Streik bei Berliner Verkehrsbetrieben: „Die BVG spielt auf Zeit“
Verdi-Verhandlungsführer über den Warnstreik bei der BVG am Montag, die Forderungen nach 750 Euro mehr Lohnund die Zukunft des ÖPNV in der Hauptstadt.
taz: Herr Arndt, die Tarifverhandlungen für die BVG-Beschäftigten haben gerade erst begonnen. Warum ruft Verdi schon nach dem allerersten Gespräch zu einem ganztägigen Warnstreik auf?
Jeremy Arndt: Die Arbeitgeberseite hatte ja schon im Vorfeld medial angekündigt, dass sie in der ersten Verhandlungsrunde kein Angebot vorlegen würde – und in den Gesprächen ist deutlich geworden, dass sie den Nachholbedarf, den wir sehen, nicht sieht. Es gibt ein extrem großes Delta zwischen unseren Forderungen und dem, was der BVG-Vorstand zumindest augenscheinlich anerkennt. Deshalb kommt es zu diesem Schritt.
taz: Musste es gleich ein ganztägiger Ausstand sein?
Arndt: Die Beschäftigten sind sich einig, dass wir den Druck jetzt hochfahren müssen, damit sich der Vorstand und auch die Politik bewegen. Wir wollen eine schnelle Lösung, aber wie sich die Arbeitgeber in der Runde präsentiert haben, konnte man den Eindruck gewinnen, dass sie auf Zeit spielen. Zeit, die wir alle nicht haben.
Jeremy Arndt
ist Verhandlungsführer der Gewerkschaft Verdi und Leiter des Verkehrsbereichs für Berlin und Brandenburg.
taz: Wie immer in solchen Fällen sind die Fahrgäste die ersten Leidtragenden.
Arndt: Ich verstehe, dass so eine Arbeitskampfmaßnahme schwierig für Fahrgäste ist. Aber wir erleben ja gerade eine BVG, die wegen der personellen Engpässe nicht mehr dem gewohnt hohen Standard des ÖPNV entspricht. Und wenn jetzt nichts passiert, wird das noch schlimmer. Da muss sich der Fahrgast die Frage stellen, was wichtiger ist: die Unwägbarkeiten, die kurzfristig durch einen Streik entstehen? Oder dass sie mit der BVG mittel- und langfristig zuverlässig und in der vorgesehenen Taktung von A nach B kommen?
taz: Wie groß ist das von Ihnen angesprochene Delta?
Arndt: Zugespitzt gesagt, liegt es genau in der Höhe der 750 Euro, die wir für alle Beschäftigten fordern. Nach Rechnung der Arbeitgeberseite scheint gar kein größerer Aufholbedarf zu bestehen. Der BVG-Vorstand sagt zwar, sie sähen, dass sie etwas tun müssen, aber auch, dass nach ihren Berechnungen ein Aufholbedarf im niedrigen einstelligen Prozentbereich besteht. Obwohl wir die letzte Entgeltrunde im Jahr 2021 hatten und danach die Zeit der extrem hohen Inflation kam.
taz: Wie viel Prozent Gehaltserhöhung wären Ihre 750 Euro?
Arndt: Das ist je nach Lohngruppe unterschiedlich, aber im Schnitt sind es rund 25 Prozent.
taz: Die BVG sagt: Dieses Geld haben wir überhaupt nicht. Was sagen Sie?
Arndt: Wie gesagt: Wir erleben in der letzten Zeit, dass die BVG aufgrund von Personalmangel massive Probleme hat und ihre Leistungen nicht in dem Maß aufrechterhalten kann, das von ihr erwartet wird. Im Busbereich erbringt die BVG aktuell ein Minus von sechs Prozent der vereinbarten Leistung! Von einem notwendigen Aufwuchs des Angebots reden wir da noch gar nicht. Das heißt, es muss etwas passieren, um das Personal aufzubauen und zu halten – und eine zentrale Maßnahme ist, es vernünftig zu bezahlen.
taz: Vorstandschef Henrik Falk hat letztens Rekordzahlen bei den Bewerbungen verkündet.
Arndt: Mag sein, dass es nach wie vor viele Bewerbungen gibt. Aber man schafft es damit gerade einmal, die Fluktuation abzudecken, die im Gesamtunternehmen bei zehn Prozent und höher liegt. Das führt mittel- oder sogar kurzfristig zu einem Personalabbau, da hilft es dann auch nicht, wenn man zehntausende Bewerbungen hat oder tausend Leute einstellt.
taz: Aber noch mal: Wo soll das Geld herkommen?
Arndt: In anderen Zusammenhängen betont der BVG-Vorstand immer wieder, dass genug Geld da ist. Und am Ende des Tages lautet die Frage: Wie will man den ÖPNV in Berlin gestalten? Da muss auch der Senat im Zweifel entscheiden, die Mittel, die da sind, für das Personal einzusetzen.
taz: Zurück zu den Verhandlungen: Wie sieht die Eskalationsstrategie von Verdi aus?
Arndt: Wir haben potenziell sechs Verhandlungstermine vereinbart. Am 31. Januar steht die nächste Runde an, und die Arbeitgeber haben zumindest angekündigt, ein Angebot vorzulegen. Wir werden dann mit der Tarifkommission der BVG-Beschäftigten bewerten müssen, ob dieses aus unserer Sicht verhandlungsfähig ist, oder ob man den Druck weiter erhöhen muss.
taz: Sie haben auch die Möglichkeit eines unbefristeten Streiks in Aussicht gestellt.
Arndt: Der stünde an, wenn wir am Verhandlungstisch einen absoluten Stillstand haben. Dann müsste man die Verhandlungen für gescheitert erklären, und wir gingen mit den Beschäftigten in die Urabstimmung über einen Erzwingungsstreik.
taz: Ende März läuft der Tarifvertrag zwischen EVG und Deutscher Bahn aus, in dieser Woche starten die Verhandlungen. Könnte es dieses Jahr zu Streiks im kompletten Berliner ÖPNV kommen, also bei BVG und S-Bahn gleichzeitig?
Arndt: Die EVG stimmt ihre Tarifverhandlungen logischerweise nicht mit uns ab. Ob und zu welchen Arbeitskampfmaßnahmen es dort kommt, liegt an deren Verhandlungsablauf. Derzeit sind keinerlei gemeinsamen Arbeitskampfmaßnahmen geplant.
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