piwik no script img

Zwischen Ohnmachtund Bewegung

Auf einer Strategiekonferenz in Kassel diskutierte die Linkspartei über ihre Rolle und stellte die Machtfrage: Wie will sie regieren – und wenn ja: mit wem?

Regieren? Nur mit uns! Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler, Thüringens Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow und Parteichef Bernd Riexinger in Kassel Foto: Martin Heinlein/DIE LINKE

Aus Kassel Anna Lehmann

Bei der Linkspartei passiert gerade vieles gleichzeitig im Ungleichzeitigen. In Thüringen wollen sie Bodo Ramelow am Mittwoch im vierten, fünften oder sechsten Anlauf endlich ins Amt des Ministerpräsidenten wählen und dessen rot-rot-grüne Regierung für ein Jahr von der CDU tolerieren lassen. In Kassel traf sich die Basis am Wochenende zur Strategiedebatte und diskutierte erneut, ob man denn überhaupt mit prokapitalistischen Grünen und der antisozialen SPD zusammen regieren wolle.

Die Parteiführung hatte eingeladen, damit man mal in Ruhe miteinander reden könne, und zwar ohne gleich Beschlüsse fassen oder Entscheidungen treffen zu müssen. Also kein Parteitag, sondern ein großer Debattierclub. Anberaumt hatten Katja Kipping, Bernd Riexinger und Co die Strategiedebatte schon im vergangenen Jahr nach einer Serie von Wahlniederlagen für die Linke – in der EU, Brandenburg und Sachsen. Der Redebedarf ist seither eher gewachsen, obwohl die Thüringer Regierungskrise und die Krise der CDU die Krise der Linken gnädig verblassen lassen.

Schnell waren die 480 Plätze im Kasseler Kulturbahnhof ausgebucht, Hunderte weitere Mitglieder hatten Beiträge eingereicht, die einen knapp 600 Seiten starken Reader füllen. Sollte Klimaschutz für die Linke ein Kernthema werden? Welche Milieus will man ansprechen? Wie spricht man die Arbeiterklasse an? Welche Erzählung bietet man? Diskutiert wurde in Kassel aber zunächst über die R-Frage: regieren oder nicht regieren?

Der Berliner Ex-Wirtschaftssenator und heutige Schatzmeister der Linkspartei Harald Wolf warf seinen Genossen einen ziemlichen Brocken hin, als er gleich am Samstag konstatierte, dass die kommende Bundestagswahl die letzte Möglichkeit für Jahre sein könne, Weichenstellungen für einen sozial-ökologischen Umbau zu stellen. Die Linke müsse daher in die Offensive gehen: „Wir müssen den Kampf um linke Mehrheiten aufnehmen.“ Wobei Wolf sofort nachschob, dass es dabei nicht allein um Mehrheiten im Bundestag, sondern vor allem um gesellschaftliche Bündnisse gehe.

Die Linkspartei tut sich weiterhin schwer mit der R-Frage. Wenn die hessische Fraktionsvorsitzende Janine Wissler in den Saal rief: „Es rettet uns kein höheres Wesen und schon gar kein linker Minister“, dann klatschte das Publikum wesentlich begeisterter, als wenn die Landesvorsitzende der Thüringer Linken Susanne Hennig-Wellsow mahnte: „Wir müssen Verantwortung annehmen und das heißt, regieren zu wollen.“

Manche GenossIn stöhnte ob dieser Diskussionen aus den 1990ern. Doch tatsächlich ist die Partei trotz manch folkloristischer Debatten weiter als vor 30 Jahren. Und das war auch in Kassel zu spüren. So bestreitet kaum noch jemand, dass es kein Widerspruch sein muss, regieren zu wollen und gleichzeitig der Straße verpflichtet zu bleiben. „Es gibt heute eine größere Hinwendung zu den Bewegungen bei denen, die aufs Regieren fixiert sind, und gleichzeitig ist das Regieren bei den Bewegungsorientierten akzeptierter geworden“, resümierte Lucy Redler von der Antikapitalistischen Linken. Die AKL gilt weiterhin als Gegnerin von Regierungsbeteiligungen, besonders im Bund.

Die Frage, wie man die Macht nutzen will, so man sie hat, kann die Linke ziemlich flüssig beantworten: Schuldenbremse weg, keine Kriegseinsätze der Bundeswehr, keine Privatisierungen und deutliche Verbesserungen bei Löhnen und Sozialleistungen, nannte die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Amira Mohamed Ali, einige Punkte. Die vom Bundesvorsitzenden Riexinger gemeinsam mit den KlimapolitikerInnen als neues Großthema eingebrachte Liaison von Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit wird es wohl ebenfalls in den Leitantrag für den Parteitag schaffen. Ob nun unter dem Namen „Green New Deal“ oder „Ökosozialismus“.

„Wir müssen den Kampf um linke Mehrheiten aufnehmen“

Harald Wolf, Linkspartei-Schatzmeister

Spannend bleibt vor allem die Frage, wie es die Linke schafft, so mächtig zu werden, dass sie tatsächlich auch Regierungsmacht erlangt. Ein zweistelliges Ergebnis bei der Bundestagswahl sei schon mal ein gute Voraussetzung, meinte Mohamed Ali.

Parteichefin Katja Kipping sah ihre Partei in der Verantwortung dafür, Begeisterung zu stiften und zu sagen: „Leute, es kann besser werden.“ Und der aus Thüringen angereiste Bodo Ramelow ermunterte seine Partei, „mehr das ‚Wofür‘ zu buchstabieren und nicht immer, wogegen wir sind“.

meinung + diskussion

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen