Steigende Mieten: Warten auf das Wohngeld
Ab Januar soll das Wohngeld im Schnitt um 30 Euro erhöht werden. In Berlin warten Empfänger*innen oft über ein halbes Jahr auf die Bewilligung.
Haushalte, deren Einkommen zu hoch sind, um Bürger*innengeld zu beziehen, aber nicht ausreicht, um die Mietkosten zu tragen, können unter bestimmten Voraussetzungen Wohngeld erhalten. Die Höhe liegt derzeit im Schnitt bei 370 Euro monatlich. Wie das Bundesbauministerium am Mittwoch mitteilte, hat das Bundeskabinett am Dienstag eine Wohngelderhöhung beschlossen.
Damit sollen die steigenden Kosten für Miete, Energie und den täglichen Bedarf aufgefangen werden. Am 1. Januar 2025 soll es um 15 Prozent steigen, durchschnittlich um 30 Euro. Berechtigt sind laut Bauministerium im nächsten Jahr rund 1,9 Millionen Haushalte. 40 Prozent der Empfänger*innen sind Familien, rund 48 Prozent sind Rentner*innen.
Das Wohngeld wird alle zwei Jahre angepasst, zuletzt im vorigen Jahr. Das Problem: Die seinerzeit verabschiedete Reform „Wohngeld Plus“ führt in Berlin zu einer Überlastung der Bezirksämter und zu sehr langen Bearbeitungszeiten. Wie Richard Behrend müssen viele Menschen monatelang auf die Bearbeitung ihres Antrags warten.
Ämter kommen nicht hinterher
Zum 1. Januar 2023 war unter anderem der Berechtigtenkreis erheblich erweitert worden, indem die Einkommensgrenzen angehoben wurden. Unmittelbar vor der Reform erhielten in Deutschland laut Statistischem Bundesamt rund 600.000 Haushalte Wohngeld. Mittlerweile sind es mehr als dreimal so viele.
Dadurch ist die Anzahl der Wohngeldanträge enorm gestiegen. Allein in Berlin gingen in den ersten vier Wochen nach Inkrafttreten des Gesetzes laut Senatsverwaltung für Wohnen 14.209 neue Anträge ein – mehr als doppelt so viele wie im Januar des Vorjahres. Im Mai dieses Jahres erhielten mit über 43.000 Haushalten doppelt so viele Wohngeld wie im selben Monat vor der Reform.
Die durchschnittliche Bearbeitungszeit von Wohngeldanträgen lag in Berlin im Dezember 2022 noch bei neun Wochen, wie aus einer Antwort der Senatsverwaltung auf eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Niklas Schenker hervorgeht. Wenige Monate danach lag sie bereits bei 15 Wochen. Negativer Spitzenreiter ist das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg: Hier betrug die durchschnittliche Bearbeitungszeit zwischen Juni 2023 und Mai 2024 sogar 26,8 Wochen – über ein halbes Jahr.
Für Richard Behrend war das ein großes Problem. Von den 1.500 Euro, die er als Sozialassistent verdient, gehen jeden Monat 900 Euro für die Miete ab. „Und meine Frau kann nicht arbeiten, bis wir einen Kindergartenplatz für unseren jüngsten Sohn gefunden haben“, erklärt er. Etwa 600 Euro Zuschuss stehen dem 54-Jährigen für die Miete der Wohnung zu, in der er mit seiner Frau und zwei Kindern lebt. Geld, auf das er angewiesen ist, jedoch monatelang nicht bekommt. Hinzu kommt: Nach 18 Monaten muss der Antrag erneut gestellt werden, und die Warterei geht von vorne los.
Ohne Bescheid keine Ermäßigungen
Bis ihr Wohngeld bewilligt wird, warten Antragstellende nicht nur auf ihr Geld, sondern auch auf den Bescheid. Ohne diesen können sie weder das vergünstigte S-Bahn-Ticket für Menschen mit geringem Einkommen erhalten noch Freizeitangebote zum ermäßigten Preis wahrnehmen.
„Auch in diesem Sommer kommen viele Wohngeldempfänger*innen in Berlin nicht ermäßigt ins Schwimmbad, weil die Bescheide auf den Ämtern nicht rechtzeitig bearbeitet werden können“, kritisiert die Landesarmutskonferenz. Sie fordert, dass Bescheide bis zur Bearbeitung von Folgeanträgen automatisch verlängert werden.
Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg begründet die langen Bearbeitungszeiten gegenüber der taz mit einer Überlastung der Behörden. Die sei unter anderem auf das gleichzeitige Inkrafttreten des Wohngeld-Plus-Gesetzes und der Einführung des Bürger*innengeldes zurückzuführen.
Dabei hatte der Senat den Bezirken 160 zusätzliche Stellen zur Bearbeitung der Wohngeldanträge zugesagt. Doch ein Großteil davon wurde erst nach Inkrafttreten der Reform ausgeschrieben und besetzt – wenn überhaupt.
Anträge unnötig kompliziert
Für den wohnungspolitischen Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Niklas Schenker, ist der Bearbeitungsstau in den Bezirksämtern hausgemacht. „Für Senat und Bezirke war es absehbar, dass durch die Wohngeldreform deutlich mehr Menschen Anträge stellen würden“, so Schenker zur taz. „Dennoch wurden keine ausreichenden Vorbereitungen getroffen.“
Schenker fordert, die offenen Stellen in den Bezirken zügig zu besetzen, um der Überlastung in den Wohngeldstellen entgegenzuwirken. Außerdem seien Antragstellung und -bearbeitung unnötig kompliziert. Der Linken-Politiker plädiert nicht nur für eine Entbürokratisierung des Wohngeldverfahrens, sondern auch für die Einführung mehrsprachiger Anträge in vereinfachter Sprache.
Anna Nowak* arbeitet in einer Sozialberatungsstelle in Kreuzberg. Einige ihrer Klient*innen würden seit über acht Monaten auf die Bearbeitung ihres Wohngeldantrages warten, erzählt sie. Es brauche daher dringend eine Vereinfachung des Antragsprozesses. „Das Wohngeld muss ständig neu berechnet werden, sobald das Einkommen sich ändert. Dann müssen Unterlagen nachgereicht werden.“ Stattdessen könnte man einen Zeitraum festlegen, in dem das Einkommen betrachtet wird, ähnlich wie beim Kinderzuschlag.
In dringenden Fällen können Betroffene parallel zum Wohngeldantrag einen Antrag auf Bürger*innengeld stellen, um die Zeit bis zur Bewilligung zu überbrücken. Das sei jedoch ein kompliziertes Verfahren, da Bürgergeld und Wohngeld nicht gleichzeitig bezogen werden dürfen, so Nowak.
*Name geändert
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