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Stand der deutschen EinheitGleitende Annäherung

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Das Gerede von einer neuen Ost-West-Mauer ist Unsinn. Unterschiede gibt es außerdem auch zwischen Stadt und Land, wie Nord und Süd.

Nix wie weg hier: Viele sehen ihre Chancen eher in der Stadt Foto: Florian Gaertner/imago

J a, doch, wir haben eine deutsche Einheit. Nein, wir haben keine neue Mauer zwischen Ost und West, wie mitunter ventiliert wird. Auch wenn 35 Jahre nach dem Mauerfall die Kluft zwischen Menschen in Ost und West scheinbar wieder größer geworden ist. Weil der Osten, wie die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen, Brandenburg gerade gezeigt haben, so offen rechts wie nie zuvor ist. Und der Westen sich darüber die Augen reibt.

Unabhängig davon, dass die ostdeutschen Verhältnisse auch im Westen ankommen werden, wie Po­li­tik­wis­sen­schaft­le­r:in­nen voraussagen. Spätestens dann ist die deutsche Einheit komplett vollzogen. So zynisch es klingen mag. Die vergangenen 35 Jahre zeigen aber vor allem eines: Die deutsche Einheit ist kein statischer Zustand, sondern ein zuweilen überraschender Prozess.

So waren die Unterschiede zwischen den alten und damals neuen Bundesländern am 3. Oktober 1990 und in den ersten Jahren nach der DDR so groß wie noch nie: Einkommen, Eigentum, Eliten, Eigenverantwortung – von allem hatte der Westen Unmengen mehr. So konnte der Riss gar nicht anders verlaufen als zwischen Ost und West.

Aber die Ostdeutschen ackerten und ackerten, die Lebensverhältnisse glichen sich an, Ostdeutsche übernahmen westdeutsche Lebensstile und wussten das neue Leben wertzuschätzen. Doch es gab weiterhin Unterschiede, materiell, politisch, zu jener Zeit aber vor allem kulturell. Allerdings nicht mehr überaus stark zwischen Ost und West, sondern zwischen Nord und Süd. Was hatte eine Rostockerin mit einem Münchner gemein?

Nichts. Ebenso wenig, wie jemand aus Hamburg oder Bremen etwas mit Stuttgart anfangen konnte. In den vergangenen Jahren gab es eine weitere Verschiebung: Es entstand eine Lücke zwischen Stadt und Land. Städte und ihre Randregionen wachsen, die Peripherie dagegen schrumpft – in Ost wie West. In den Städten bieten sich Chancen, auf dem Land gehen sie verloren. Das ist kein Problem, das zwischen Ost und West geklärt werden muss, sondern einzig gesamtdeutsch.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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19 Kommentare

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  • Sollte nicht für jeden Schüler während seiner Schulzeit ein Auslandsjahr verpflichtend werden. Nach dem Abi dann im Anschluss ein soziales Jahr in einem der Entwicklungsländern , damit sich endlich einmal der Blickwinkel auf die Welt öffnen kann und sich nicht immer wieder alles, um klein - klein Germany dreht...

  • Die Grenzen in den Köpfen sind das Problem.

    Als jemand, der nach der Wiedervereinigung geboren wurde und es als Kind nicht anders gelernt hat, habe ich Deutschland immer als Einheit von 16 Bundesländern verstanden, ohne zwischen West/Ost, Bayern/Ostfriesen oder ähnlichem zu unterscheiden.

    Bei meinem Kollegen, der während der deutschen Teilung aufgewachsen ist, merkt man die Verankerung der Ost-West-Trennung im Kopf noch deutlich. Auch wenn es meistens witzig gemeint ist, schiebt er eigensinnige Verhaltensweisen von Menschen, bei denen wir wissen, dass sie aus der DDR bzw. den neuen Bundesländern kommen, gerne auf die Herkunft (Zitat: "Das war wahrscheinlich früher im Osten so.").

    Ziemlich erschrocken habe ich mich dann einmal selbst bei einer solchen Schlussfolgerung erwischt. Früher wäre ich nie von allein auf so etwas gekommen.

    Mir fällt auf, dass viele Ältere noch so denken wie mein Kollege und durch die ständige Wiederholung von Ost-West-Unterschieden auch Jüngere damit prägen. Und das ist einfach schade!

    Man hat die Wiedervereinigung akzeptiert, die Teilung aber noch restweise beibehalten. So scheint es leider weiterzugehen, aber genau das muss sich ändern!

  • Die Rostockerin und der Münchner haben natürlich viel gemein und hatten das auch 1988 - sonst wäre die Einheit nicht auf beiden Seiten nicht so grundsätzlich als gute Idee angekommen. Natürlich gibt es deutsche Gemeinsamkeiten, sonst könnten wir alle "gesamtdeutschen Lösungen" auch gleich sein lassen.

    Dass es viele regionale und andere Verwerfungen gibt, ist richtig. Es gibt jedoch entscheidende Unterschiede zur West-Ost-Kluft.

    Zuerst einmal ist die Grenze, ob sie genau passt oder nicht, einfach zu ziehen - die zwischen Oberschwaben und der Alb oder zwischen Ruhrgebiet und Ostwestfalen kennen und finden wenige Ortsunkundige. Klar, dass vieles darauf bezogen wird.

    Vor allem aber hört man selten Äußerungen, die Ostfriesen oder Saarländer seien noch nicht richtig integriert oder zu wenig demokratieerfahren. Ich kenne auch keine Features in weitreichenstarken Medien über die Menschen im Hunsrück oder der Lüneburger Heide ohne Stimmen aus der Region - all das ist bzgl. der ostdeutschen Länder völlig gang und gäbe.

  • Als in Bayern, genauer Franken, geborener Thüringer (analog zu dem noch bis vor ein paar Jahren "in Deutschland geborenen Türken") bin ich zeitlebens eine Art Grenzgänger gewesen: als Kind in den Sommerferien bei den Familien der Eltern, dann als junger Erwachsener in Zeiten des kleinen innerdeutschen Grenzverkehrs, und wiederum nach 1990 als innerdeutschen Tourist unterwegs zwischen Rügen und Rennsteig.



    Zuletzt war ich am Wochenende "drüben", wie wir immer noch zu sagen pflegen, um dem Mann einer Cousine das letzte Geleit zu geben - ohne kirchlichen Segen. Und das ist wohl signifikant. Aber sonst? Die Dörfer und Städtchen, durch die ich da komme, sind jedesmal ein bisschen ansehnlicher geworden - im Schnitt so wie bei uns in Franken, wenn nicht sogar um Grade besser.



    Sobald ich jedoch nach Altbayern südlich der



    Donau fahre, ist der (Wohlstands-)Unterschied viel deutlicher, sichtbarer.



    Ehrlich gesagt, ich halte die ganze Debatte über die angebliche "Rückständigkeit des Ostens" für künstlich, mutwillig herbeigeführt - nichts weiter als eine typisch deutsche Neidhammelei.

    • @Auweiowei:

      Genau so sehe ich das auch, ich habe meinen Urlaub öfter im Odenwald verbracht, zwischen dem toleranten und Infrastrukturen überfrachteten Rhein/Main Gebiet und der Bergregion Odenwald stehen Galaxien, das fühlt sich jedesmal wie eine emotionale Vollbremsung an



      In Frankfurt kann ich mit der Regenbogenfahne durch die Stadt und bin einer unter 700000.



      3km südlich von Darmstadt hätte ich Bedenken, das zu überleben....

    • @Auweiowei:

      Ihr letzter Absatz entspricht auch meiner Wahrnehmung. War diesen Sommer in Rheinland-Pfalz unterwegs, Mann oh Mann, da gibt es Orte, da sieht es noch schlimmer aus als in Südbrandenburg oder Nordsachsen. Aber in jedem Land gibt es eben solche und solche Gebiete. Ansonsten ist alles ok.

  • Eine Empfehlung, die aus einer gemeinsamen Leidenschaft für britische Falträder abzuleiten ist: Mal die Flussradwege in Deutschland erkunden wie Hasnain Kazim auf Deutschlandtour, dann kommt man ins Gespräch und kann seinen Horizont er erweitern, sogar mit Entschleunigung. Die Unterschiede werden schnell klar, so wie sie angesprochen wurden. Vorurteile werden aber wirksam und nachhaltig abgebaut, auch das ist immer noch erforderlich und sehr erfreulich.



    www.braunschweiger...renze-im-kopf.html

  • "Was hatte eine Rostockerin mit einem Münchner gemein?" Oho, soll da etwa das Narrativ 'Wir sind ein Volk' grundlegend in Frage gestellt werden?! Ich dachte, es handele sich um eine Art Schicksalsgemeinschaft, über Jahrhunderte natürlich/gleichsam organisch gewachsen, in den Silberminen des Schwarzwaldes wie auf den Kornfeldern von Meck-Pomm, auf den rauen, aber salzreichen Halligen Ostfrieslands wie in den Almhütten der bayerischen Alpen, wo der kargen Bergwelt gute deutsche Milch und Butter abgerungen wurden (bitte um Korrektur, falls ich die natürlichen Reichtümer einer grandiosen Nation da falsch zugeordnet habe, auch das Grubengold des Ruhrgebiets und der lebensfrohe Karneval des Rheinlands fehlen). Nun macht die Autorin da weitere Gräben bzw. Fässer auf, zwischen Stadt und Land, Nord und Süd... tja, da fragt sich doch: Was macht Deutschsein (heute noch) aus?

    Gez.: ein zunehmend ratloser Alemanne, der in der Südwestecke der Republik aufgewachsen ist, immer mit etwas Platzangst im Dreiländereck mit der Schweiz (wie reden die denn?) und Frankreich (und die erst!).

    P.S.: Dass Leute aus HH und HB mit Stuttgart offenbar auch nichts anfangen können - geschenkt!

    • @Earl Offa:

      Jetzt versteh ich das mit Stuttgart 21 erst! Das ist ein fieses Projekt nordischer Nichtschwaben, damit man in Stuttgart nicht aus dem Zug muss, sondern durchfahren kann!



      Im Ernst: Es gibt diese Vielzahl sehr deutlicher Kulturunterschiede in Deutschland - gab sie auch schon in BRD-West: Als Niedersachse mit 30 Jahren Rheinland, ein paar Jahren Bayern plus ein bisschen Ausland-ganz-weit-weg, darf ich das wohl sagen. Das mit Ost-West-Gegensatz hat natürlich mit der Ideologieprägung in der DDR zu tun - ist aber inzwischen auch 30+ Jahre überformt. Heute wird das mit allen medialen Methoden politisch hochgejazzt und für verschiedene Zwecke ausgenutzt. Kaum jemand fühlt sich "im Westen" primär als Wessi. Eher Bayer oder Schwabe oderoderoder. Da bringt man jetzt in den erneuerten Ländern anderes bei: ihr seid alle Ossis. Nicht Thüringer, Pommern, Sachsen.



      Wenn das so weiter geht, sieht's übel aus mit der deutschen Einheit. Dann fährt man Richtung Osten doch wieder ins Ausland - vielleicht ins letzte Ausland ohne Grenzkontrollen.

      • @Monomi:

        Also das mit Stuttgart 21 ist lustig. Ansonsten ist meine Kritik am Artikel recht grundsätzlich: Was genau ist ein "Volk"? Lassen wir mal die üblichen Mythen beiseite à la "Die in... sind stolz auf 'ihr Land' und schmettern lauthals ihre Hymne", also warum 'wir' nicht?" Ist das 'liechtensteinische "Volk" ' z.B. fundamental anders als das in der Schweiz oder Österreich? Gibt es eine Andorra-DNA, die so ganz verschieden ist von der in Spanien oder Frankreich? Auch ohne diese Kleinstaaten-Spitzfindigkeit: Nationalstaaten sind erst seit recht kurzer Zeit in Gebrauch, menschheitsgeschichtlich betrachtet. Das (aufsteigende) Bürgertum fand und findet sie recht praktisch, that's it! Dass in bestimmten Gebieten ähnlich gesprochen wird, sagt doch nichts über die Leute und ihre Vorlieben usw. aus! Und warum soll man sich mit Menschen, die man nicht kennt, identifizieren, nur weil die auf Grund historischer Entwicklungen halt den gleichen Pass haben (zzgl. Hymne, Fahne und was halt noch so zu einer "Nation" gehört)? Meinetwegen ähneln sich gewisse Befindlichkeiten von z.B. Omis, Fußballfans, Landwirtinnen oder auch Bankern weltweit... warum aber ausgerechnet nationale 'Identitäten' erfinden?

  • „Ostdeutsche übernahmen westdeutsche Lebensstile und wussten das neue Leben wertzuschätzen.“



    „Das Leitwort der deutschen Einheit «Anpassung» war keine Erfindung für die neuen Verhältnisse im Osten, sondern eine «Übernahme» aus dem Reservoir der bundesdeutschen Karrieremöglichkeitspraxis. Und genau diese Anpassungsstrategien sind eine Voraussetzung für eine von Westlern akzeptierte Ostpersönlichkeit gewesen– jahrzehntelang, im Grunde genommen bis heute.“ Ilko-Sascha Kowalczuk - Freiheitsschock

    • @Mendou:

      Die, die nach 89 geboren sind, DDR aus Erzählungen kennen, wollen ?alle? eine Ostpersönlichkeit und verlangen Anerkennung dafür? Echt jetzt.



      Mir fehlen bei diesen Analysen immer die die in Erneuerten Ländern geboren sind, dann aber westlich gegangen sind.



      Haben die mit Herkunft mehr Probleme als ein Niedersachse in Bayern? Je weiter weg von München desto länger ist man da schließlich auch mindestens eine, wenn nicht mehr Generationen der "Zugereiste", "Norddeutsche" oder "Hamburger".



      So what.

  • Kann man so sehen, aber die „Lücken“ sind kein Grund, eine in Teilen faschistische Partei zu wählen. Forrest Gump sagte: Dumm ist, wer dummes tut. Und so eine Partei zu wählen ist wenig intelligent.

    • @Kunoberti:

      Baden-Württemberg, fast 20 Prozent AFD.

  • Ein kluger Kommentar von Frau Schmollack. Es gab schon vor der Wiedervereinigung Unterschiede innerhalb West- als auch innerhalb Ostdeutschlands. Und während die Unterschiede zwischen Ost und West allmählich verschwinden, wachsen sie zwischen den einzelnen Regionen, nicht nur Stadt und Land, sondern auch zwischen "boomenden" Städten und Städten, in denen die Industrie (und damit die Arbeitsplätze) weggebrochen ist. Das geht auch innerhalb eines Bundeslandes: z.B. Mainz und Pirmasens in Rheinland-Pfalz oder Leipzig und Görlitz in Sachsen. Und falls VW wirklich Werke dichtmacht, könnten auch Emden in Niedersachsen oder Zwickau in Sachsen große Probleme bekommen, wie sie Saarlouis im Saarland schon hat, weil dort nächstes Jahr das Ford-Werk schließt.

    • @Offebacher:

      Ich betrachte ihn nicht als klug, weil Frau Schmollack ausschließlich auf der materiellen Ebene argumentiert.

      Was sie nicht berücksichtigt, ist der Faktor Identität.

      Dabei ist das eigentlich der zentrale Punkt.

      Es ist entscheidend, ob die Unterschiede identitätsstiftend sind oder nicht.

      Erstaunlich, wo wir seit 20 Jahren Identitätspolitik erleben.

  • "Ja, doch, wir haben eine deutsche Einheit. Nein, wir haben keine neue Mauer zwischen Ost und West, wie mitunter ventiliert wird."



    Aber hallo haben wir Mauern - und wie!



    Mauern innerhalb Familien, Mauern zwischen Nachbarn (teils erbittert verteidigt), Mauern zwischen Dörfern (wenn ein Dorf dem anderen den Maibaum klaut oder wenn beim jährlichen Aufeinandertreffen in der untersten Fußballliga die Knochen brechen), Mauern zwischen Regionen - Stichwort "Franken sind keine Bayern" etc, Mauern zwischen Ländern - Beispiel "mir san Bayern, ihr seid Hesse, was mir schei...a miast ihr fresse", Mauern zwischen Süd und Nord, zwischen alt (West) und neu (Ost), zwischen jung und alt, zwischen hier geborenen und zugewandert (in JEDER Stadt gibt es Viertel oder Bezirke wo Ausländer konzentriert vorkommen bis hin zu vollwertigen Parallelgesellschaften siehe bspw Berlin Sonnenallee etc)



    Die Deutschen lieben Mauern, wir sind weltweit bekannt dafür eigenbrötlerisch zu sein - der Jägerzaun ein weit über die Außengrenzen bekanntes deutschen Markenzeichen.



    Was Zusammenwachsen betrifft sind 'die Deutschen' ein eher unwilliger Patient, wir lieben die Reibung - das machts schwierig, aber auch interessant.

    • @Farang:

      Der Jägerzaun? Der ist ausgestorben. Verdrängt vom invasiven Stabmattenzaun. In der Exklusivausführung mit Sichtschutzflatterplaste.

    • @Farang:

      Letzter Absatz - musste schmunzeln.