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Statistik von HilfsorganisationImmer mehr Erwerbstätige von Wohnungslosigkeit bedroht

Über 13 Prozent derjenigen, die wegen Wohnungsnot beraten werden, haben einen Job. Auch Familien mit Kindern sind zunehmend betroffen, berichtet eine Hilfsorganisation.

In einer Notunterkunft für wohnungslose Familien in Berlin Foto: Berlinfoto/imago

Berlin epd | Wohnungsnot trifft zunehmend erwerbstätige Menschen. In einem am Donnerstag in Berlin von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) veröffentlichten Bericht heißt es, inzwischen seien 13,1 Prozent der Klienten der Wohnungsnotfallhilfe erwerbstätig, fast zwei Prozentpunkte mehr als 2015 (11,3 Prozent; 2019: 12,4 Prozent). Der Verband spricht von einem besorgniserregenden Trend.

Die BAGW stützt sich dabei auf die Auswertung von mehr als 43.000 Beratungsgesprächen in 237 Einrichtungen aus dem Jahr 2023. Laut Statistik waren drei Viertel der Klienten „von Wohnungslosigkeit betroffen“ (74,6 Prozent), verfügten also über keinen „abgesicherten Wohnraum“. Fast jeder Zehnte (9,3 Prozent) war „unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedroht“. 3,3 Prozent der Beratungen betrafen „unzumutbare Wohnverhältnisse“. Hinzu kamen Beratungen, bei denen kein aktueller Wohnungsnotfall vorlag.

Beunruhigend ist laut BAGW der anhaltend hohe Anteil von Familien in der Wohnungsnotfallhilfe. So lebten elf Prozent aller erfassten Personen mit mindestens einem Kind im Haushalt. Dem Statistikbericht zufolge sind insbesondere Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit von Wohnungsnot betroffen. Demnach verfügten gut 38 Prozent aller Klienten über keine deutsche Staatsangehörigkeit. Dies sei ein neuer Höchststand.

Die Vorsitzende der BAGW, Susanne Hahmann, forderte einen deutlichen Ausbau des sozialen Wohnraums, um Wohnungslosigkeit wirksam bekämpfen zu können. „Zentrale Stellschraube ist der bezahlbare Wohnraum“, sagte Hahmann dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Die Anzahl der Wohnungen mit Sozialbindung muss wieder steigen. Wir befinden uns heute in einer Krise, die absehbar war, und vor der wir schon vor 20 Jahren gewarnt haben.“

Hahmann forderte zugleich mehr Prävention. Dazu gehöre es, Zwangsräumungen zu vermeiden und höhere Mietobergrenzen in den Jobcentern. Zudem müsse der uneingeschränkte Zugang zu Hilfen gewährleistet werden, unabhängig vom Aufenthaltsstatus der betroffenen Personen. Hahmann ist Geschäftsführerin der Diakonie Michaelshoven Soziale Hilfen GmbH in Köln. Das vom Europäischen Parlament und vom Bundestag ausgegebene Ziel, bis 2030 die Obdach- und Wohnungslosigkeit abzuschaffen, nannte sie unrealistisch.

Es hänge nun an Bauministerin Verena Hubertz (SPD), inwieweit der Nationale Aktionsplan zur Beseitigung der Wohnungslosigkeit mit finanziellen Mitteln ausgestattet und konkreten Maßnahmen untermauert werde. „Nur dann kann sich etwas bewegen“, sagte die Diakonie-Geschäftsführerin: „Das Recht auf eine Wohnung ist ein wichtiges Menschenrecht.“

Das Statistische Bundesamt hatte im Juli einen erneuten Anstieg der Wohnungslosenzahlen in Deutschland gemeldet. Demnach waren zum Stichtag 31. Januar 2025 rund 474.700 Menschen in überlassenem Wohnraum, bei Freunden, in Sammelunterkünften oder Einrichtungen für Wohnungslose untergebracht, acht Prozent mehr als im Vorjahr. Die Zahl ist auch deshalb so hoch, weil hier Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften mitgezählt werden.

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7 Kommentare

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  • Die Inflation wächst insbesondere bei Mietwohnungen eigentlich in fast allen durchkapitalisierten Ländern, ob Deutschland, Kanada, Australien, Japan oder Mexiko. Diese Inflation ist im wesentlichen künstlich und hat damit zu tun, dass Immobilien quasi immer mehr zum Abschuss frei gegeben werden als private Kapitalanlage- und Gewinn-Objekte. Wohnen, welches ein Gebrauchsgut sein sollte, verwandelt sich zusehends in ein Spekulationsgut. Deshalb würde hier nur eine radikale Vergesellschaftung der Mietwohnungen helfen. Alles andere ist letzten Endes wirkungslos.

    Aber dem steht die Prioritätensetzung der rechten Politik entgegen. Und die sieht so aus, dass Profit und Militär an erster Stelle stehen. Danach kommt lange gar nichts. Dann kommt wieder lange gar nichts. Und irgendwann kommen die zivilen Bedürfnisse, wie Wohnen, Gesundheit, Natur, Ernährung, ökologische Stadtentwicklung, zivile Forschung, umfassende Bildung, Menschenrechte.

    Den Staaten fehlt gar nicht das Geld. Sie könnten noch so viel zusätzliche Einnahmen durch Besteuerung großer Vermögen, Schuldenaufnahmen etc. einnehmen. Das Geld würde trotzdem gemäß den genannten nekrophilen Prioritäten verprasst werden.

  • Ein landesweiter Mietendeckel, der den Namen auch verdient, könnte da sicher helfen.

  • Wer soll denn die Wohnungen mit Sozialbindung bauen? Klar, der Staat kann natürlich über Steuereinnahmen tätig werden. Bekommen dann Steuerzahler eine Bonus beim bezahlbaren Wohnraum? Oder müssen diese wieder zurückstecken?

    • @Zven:

      Die müssen dann wieder "zurückstecken", ja. Das nennt sich Solidarprinzip.

  • Klar, Deutschland war auf den Ansturm von Migranten eben in keiner Weise vorbereitet und hat nun ein massives Problem.

    • @Filou:

      Kleiner Tipp, es gibt seit langer Zeit einen Mangel an günstigen Wohnungen.

    • @Filou:

      Das Problem mit den fehlenden Wohnungen sind doch nicht die Migranten, sondern unter anderem die Spekulationen auf dem Wohnungsmarkt und dass zu wenig gebaut wurde. Das wurde doch in den letzten Jahren immer wieder thematisiert ...