Staatsvertrag mit Muslimen im Norden: Einigung erreicht, Mehrheit verfehlt
Schleswig-Holstein ermöglicht Schulkindern und Landesbediensteten, muslimische Feiertage zu begehen. Doch Ditib und Schura sind keine Vertragspartner.

Muslimische Landesbedienstete und Schüler:innen haben künftig zu Beginn des Fastenmonats Ramadan und am Opferfest frei. Das ist der wohl spürbarste Bestandteil des Vertrags, den Kulturministerin Dorit Stenke (CDU) und Murat Pırıldar, Landesvorsitzender des Verbandes islamischer Kulturzentren (VIKZ) Norddeutschland, unterzeichnet haben. Langfristig geht es nun auch um Islamunterricht in den Schulen, um ein eigenes Schulfach und die Frage, wer dort unterrichten soll.
Der Vertrag stelle ein wichtiges Zeichen der Anerkennung und Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften dar, sagte Stenke bei der Unterzeichnung: „Menschen muslimischen Glaubens sind Teil unserer Gesellschaft. Das besiegeln wir mit diesem Vertrag.“ Pırıldar freute sich im Gegenzug „auf die wichtige Rolle, die wir als Vertragspartner des Landes Schleswig-Holstein übernehmen“.
Rund 12.000 Schleswig-Holsteiner:innen gehören dem Verband der Kulturzentren an. Das ist aber nur ein kleiner Teil der etwa 70.000 Muslim:innen im Land, darauf verweisen die Türkisch-Islamische Union (Dıtıb) Nord und der Rat der islamischen Gemeinschaften (Schura) in einer Pressemitteilung. Beide Verbände seien „trotz zahlreicher Gespräche mit dem Bildungsministerium ausgegrenzt“ worden. Das verzerre die Wirklichkeit, verletze das Paritätsgebot und untergrabe das Vertrauen in staatliches Handeln, heißt es in der Mitteilung.
Dorit Stenke, Kulturministerin in Schleswig-Holstein
Tatsächlich hat es lange Verhandlungen gegeben. Bereits 2022 gab die Landesregierung zwei Gutachten in Auftrag, die die Verbände in religiöser und rechtlicher Hinsicht auf ihre Vertragsfähigkeit prüfen sollten. Unter anderem wurde geprüft, ob die Nähe der Dıtıb zur Türkei ein Ausschlusskriterium für einen Vertrag darstelle.
Ist es nicht, sagt Stefan Muckel, Professor für Religionsrecht an der Universität Köln. Es sei unbedenklich, wenn sich eine in Deutschland ansässige Religionsgemeinschaft in inhaltlichen Fragen an den Vorgaben einer ausländischen Stelle orientiere. Selbst „eine religiöse Fremdsteuerung aus dem Ausland“ sei verfassungsrechtlich unbedenklich – sagt er mit Blick auf die katholische Kirche. Muckel schlägt in seinem Gutachten aber eine Reihe von Maßnahmen vor, mit denen sich die Dıtıb politisch von der Türkei abgrenzen sollte.
Das Land Schleswig-Holstein habe mit beiden Verbänden eigenständige Gespräche geführt, sagt Wilko Huper, Sprecher des Bildungsministeriums, auf taz-Anfrage. Mit der Schura waren die Verhandlungen bis zur Ebene erster Vertragsgespräche gediehen, „aktuell sind jedoch noch nicht alle inhaltlichen Punkte geeint“. Die Dıtıb erfülle „jedoch derzeit nicht die Voraussetzungen für die Aufnahme konkreter Vertragsverhandlungen“. Die Regierung stehe aber mit beiden Gruppen weiter in einem „konstruktiven Dialog“.
Positionierung gegen Hamas als Streitpunkt
Auf einen Punkt, der die Verhandlungen zurzeit schwierig machen könnte, weist der Journalist und Buchautor Eren Güvercin in einem Post auf der Plattform X hin. Der Bundesverband der islamischen Kulturzentren war im Oktober 2023 aus dem Koordinierungsrat der Muslime ausgetreten, dem auch Dıtıb als großer Mitgliedsverband angehört.
Auf der Website des VIKZ findet sich keine Begründung für diesen Schritt. Güvercin schreibt aber, dass in dem Gremium „eine gemeinsame eindeutige Positionierung gegen die Hamas nicht möglich war“.
Die Landesregierung nannte den Vertrag in einer ersten Mitteilung „wegweisend“. Auf Nachfrage teilte das Ministerium mit, das sei im bundesweiten Vergleich gemeint: „Verträge mit Islamverbänden gibt es bisher nur in wenigen Bundesländern.“ Wichtig sei der Vertrag vor allem als Zeichen der Anerkennung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert