen Metin Tolan sich nicht abfinden. Jetzt führt er einen juristischen Feldzug zur Rettung seines Rufs.

„Gegen Unbekannt“, wie sein Anwalt Gernot Lehr betont. Die Anzeige richtet sich nicht gegen eine bestimmte Person. Es gibt allerdings einen Verdacht, wer die große Unbekannte ist: Pippa Schneider, derzeit Landtagsabgeordnete der Grünen, von 2021 bis 2022 Asta-Vorsitzende an der Uni Göttingen. In dieser Funktion ist sie natürlich auch auf Metin Tolan getroffen. Sie könnte also die anonyme Quelle sein, die dem Göttinger Tageblatt gesagt hat, er habe sie im September 2021 – vor Zeugen – angeschrien. Was Tolan vehement bestreitet.
Die Behauptung, er habe eine Universitätsangehörige angeschrien, steht in einem Artikel des Göttinger Tageblatts mit dem Titel „Herrscht an der Uni ein Klima der Angst?“, der kurz vor der entscheidenden Senatssitzung erschien, in der Tolan abgewählt wurde. In den Augen Tolans – so hat er das mehrfach öffentlich geäußert – war der Teil einer Kampagne, einer Intrige gegen ihn, für die sich das Tageblatt habe einspannen lassen. Sein Anwalt spricht sogar von Mobbing.
Der Artikel zitiert allerdings noch fünf weitere anonyme Quellen, die ebenfalls Kritik an Tolans Führungsstil und Kommunikationsverhalten äußern, darunter einen Professor, einen Mitarbeiter aus dem Verwaltungsapparat, eine Führungskraft aus dem Wissenschaftsministerium.
Andere Quellen werden bisher nicht belangt
In die Welt gesetzt hatte diese massive Kritik die Psychologieprofessorin Margarete Boos schon eine Woche vorher. Sie war unter Tolan zwei Jahre lang Senatssprecherin, zu diesem Zeitpunkt aber schon pensioniert.
Sie sprach von Betroffenen, die eingeschüchtert, angeschrien und bei potenziellen Arbeitgebern diskreditiert worden seien, beschreibt Tolans Stil als autoritär und wenig kritikfähig.
Eine Strafanzeige hat sie nach eigenem Bekunden deshalb noch nicht erhalten. Möglicherweise sind ihre Äußerungen, genauso wie die der anderen Personen, aber auch deshalb juristisch schwer anzugreifen, weil sie eindeutiger als Meinungsäußerungen formuliert wurden.
Übrig blieben in der umfangreichen Berichterstattung des Göttinger Tageblatts nur zwei Passagen, die Tatsachenbehauptungen enthielten. In der einen wird eine Person aus der Verwaltung zitiert, die behauptet, Tolan habe ihr ein Sprechverbot gegenüber Presse und Senat erteilt. In der anderen geht es um jene Aussprache, bei der Tolan laut geworden sein soll.
Weil das Tageblatt sich weigerte, die anonymen Quellen hinter diesen Aussagen offenzulegen und lediglich eine anonymisierte eidesstattliche Erklärung vorlegte, hielt das Landgericht Dortmund diese für unzureichend belegt und untersagte der Zeitung die Weiterverbreitung.
Ungünstig für die Uni, die an Neustart arbeitet
Nun geht man also gegen die eine anonyme Quelle vor, die man glaubt, identifizieren zu können und die sich möglicherweise juristisch angreifbar gemacht hat. Die Staatsanwaltschaft gab am Montag bekannt, sie ermittle wegen eines Anfangsverdachts gegen Schneider.
Die junge grüne Abgeordnete hält sich da bedeckt: Pippa Schneider will vorläufig weder einräumen, dass sie diese Quelle war, noch sich irgendwie inhaltlich äußern. Sie weise die Vorwürfe zurück und sehe einem möglichen Strafverfahren mit Gelassenheit entgegen, heißt es in einer kurzen schriftlichen Erklärung von ihr.
Für die Universität ist das ständige Wiederaufwärmen dieser alten Konflikte allerdings ungünstig. Seit März versucht dort der Interimspräsident Axel Schölmerich die entstandenen Gräben zuzuschütten.
Nachdem sich Metin Tolan mit dem Land Niedersachsen vor dem Verwaltungsgericht auf einen Vergleich geeinigt hatte, betonte man dort noch wie erleichtert man darüber sei. Immerhin hätte eine jahrelange gerichtliche Auseinandersetzung die angestrebte baldige Neuwahl eines Präsidenten erheblich schwieriger gemacht.
Ministerium schließt sich Medienschelte an
Der Vergleich, über dessen Inhalt eigentlich Stillschweigen vereinbart wurde, dessen Eckdaten aber trotzdem durchsickerten, sieht vor, dass Metin Tolans Entlassung erst zum 30. September erfolgt statt schon im Februar. Bis dahin erhält er weiter die vollen Bezüge, ist jedoch freigestellt.
Außerdem hat das Wissenschaftsministerium eine Erklärung abgegeben, die ihn von jedem Amtsversäumnis freispricht und die „von anonymer Seite durchgeführten und durch die Presse verstärkten persönlichen Angriffe auf Ihre Person“ missbilligt. Das ist ein schon ziemlich ungewöhnlicher Vorgang, aber Metin Tolan reicht das anscheinend nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
taz besucht Maja T. exklusiv in Haft
„Ich werde vorverurteilt“
Krieg im Gazastreifen
Ist das ein Genozid?
Gefährliche Miet-E-Scooter
Der Wahnsinn muss endlich ein Ende haben
Geburtstagsgruß an J. K. Rowling
Ausschluss aus der Zaubergemeinschaft
Studie zu Schwangerschaftsabbrüchen
Veröffentlichungsdatum fehlt bisher
Neonazis feiern Sonnenwende
Ein Feuer wie beim Führer