Stand der deutschen Einheit: Gleitende Annäherung
Das Gerede von einer neuen Ost-West-Mauer ist Unsinn. Unterschiede gibt es außerdem auch zwischen Stadt und Land, wie Nord und Süd.
J a, doch, wir haben eine deutsche Einheit. Nein, wir haben keine neue Mauer zwischen Ost und West, wie mitunter ventiliert wird. Auch wenn 35 Jahre nach dem Mauerfall die Kluft zwischen Menschen in Ost und West scheinbar wieder größer geworden ist. Weil der Osten, wie die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen, Brandenburg gerade gezeigt haben, so offen rechts wie nie zuvor ist. Und der Westen sich darüber die Augen reibt.
Unabhängig davon, dass die ostdeutschen Verhältnisse auch im Westen ankommen werden, wie Politikwissenschaftler:innen voraussagen. Spätestens dann ist die deutsche Einheit komplett vollzogen. So zynisch es klingen mag. Die vergangenen 35 Jahre zeigen aber vor allem eines: Die deutsche Einheit ist kein statischer Zustand, sondern ein zuweilen überraschender Prozess.
So waren die Unterschiede zwischen den alten und damals neuen Bundesländern am 3. Oktober 1990 und in den ersten Jahren nach der DDR so groß wie noch nie: Einkommen, Eigentum, Eliten, Eigenverantwortung – von allem hatte der Westen Unmengen mehr. So konnte der Riss gar nicht anders verlaufen als zwischen Ost und West.
Aber die Ostdeutschen ackerten und ackerten, die Lebensverhältnisse glichen sich an, Ostdeutsche übernahmen westdeutsche Lebensstile und wussten das neue Leben wertzuschätzen. Doch es gab weiterhin Unterschiede, materiell, politisch, zu jener Zeit aber vor allem kulturell. Allerdings nicht mehr überaus stark zwischen Ost und West, sondern zwischen Nord und Süd. Was hatte eine Rostockerin mit einem Münchner gemein?
Nichts. Ebenso wenig, wie jemand aus Hamburg oder Bremen etwas mit Stuttgart anfangen konnte. In den vergangenen Jahren gab es eine weitere Verschiebung: Es entstand eine Lücke zwischen Stadt und Land. Städte und ihre Randregionen wachsen, die Peripherie dagegen schrumpft – in Ost wie West. In den Städten bieten sich Chancen, auf dem Land gehen sie verloren. Das ist kein Problem, das zwischen Ost und West geklärt werden muss, sondern einzig gesamtdeutsch.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Gerichtsentscheidung zu Birkenstock
Streit um die Sandale