Staatssekretär für Wohnen in Berlin: Senat mietet Andrej Holm
Keiner hat Berlins Baupolitik so lange und so hart kritisiert wie er. Holm war Aktivist, Akademiker und im Knast. Nun steht er auf Regierungsseite.
Bislang war Holm ein ausgewiesener Kritiker der Berliner Baupolitik, beklagte die Mutlosigkeit des seit Jahrzehnten von der SPD geführten Bauressorts und forderte immer wieder radikale Lösungen etwa im Umgang mit den Berliner Sozialwohnungen, deren Mieter unter den Verfehlungen der sozialdemokratischen Subventionspolitik der Vergangenheit zu leiden haben. Verwaltungserfahrung hat der 46-jährige bislang nicht sammeln können. Seine Berufung ist deshalb in erster Linie eine Botschaft. Wer den bekanntesten Kritiker der Baupolitik in höchste Ämter beruft, meint es ernst mit einer Politik im Interesse der Mieter.
Es war wohl der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag, der Holm bewogen hat, das für ihn durchaus riskante Angebot anzunehmen. 400.000 Wohnungen sollen in Zukunft den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften gehören, die der Senat stärker als bisher auf soziale Ziele verpflichtet. Die Milieuschutzgebiete sollen ausgeweitet werden, um Luxusmodernisierungen und die Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen radikal einzuschränken. Private Bauherren sollen verpflichtet werden, 30 Prozent Sozialwohnungen zu bauen.
In den sechswöchigen Verhandlungen haben sich Linke und Grüne weitgehend gegen die SPD durchgesetzt. Da war es nur konsequent von der SPD des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller, das Bauressort an die Linke abzugeben.
Holm soll Lieferant sein
Die muss nun liefern, und Andrej Holm soll der Lieferant sein. Schafft er es, die Wohnungsbaugesellschaften auf Linie zu bringen und den Mietanstieg in der rasant wachsenden Metropole zu bremsen, wird er gefeiert. Scheitert er, wird er wohl nicht so einfach in die Rolle des Kritikers zurück schlüpfen können. Das ist riskant für Holm, aber auch riskant für die Partei Die Linke.
Mutig ist Lompschers Entscheidung aber auch aus einem anderen Grund. Bundesweit bekannt geworden war Holm, als er 2007 wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verhaftet worden war. Er soll, so die Anschuldigung, Mitglied der so genannten „militanten gruppe“ gewesen sein. Im Laufe der Ermittlungen stellte sich heraus, dass das Verfahren auch politisch motiviert gewesen war.
Das Bundeskriminalamt war nämlich im Zuge einer Internetrecherche auf Holm aufmerksam geworden. Weil die „mg“ in ihren Bekennerschreiben nicht selten den Begriff Gentrifizierung benutzte, fiel der Verdacht auf denjenigen, der als Sozialwissenschaftler eben jene Aufwertung und Verdrängung erforschte.
Mit einem Schlag wurde Gentrifizierung zum Modewort
Mit einem Schlag war Gentrifizierung zum Modewort geworden. Und Holm stand plötzlich im Rampenlicht. Selbst international prominente Stadtforscher wie Saskia Sassen und Richard Sennett hatten seine Freilassung gefordert. Im Oktober 2007 wurde der Haftbefehl aufgehoben. Das Verfahren gegen ihn wurde 2010 eingestellt. Bis zuletzt arbeitete Holm am Lehrstuhl für Soziologie an der Berliner Humboldt-Universität.
Als Aktivist hatte der in Leipzig geborene Holm unmittelbar nach der Wende in der Betroffenenvertretung im Sanierungsgebiet Helmholtzplatz im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg mitgemischt. Er war aktiv in der Bürgerinitiative „Wir bleiben alle“ und hat auch später als Wissenschaftler immer wieder politische Forderungen gestellt. „Es ist kein Verbrechen, wenn wir den Elfenbeinturm der Theorien verlassen und uns in die Protestbewegungen einmischen“, hat er der taz einmal verraten.
Nun also mischt sich Holm in die Politik ein. Mit Argumentieren und Überzeugen alleine wird er keinen Erfolg haben. Das hat einer seiner Vorgänger im Amt, der ehemalige und aktuelle Baustadtrat von Berlin-Mitte, Ephraim Gothe (SPD), bereits erleben müssen. Holm muss sich durchsetzen, wenn es sein muss auch mit Macht. Schafft er es, hätte der Koalitionsvertrag gute Chancen, nicht eines Tages als Papiertiger in den Müll zu wandern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“